“Cultural concepts of performative reflection in dance. Butoh and Krumping.”

21 06 2009

Magisterarbeit zur Erlangung des Grades Magister Artium
an der Ludwigs-Maximilians-Universität München
Institut für Ethnologie und Afrikanistik

Referentin:
Dr. phil. habil. Annette Hornbacher
Co-Referent:
Prof. Dr. Ulrich Demmer

Kulturelle Konzepte
performativer Reflexion im Tanz.
Am Beispiel von Butoh und Krumping

Vorgelegt am 15. Oktober 2008
von Frances Egerer

Email: Franceslucilla@live.de
Studiengang Ethnologie (HF), Völkerrecht / Spanisch (NF)

I. Inhaltsverzeichnis

I. Inhaltsverzeichnis II
II. Abstract IV
III. Danksagung VII

1 Einleitung 1
1.1 Fragestellung 2
1.2 Begriffsfindung 2
1.2.1 Erkenntnis, Wissen, Reflexion 2
1.2.2 Ausnahmetechnik Tanz und verkörpertes Wissen 8
1.2.3 Kinästhesie und „tacit knowledge“ 11
1.3 Methodik 14

2 Performanz- und Ritualtheorien 15
2.1 Marcel Mauss – „Körpertechniken“ 16
2.2 Michel Foucault – „Subversive Gegenwissenschaft“ 17
2.2.1 Ethnologie als „Gegenwissenschaft“ 23
2.2.2 Die „Disziplinartechnologien“ 25
2.3 Ritual, Performanz und die performative Wende 29
2.4 Victor Turner – Ritualtheorem 34
2.4.1 „Liminale“ Übergangsphase 36
2.4.2 „Liminoide Phänomene“ 37
2.4.2 Konflikttheorie im „sozialen Drama“ 39
2.4.3 „Normative Communitas“ 41
2.5 Exkurs: Interdisziplinäre Performanzwissenschaft 45

3 Butoh – kinästhetische Reflexion 49
3.1 Soziopolitischer Entstehungsrahmen 50
3.2 Der Gründer Hijikata Tatsumi 52
3.2.1 asbesto-kan – „Communitas“? 55
3.2.2 Œuvres 55
3.2.2.1 „Verbotene Liebe“ 1959 56
3.2.2.2 „Der Masseur” 1963 56
3.2.2.3 „H. T. & die Japaner. Die Rebellion des Körpers“ 1968 57
3.2.2.4 „Tohoku Kabuki Projekt 1-4” 1977-85 58
3.3 Kazuo Ohno – „Admiring La Argentina“ 1977 59
3.4 Einflüsse polystilistischer Tanztechniken 62
3.4.1 Traditionelle japanische Tanz- und Theaterformen 62
3.4.2 Ballett und Neuer Tanz 65
3.5 Technik und Praxis des Butoh 67
3.5.1 Lehrmethode, Technik und Dynamik 68
3.5.2 Körperbild und Körpersprache 71
3.5.3 Choreografie – Zeit und Raum 76
3.6 Perspektive der Akteure 80

4 Krumping als transformative Tanztechnik 82
4.1 Soziopolitischer Entstehungsrahmen 82
4.2 Der Gründer „Tommy the Clown“ 84
4.3 Dokumentarfilm RIZE 85
4.4 Einflüsse polystilistischer Tanztechniken 87
4.4.1 Afrikanische Wurzeln im HipHop 90
4.4.2 „Clowning” und die ludische Clownerie 4.4.2 91
4.5 Abspaltung der „Krump Kings“ – Konflikt und „Communitas“? 94
4.6 Tanztechnik und Praxis von Krumping 95
4.6.1 Lehrmethode, Technik und Musik 96
4.6.2 Körperbild und Körpersprache 98
4.6.3 Choreografie – Zeit und Raum 103
4.6.4 „Battlen“ als ästhetische Instanz 104
4.6.5 Beziehung zwischen Anwesenden und Tänzern 105
4.6.6 Transzendente Körpererfahrung 108
4.7 Perspektive der Akteure: „Our Ghetto Ballett“ 110

5 Zusammenfassung 112
5.1 Performativ-kinästhetische Reflexion im Tanz 112
5.2 Spiritualität und die dunkle Seite 117
5.3 Konflikt und kreative Kraft der Gemeinschaft 119
5.4 Einlösung des ästhetischen Selbstverständnisses 121

IV. Interdisziplinärer Exkurs Neurobiologie VI
V. Abbildungsverzeichnis VIII
VI. Bibliographie IX

II. Abstract

Tanz ist ein nonverbales kommunikatives System, in dem sich kulturelle Konzepte einer Gesell-schaft offenbaren. Das menschliche Er-Leben der Welt ist die sinnliche Wahrnehmung. Der Körper erfährt die Erlebnisse und durch ihn kann der Mensch das Unaussprechlich – Schöne, das Verbor-gene und das Vergessene ausdrücken. Diese kinästhetisch performative Fähigkeit ist die Basis bestimmter Tanztechniken, um einen reflexiven Akt zu vollziehen. Diese Reflexion ist ein kommu-nikativer Prozesses zwischen traditionellen und zeitgenössischen rituellen Elementen der jeweiligen Kultur. Im Gegensatz zum habitualisierten Alltagsverhalten beruhen diese performativen Praktiken auf einem reflexiven Schaffensprozess. Entscheidend ist, den Körper und seinen Erfahrungsmo-ment in den Fokus zu rücken und die Praxis des Tanzes als eigenständige Wissensform anzuerkennen. Die japanische Tanzform Butoh und die amerikanische Tanzform Krumping wur-den zum Vergleich gewählt, da sie in Zeiten soziopolitischer und kultureller Umbrüche entstanden sind. Die Künstler beider Regionen setzen sich kreativ mit nationalen und kulturellen Transformati-onsprozessen, intrakultureller Polyphonie und der globalen Kritik am Kapitalismus auseinander. Sowohl Parallelen als auch Unterschiede des Körperbildes, der ästhetischen Kategorien und des Umgangs mit der mystischen Seite des Lebens kennzeichnen das Verhältnis beider Tanzformen. Die Unterschiede weisen auf den Ursprung in den unterschiedlichen Kulturen hin. Dabei ist ihr ge-meinsamer Nenner die kinästehtisch performative Reflexion.

Die Einleitung dieser Arbeit befasst sich zunächst allgemein mit der Forschungsfrage und erklärt körpertechnische sowie erkenntnistheoretische Begriffe. Als Grundlage wird angenommen, dass die Körper-Geist Dichotomie falsch ist. Der Körper ist nicht bloße Hülle des Geistes, sondern fähig zu Erkenntnis.
Das zweite Kapitel – Ritual und Performanz – bildet den ersten Kernteil der Arbeit. Es widmet sich den, für die Behandlung dieses Themas erforderlichen, ethnologisch zentralen Begrifflichkeiten und den Theorien des Ritualforschers Victor Turner und des Philosophen Michel Foucault. Denn Turner wendet Phänomene traditioneller Rituale auf den Kunstbereich in komplexen Industriegesellschaf-ten an. Turners Konzept der Communitas und der Antistruktur, sowie der liminoiden Phänomene im rituellen Bereich des Theaters sind auf die Tanzformen anwendbar. In Ritualen ist das Tun ein Erkenntnsivollzug praktischen Handelns, der keiner diskurvisen Erklärung bedarf. Der kreative Moment der Communitas, das Erlebnismoment und der Konflikt im sozialen Drama sind die inte-ressantesten Punkte seiner Konzepte, auf welche daher auch näher eingegangen wird. Ausgehend von Foucault wird der Körper in dieser Arbeit als eigenständig erkenntnisfähiges und einzigartiges Medium für das Aushandeln kultureller Prozesse in der tänzerischen Praxis konstituiert. Foucaults Bezeichnung der Ethnologie als „subversive Gegenwissenschaft“, und die Integration der Leibes-praktiken in den Komplex der Erkenntnispotentiale, sowie die Untersuchung aus der Perspektive der Akteure stellen fundamentale Gedankenmodelle der vorliegenden Arbeit dar. Die Subversivität ist ein Element der machtvollen Strukturen und erklärt die Verbannung des Körpers aus der a-bendländischen Konstruktion von Erkenntnis. Ohne den „Blick von Innen“ kann dabei ein fremdes Konzept (Wissen, Kultur, Tanzform) nicht verständlich werden.
Im dritten Kapitel – Butoh – kinästhetische Reflexion – wird die Entstehung dieser Tanzform nach der japanischen Kapitulation im zweiten Weltkrieg als hochgradig reflexiver Prozess geschildert. Das vierte Kapitel – Krumping als transformative Tanztechnik – befasst sich mit der Entstehung dieser Ausnahmetechnik im Ghetto von South West L.A. nach den bürgerkriegsähnlichen Aufstän-den von 1992.
Bedie Tanzformen werden nach bestimmten Gesichtspunkten analysiert, um aufzuzeigen wie die diskursbefreite Lehrmethode der Improvisation funktioniert, wie sich Körperbilder und Körperspra-che aus der Reflexion mit der eigenen und anderen Kulturen entwickeln und wie das Raum- und Zeitverhältnis und damit eine eigene Weltkonzeption entstehen kann. So findet nicht nur ein ege-naue Betrachtung des Lebensbereiches und des sozialen Umfelds der Tänzer statt, somdern auch die spezifische Spiritualität und die mystische Verbindung von Leben und Tod der zwei unter-schiedlichen Gruppen sowie die Beziehung zwischen Zuschauer – Darsteller beleuchtet wird. Dabei wird auf den Veränderungsprozess, der die Tanzformen hervorbrachte insofern eingegangen, als die jeweiligen kulturellen Traditionen und Wurzeln in Kontext mit dem einflussreichen Kontakt fremder Kultur gesetzt werden. Diese beiden Kapitel III. und IV. sind der zweite Kernteil der Arbeit. Kapitel V. Zusammenfassung resümiert die Ergebnisse der Analysen der Arbeit, das heißt, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kulturellen Konzepte performativer Reflexion. Zentral ist, dass über die performative Praxis Tanz Erkenntnis – in Form eines reflexiven Prozesses – generiert wird. Diese Schlussfolgerung zeigt auf, dass das abendländisch geprägte Konzept vom Erkennt-nispotential als allein geistig rationaler Tätigkeit lediglich ein Wissenskonzept neben anderen darstellt. Letztendlich wird ein Ausblick auf weiterführende Forschungsfragen geboten. Die transkulturelle Prägung und Beeinflussung unterschiedlicher Tanzformen, wie das Krumping und das Capoeira wären Fragen die an die Arbeit anschliesen könnten. Ebenso bietet die Ausarbeitung des aufklärerischen Ansatzes der Moderne eine geeignete Grundlage, um die These performativ kinästhetischer Reflexion zu stützen. Anbieten würde es sich m.E., kulturelle Konzepte kinästheti-scher Reflexion aus Sicht der außereuropäischen Ethnologie aufzuarbeiten und mit den Erkennt-nissen der Körpertherapie und Neurobiologie zu verknüpfen.
Der Anhang beinhaltet einen kurzen Exkurs zu den Positionen der Neurobiologie, die ebenfalls die These des Körpers als eigenständiges Erkenntnismedium stützt.
Mein Bestreben ist es, mit dieser Arbeit die Debatte über die körperliche Reflexivität im Tanz auf-zugreifen.

III. Danksagung

Meiner Mutter Carla Egerer danke ich für ihre einfallsreichen Anregungen.
Im Besonderen möchte ich meinem Freund Roberto Gutiérrez Gutiérrez danken, der mir mit der Konzeption und der mühsamen Arbeit der Formatierung selbstlos zur Seite stand. Seine kreativen Ideen beeinflußten den Entwurf der Abbildungen maßgeblich. Er war es, der mir in den Phasen des Zweifelns Hoffnung und Zuversicht gab.
Für die interessierte ethnologische Diskussion stellte sich meine Freundin Sophie Graber zur Verfü-gung. Für das mühsame Korrekturlesen erklärten sie und Ilga Fink sich bereit. Mit konzeptionellen Fragestellungen haben mich meine Freunde Eva-Marie Torhorst, Roberto und Sophie unterstützt. Wesentliche Verbesserungen gehen auf ihr Wissen und ihre offene Kritik zurück. All den selbstlo-sen Köchen, die meine kurzweilige Anwesenheit nicht persönlich nahmen, drücke ich meinen tiefsten Dank aus, man schmeckt wenn es von Herzen kommt.

Den Anstoß die reflexive Ebene tänzerischer Praxis zu beleuchten, verdanke ich Professorin Annet-te Hornbacher. Ihre Studie über Zuschreibung und Befremden und verkörpertes Wissen im balinesischen Tanz als kinästhetische Reflexionsform (2005) und ihre intensiven und engagierten Vorlesungen und Seminare haben mich ermutigt, meine Körpererfahrung mit performativen Aus-nahmetechniken aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu betrachten. Ihr Interesse an der notwendigen Verbindung des praktischen und des theoretischen Wissens über Tanz, verdanke ich die Courage zur Auseinandersetzung mit diesen beiden kulturellen Konzepten des Tanzes. Für ihre gleichermaßen geduldige, aufmerksame und interessierte wissenschaftliche Betreuung bedanke ich mich herzlichst.

1 Einleitung

Die Wahl des Themas verbindet meine zwei Studien, das des Tanzes und das der Ethnologie. Ich tanze seit meiner Kindheit. Später absolvierte ich eine Ausbildung zur Bühnentänzerin und war im tänzerischen und choreografischen Bereich der kommerziellen Unterhaltungsindustrie sowie der freien Tanzszene Münchens tätig. Für die Produktion des HipHop-Musicals „Statt der Angst“ über-nahm ich die choreografische Leitung. Innerhalb des zweijährigen Projekts des „International Munich ArtLab“ mit einer Gruppe von 40 Jugendlichen aus 27 Nationen entwickelt sich mein Wis-sen in und um den Tanz ungemein .

Der Körper hat die Fähigkeit die schönen, ungeschriebenen, furchtbaren und unaussprechlichen Erlebnisse eines Individuums und einer Kulturgemeinschaft auszudrücken. In Praktiken anderer Gesellschaften finden sich Beispiele wie Wissen anders konzipiert sein kann. Wissen kann in vielfäl-tigen Facetten bestehen und unterschiedlich kommuniziert, wahrgenommen und reflektiert werden. Bestimmte Ausnahmetechniken, in Form von Tänzen, stellen dabei die Dimension ki-nästhetischer Wissensformen dar. Ich möchte die Dimension dieses körperlich-performativen Wissens herausarbeiten und so eine Annäherung an eine andere Wissensform erleichtern. Der Körper ist fähig Wahrnehmungen zu speichern und Erlebnisse zu reflektieren. In Europa analysiert man, bis man überzeugt ist. Doch was man mit dem Kopf versteht ist nicht unbedingt das, was man mit dem Körper versteht.

Aufgabe der Ethnologie ist es, herauszufinden wie Menschen in ihrer Lebenswelt Sinn herstellen und das Gewebe der Kultur zu erklären. Das Widerspiegeln von Erlebtem ist Teil dieses Sinnsu-chenden Prozesses. In einigen künstlerischen Tanzformen ist dieser Sinnsuchende Prozess die Grundlage des kreativen Schaffens. Zwei dieser Tanzformen widme ich mich mit dieser Arbeit, dem japanischen Butoh und dem amerikanischen Krumping.

1.1 Fragestellung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage inwieweit Kultur über Tanz reflektiert wird. Reflexion ist ein Prozess des Rückbesinnens, Widerspiegelns, der menschlichen Sinnsuche und des Aushan-delns von Kultur. Die Auseinandersetzung mit traditionellem Wissen und den soziopolitischen Veränderungen ist Reflexion. Dieser Prozess wird nicht nur diskursiv geführt. Der Körper bietet eine ideales Medium zum Aushandeln kultureller Identität, und zur Integration von Veränderung. Die kinästhetische Wahrnehmung erlaubt es dem Zuschauer die nonverbale und unaussprechliche Botschaft zu entschlüsseln.
Mit folgenden Fragestellungen bin ich an die Analyse von Butoh und Krumping herangetreten:
Wie kommt es, dass Tanzformen in Zeiten von soziopolitischen Umbrüchen, nach Kriegen und bürgerkriegsähnlichen Unruhen entstehen? Sind diese Ausnahmetechniken ein Ausdruck reflexiver Tätigkeit? Welche Rolle spielt Spiritualität und Mystik im Kontext von Leibpraktiken? Welche Ein-flüsse werden inkorporiert und von welchen grenzen sie sich ab? Was sagt dies über ihr Selbstverständnis aus? Können die Akteure ihr ästhetisches Selbstverständnis einlösen?

1.2 Begriffsfindung

Die Arbeit befasst sich mit Foucaults Kritik der Aufklärung und der daraus erwachsenden Diszipli-nargesellschaft. Mir scheint es unerlässlich, einige grundlegende Begrifflichkeiten der Philosophie in diesem Kontext zu erläutern. Die Begriffe Erkenntnis, Wissen und Reflexion stehen im Mittelpunkt. Für den tanzspezifischen Bereich werden die Begrifflichkeiten „Ausnahmetechnik Tanz“ und ver-körpertes Wissen, sowie Kinästhesie und „tacit knowledge“ erläutert.

1.2.1 Erkenntnis, Wissen, Reflexion

Und so sprach Zarathustra: „Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.“ Nietzsche

Die Fragestellung nach performativer Reflexion im Tanz berührt Nachbarschaftsdisziplinen, daher wird auf den neurobiologischen Forschungsstand (im Anhang) und die Bedeutung der geisteswis-senschaftlichen Begrifflichkeiten eingegangen.
Die vorherrschend durch die Philosophie und Sprachwissenschaft zugeschriebene Semantik der Begriffe „Wissen“ und „Reflexion“ möchte ich einem breiteren, über diese kategorischen Definitio-nen hinaus tragenden Wirkungsbereich eröffnen. Diese Begriffe, grundlegend für die Definition von westlicher Wissenschaft und Denken, basieren auf der abendländischen Historie der Humanwis-senschaften. Mit der europäischen Aufklärung ausgerichtet auf eine menschliche Endlichkeit, und dem Beginn der Moderne im neunzehnten Jahrhundert, geht eine Konstruktion und Perpetuation einer „Hierarchie der Praktiken“ (Foucault 1971) und Sinne einher. Die grundlegenden Theoreme der abendländischen espisten der Ratio ist einerseits René Descartes (1637) im „Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la verité dans les sciences“ Teil IV postulierter Satz „cogito ergo sum“ . Andererseits Kants Imperativ: „die Entdeckung, dass das Subjekt, soweit es vernünftig ist, sich sein eigenes Gesetz gibt, das das allgemeine Gesetz ist.“.
Die Kritik Berkeleys und sein radikal subjektiver Idealismus, der sich in dem Axiom „esse est perci-bi“ äußert, und Humes von Empirismus und Skeptizismus geleitetes Axiom sind maßgebend für die Entwicklung der Phänomenologie, die ein Wegbereiter zum Anerkennen körperlichen Wissens ist.

Es wäre an der Zeit dem modernen Cogito ein anderes Axiom gegenüber zu stellen. Die Suche hiernach wird in vorliegender Arbeit, innerhalb der performativen Ausnahmetechniken geführt. Die Ethnologie bietet hierfür, da ihr Forschungsobjekt das Fremde ist, den fachspezifischen Ansatz. Die folgenden Begriffe sind maßgeblich für die Diskussion der vorliegenden These und werden deshalb von Seiten der Etymologie, der gängigen Semantik und ihrer möglichen Anwendungsbereiche erläutert.

Die Grafik stellt den unvereinbaren Widerspruch der Trennung von Geist und Körper, in ein Ver-nunft und ein Sinnenwesen dar.

Abbildung 1 „Dichotomie: Vernunft – und Sinnenwesen“
(eigene Darstellung)

Etymologisch ist der Begriff Wissen von der indogermanischen Wurzel uid ‚sehen’, in Folge aus dem Sanskrit vid ‘finden‘ und dem lateinischen videre ‚sehen’ herzuleiten (WdpB:737). Er steht, seit Platon, für die „wahre gerechtfertigte Meinung“. Wissen ist „…nicht beschränkt auf die Form des Diskurses und damit auf indigene Theorien …, sondern [kann] ebenso künstlerische und be-sonders performative Praktiken in ihren jeweiligen Erscheinungsformen beinhalte[n].“ Der westliche Begriff des Wissens ist zugleich die Idee eines „Weltbildes“ (Hornbacher 2005:164, 165). Denn alles Wissen ist geschichtlich, endlich und revidierbar. Letztendlich entsteht durch diesen Pro-zess der Wissensentwicklung Kultur.

Wissen ist eine begründete Überzeugung vom tatsächlichen Bestehen von Gegenständen, Vor-gängen oder Sachverhalten (WdpB:737). Es ist ein Fundus an Erfahrungen und Erkenntnissen, der anhand von Empirie und Praxis angesammelt wird. Wissen wird nach der Verfügbarkeit oder der Herkunft kategorisiert. Dabei wird oft nach explizitem oder impliziten Wissen unterschieden, diese Differenzierung geht auf den Philosophen Michael Polanyi zurück (Polanyi:1985). Über den tanzenden Körper äußert sich prozedurales Wissen, unter den Philosophen vorzugsweise implizites Handlungswissen genannt. Als explizit gelten Wissensinhalte, wenn ein Subjekt bewusst über sie verfügt und sie gegebenenfalls auch sprachlich ausdrücken kann. Demgegenüber zeichnen sich implizite Inhalte dadurch aus, dass sie nicht auf eine solche Weise verfügbar sind. Viele wesentliche Wissensinhalte, so zeigt die Forschung unterschiedlicher Disziplinen vermehrt auf, sind nicht expli-zit vorhanden oder bewusst. Sie werden nicht mit dem abendländisch vorherrschenden Instrument, dem Modell des Diskurses abgerufen und aktiviert. Im Bereich des Langzeitwissens werden das deklarative und das prozedurale Wissen unterschieden. Das prozedurale Wissen be-zieht sich auf körperliche Handlungsabläufe und entspringt nicht der sprachlichen Formulierung. Es erschwert folglich, als andere Wissensform, eine sprachliche Strukturierung, da dies Wissen mit anderen Kategorien operiert. Tanzen ist prozedurales Wissen, welches im Körper durch Lernen und Praxis angelegt wird. Wissen heißt unbewusste oder bewusste Kenntnis besitzen von einem Tatbestand, einer Situation, Geschichte oder Kultur.

„Verstehen bedeutet ursprünglich „dicht vor etwas stehen“ (um es zu erkennen), es wurde dann im Sinne von etwas erfassen als methodologischer Begriff in die Geisteswissenschaften eingeführt.“ (WdpB 1998: 706)

Wissen anzueignen, weiterzugeben und aufzubauen vollzieht sich auch über körperliche Handlun-gen. Wissen kann über zahlreiche Kanäle generiert und genutzt werden, über Erfahrung, praktisches Erleben, Empirie, Praxis, Fühlen, Lernen und Beobachten. Die kinästhetische Wahr-nehmung in performativen Praktiken ist darum inhärentes Element eines Prozesses der Reflexion des Akteurs und des Zuschauers. Darum ist Reflexion ein Akt der Kommunikation. Reflektieren bedeutet Eindrücke in Bezug zu einem Allgemeinbegriff zu setzen. Das ist die Keimzelle von Sinn-lichkeit und Vernunft. Das Lust – Unlustprinzip kann sich auf die Sinneseindrücke, aber auch auf das Denken beziehen. Danach wird beurteilt ob etwas „gut“ zu denken ist und dann entschieden, ob die Welt so gut und „sinnvoll“ zu erklären ist. Somit gibt es zwei Urteilsfelder. Wie der Mensch das, was ihm in den Sinnen vorschwebt beurteilt. Das schon in sich geordnete kann er reflexiv beurteilen.
Kommunikation erfolgt, neben den sprachlichen Elementen, vorrangig über körperlichen Aus-druck, das heißt Gesten, Stimmton und die gesamte Körperhaltung. Das menschliche Medium der Kommunikation ist der Körper. Ob Stimme, Geist oder der ausdrückende Körper. Reflexion ist immer auch ein Akt der Kommunikation, ob dies im Individuum allein oder in der Gruppe ge-schieht. Dies erklärt die transkulturelle Entstehung und Wirkung, sowie die historische Dimension von performativen Ausnahmetechniken, wie sie Tanzformen darstellen. Der künstlerische Aus-tausch innerhalb unterschiedlicher Kulturen ist interkulturelle Kommunikation und bewirkt zugleich eine Reflexion des Eigenen und Fremden. Die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Kul-tur, mit den Menschen der vorangegangenen Generationen, der historischen Dimension, welche diese Kultur gestalteten, ist eine Kommunikation mit und über die kulturelle Selbstdarstellung. Re-flexion ist zeitgleich ein kommunikativer Prozess. Wissen ist ein offener prozessorientierter Begriff. Es wird sowohl auf der Ebene geistiger Tätigkeit, als auf der Ebene körperlichen Handelns generiert und geäußert. Dies kann über performative und diskurstheoretische Hinterfragung, Einsicht und dem Erkennen von Zusammenhängen bestehender Ordnungen geschehen. „Die Begründung des Wissens kann der Erfahrung … entnommen werden.“ (WdpB 1998: 737).

Das Ideal des Denkens als diskursive Form des Dialogs ist eine kulturspezifische westliche Vorstel-lung, die einer Korrektur bedarf (Hornbacher 2005:330). Die Konzepte geistigen und körperlichen Wissens müssen sich nicht ausschließen, sie sind vereinbar und können nebeneinander existieren.

Foucault beschreibt die Einbettung von Wissen in der Gesellschaft über Macht als „produktives Prinzip“ in der Gesellschaft. Sie bringt Wissen hervor, erschafft durch ihre Kontrolle das Individuum und ganze Institutionen und Techniken (Foucault 1994:39,250; „Überwachen und Strafen“, im folgenden abgekürzt durch – ÜS). Diese These zeigt erstens die Unmöglichkeit einer exakten fest-zulegenden Definition eines universalen Wissensbegriffs und zweitens die Manipulierbarkeit seiner Anwendung . Deshalb ist der mit dem Wissensbegriff eng verknüpfte Reflexionsbegriff aus die-sem begrenzten Definitionsrahmen zu lösen.

Der hier verwendete Begriff von Reflexion beschränkt sich nicht auf den diskursiv theoretischen Bereich, sondern fokussiert die körperliche und performative Praxis.
Reflexion leitet sich vom spätlateinischen reflexio, ‚das Zurückbeugen, -biegen, -krümmen’ her und steht für „wider- / spiegeln, zurückwerfen“ . Reflexion ist das Hinterfragen von Erfahrungen, Handlungen und Erlebnissen. Sie ist eine erneute Betrachtung von scheinbar feststehenden Per-spektiven, eine Spiegelung der Vergangenheit auf die „Ist-Situation“, und damit eine Überprüfung der fortbestehenden Gültigkeit von Normen und letztendlich von Kultur. Der Prozess der Spiege-lung von mythischem Material aus dem kollektiven Gedächtnis auf aktuelle Geschehnisse der Gemeinschaft und des Individuums wird auch über performative Akte ausgehandelt. Bevorzugt geschieht dies in Form von Ritualen, in denen ikonische Symbole performativ Gestalt annehmen und hierüber die soziale Wirklichkeit transformieren. Turner hat in seinen zahlreichen Ritualfor-schungen Beispiele hierfür geliefert .

Wissen und Reflexion sind zugleich Arten der Wahrnehmung. Die aisthesis, griechisch für die Wahrnehmung, ist die sinnliche und philosophische Wahrnehmung.
Aristoteles prägt auch den mimesis Begriff, er steht für die Nachahmung des handelnden Men-schen. Wahrnehmung – aisthesis – ist das Spüren eines immanenten Sinns, der sich in einer konkreten Gegebenheit entwickelt. Wahrnehmung ist ein „Urtext, der seinen Sinn in sich trägt“ (Merleau-Ponty, 1962:29).

Ethnologie erforscht weshalb das westliche Körperverständnis diskursiv und stark sprachlastig ist. Ergebnisse hieraus sind, dass nicht-westliche Gesellschaften ein anderes Körperverständnis und Körperbild haben und dass Reflexion nicht nur auf der Ebene des Geistes ausgehandelt wird. So stellt sich heraus, dass fremde Kulturen auf andere Arten und Praktiken Kultur aushandeln. Die Divergenz des westlichen und der anderen Konzepte führt nicht zu Unvereinbarkeit. Die differen-ten Praktiken der Reflexion können sich durchaus bedingen und parallel nebeneinander existieren und Reflexion somit auf diversen Pfaden ermöglichen und begünstigen (Hornbacher 2005:158 ff., 251 ff.).

Wie und was sind diese anderen Formen der Reflexion? Performative Handlungen stellen oft eine Widerspiegelung von Kultur und einen Wahrnehmungsprozess dar. Durch ihre körperliche Darstel-lung wird der reflexive Akt über das Medium Körper, nicht über das Medium Sprache ausgehandelt. Der Akteur und der Zuschauer nehmen die Darstellung auf einer nicht-diskursiven Ebene wahr, das heißt kinästhetisch . Im Anschluss daran kann eine diskursive Reflexion in Dialo-gen Fachzeitschriften und Kritiken stattfinden. Hier zeigt sich die vorangehend erwähnte unproblematische Koexistenz unterschiedlicher, aber sich ergänzender Denkmodelle. Ethnologie, definiert als „Wissenschaft vom kulturell Fremden“ (Kohl:2000), schließt die Erforschung von fremden Wissenskonzepten mit ein, welche weder diskursiv angelegt sind noch so verhandelt werden. Das Medium für performatives Aushandeln von gesellschaftlichem Wandel und Kultur ist verkörpertes Wissen, „tacit knowledge“ welches sich in tänzerischer Ausnahmetechnik manifes-tiert. Reflexion ist

„ … der Ausdruck jener subversiven individuellen Freiheit, die Foucault als die genuin menschliche Fähigkeit beschreibt, geschichtliche Habitualisierungen reflexiv zu transzendieren und kreativ zu modifizieren … “ (Horn-bacher 2005:159).

1.2.2 Ausnahmetechnik Tanz und verkörpertes Wissen

Durch kulturwissenschaftliche Forschung zu den Phänomenen „Ritual, Religion, Trance, Landrecht, Wirtschafts-, Politiksysteme, Soziale Organisation“ wurde Tanz von Anbeginn der Ethnologie als bedeutender Teil von Kultur wahrgenommen . „Tanz ist ein Komplex physischer, emotionaler und kognitiver gesellschaftliche Aktivität, welche kulturell geprägt ist.“ (EoSCA 2005:147, Übersetzung von mir). Die Entwicklung der Tanzethnologie setzte erst in den 1970er Jahren mit der Struktura-listin Adrienne Kaeppler, Jeane Keallinohomoku und Judith Hanna ein. Auf die Bedeutung des sozialen Körpers und seiner Wahrnehmung in einer Kultur als konstituierendes Element für sozia-les Verhalten ging insbesondere Mary Douglas („Natural Symbols“ 1970) mit den Theorien von Émile Durkheim und Pierre Bourdieu ein. Douglas erkannte, dass das, was den traditionellen Klas-sifikationskriterien nicht eindeutig zugeteilt werden kann, nahezu weltweit als „unrein“ gilt. In den darauffolgenden zwei Jahrzehnten konnte sich ein eigener Forschungsbereich „Körper“ mit den soziopolitischen und kulturellen Wirkungsfeldern wie Performanz, Geschlechterkonstruktion, Kommunikation, Erinnerung und Körper als Medium innerhalb der Ethnologie etablieren . Zum Überblick der Entwicklung und mannigfaltigen Themen der Tanzethnologie möchte ich auf die Werke von Nürnberger (2001), Reed (1998) und Weidig (1984) verweisen.

Auch in Deutschland entwickelte sich eine eigenständige Tanzforschung. Die Einrichtung des Son-derforschungsbereichs Performanz an der Freien Universität Berlin, die Integration tänzerischer Praxis in den Theaterwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München und die Füh-rung der körperrelevanten Begriffe wie etwa Kinästhesie, Tanz, Performanz, und verkörpertes Wissen in diversen Enzyklopädien und Veröffentlichungen zeigt dies. Ein zunehmend interdiszipli-närer Diskurs entwickelt sich, der nicht nur die Humanwissenschaften und Kunstwissenschaften zusammenführt, sondern vermehrt das Forschungsobjekt selbst, die Tanzpraxis, und den Diskurs der Tanzszene in die Forschung integriert. Dieser interdisziplinäre Ansatz stößt neue Denkmodelle an. Der tanzende Körper wird als Kunst verstanden.
Ethnologen summieren unter dem Forschungsobjekt Kunst hauptsächlich die dem jeweiligen Volk eigenen ikonischen Klassifikationen als Ganzes. Trägt eine einfache ikonische Form eine starke semantische Bedeutung, so wird sie zu den elaborierten Ritualformen gezählt, welche unter dem Begriff Kunst verzeichnet werden (Firth 1992). Die Natürlichkeit, Expressivität und Eigendynamik körperlicher Bewegungsmodalität ist das Motiv, weshalb der Körper in der rituellen Performanz das zentrale Medium ist. Tanz eröffnet die Offenbarung von kognitiven und affektiven Strukturen (Y-oungerman zit. in Weidig 1975:117ff.).

Tanz ist produkt- und prozessorientiert. Er erschließt sich aus sich selbst heraus. Tanz ist ein non-verbales System der Kommunikation, spezialisiertes motorisches Verhalten, Spiel, künstlerisches Gestalten und er kann veränderte Bewusstseinszustände hervorrufen (Hanna 1975, Williams 1991, Nürnberger 2001). Tanz ist performatives Handeln und Kommunikation. Der Körper ist eine Basiskategorie. Tanz konstituiert soziale Handlungen und Strukturen (Kaeppler, Keallinohomoku).
Tänzerische Praxis ist als Ausnahmetechnik performativen Handelns zu bezeichnen. Sie ist eine Technik mit einem gebündelten und konzentrierten Repertoire an körpersprachlichen Bewegun-gen und Bewegungsfindungen. In Ausnahmetechniken vollzieht sich reflexives Handeln über den Körper, da über Symbole und Bewegungen und deren Bedeutung Sinnzusammenhänge darge-stellt werden und sich in ihnen kulturelle Welterklärungen darstellen. Somit können sie gesellschaftliche Normen und Geschehnisse kritisieren und Prozesse der Transformation anstoßen. Tanz ist ein westlicher Kategorienbegriff. Da in den hier ausgewählten Tanzformen Teile westlicher Tanzformen im Fusionsprozess inkorporiert wurden, sehe ich von einer kritischen Diskussion der Begriffsverwendung ab. Die japanischen Butohtänzer der 1960er Jahre waren durch westliche Tanzkultur beeinflusst. Die Krumping Tänzer der 1990er Jahre entspringen einer westlichen Kultur. Somit stellt sich die Frage nach dem Überstülpen, eines in der Kultur unbekannten Begriffs m.E. nicht.
Tanz ist ein offener Prozess, der die Fusion von Stilen, Strata und Kulturen begünstigt. Die darstel-lende Kunst Tanz ist als Konzept zu verstehen. Dabei nimmt die Rolle des Tanzes in einer Kultur mit seinen normativen, symbolischen und ästhetischen Bedeutungen einen wichtigen Stellenwert für das Äußern und das Aushandeln einer Vielzahl an kulturellen Elementen ein. Der Körper ist ein besonderes Medium, dass dem Menschen unerschöpfliche Möglichkeiten der Kommunikation und Erkenntnis eröffnet. „Durch die Plastizität des menschlichen Leibes werden alle erdenklichen Abstu-fungen zwischen den Gegensätzen möglich.“ Hornbacher (2005:299) beschreibt in einer Übersetzung von der performativen auf die diskursive Ebene, den Raum den der Körper einneh-men kann, sowie seine unendlichen Bewegungskombinationen. Der Mensch ist zweifach durch den Körper konstituiert, er hat einen Körper und er ist Leib (Plessner 1975 ). Das Anerkennen dieser doppelten Konstitution ist Voraussetzung für die tänzerische Arbeit mit dem Körper.

Kunst als Symbol ist nie nur eine einfache Referenz auf etwas anderes, sondern eben das, was anders nicht bezeichnet werden kann, das ist das Unaussprechliche. Das ist die Erklärung für die Existenz von Tanz. Über die Sinne kann man auf vielfältige Arten wahrnehmen und Erlebnisse kreativ verarbeiten, das generiert Symbole. So ist der eigentliche Sinn der mimesis etwas perfor-mativ darzustellen. Tanzen ist keine mimesis im aristotelischen Sinne des bloßen Nachahmens, sondern ein aktives, kritisches, reflexives und produktives Schaffen. „Im bloßen Nachahmen ent-steht dasselbe noch einmal, im Mitmachen entsteht Eigenes aus dem Fremden.“ (Waldenfels 2007:20). Dies entspricht dem Vorgang des kindlichen und späteren Lernprozesses. Tänzerische Ausnahmetechnik ermöglicht ein prozedurales “Zur-Erscheinung“ bringen von dem, was anders nicht bezeichnet werden kann. Es handelt sich nicht um die Reproduktion, um eine bloße Kopie, wie sie Heidegger verstanden hätte („Ursprung des Kunstwerks“ 1960). Dieser Prozess beschreibt einen Teil der Sinnstiftung in der Gesellschaft. Tanzsprache ist eine Ausnahmetechnik. Sie macht Ereignisse und Diskurse sichtbar, die unter der Oberfläche liegen oder von der diskursiven Kom-munikation qua sozialer Norm ausgeschlossen sind. Die Ausnahmetechnik charakterisiert ein Spannungs- und Reflexionsverhältnis zum Alltagshabitus. Der Unterschied zwischen alltäglichem verkörpertem Wissen (Fahrradfahren) und der performativen Ausnahmetechnik liegt im Sicht-barmachen und in der Reflexion. Tanztechniken sind nicht unbewusste Habitualisierungen, sondern sie hinterfragen und bestätigen Bestehendes und erschaffen Neues. Das praktische Wis-sen einer Tanzform eröffnet einen neuen Raum der Auseinandersetzung, der Kommunikation und ist somit ein reflexiver Akt.

Zusammenfassend möchte ich anhand einer selbst generierten Abbildung, die Verschränkung von Geist und Körper als unumgängliche Einheit menschlicher Existenz darstellen. Vorab soll damit meine Position dargelegt werden. Die Kreation von Kultur, Tanztechnik und Reflexion ist eine ge-nuin menschliche Fähigkeit. Die Bildung von Kultur und Tanz wird in enger Verschränkung von Geist und Körper generiert und kann reflexiv von statten gehen.

Abbildung 2 „Geist – Körper Einheit“
(eigene Darstellung)

1.2.3 Kinästhesie und „tacit knowledge“

Kinästhetik lässt sich vom griech. „kinesis“ (Bewegung) und „aesthesie“ (Wahrnehmung) herlei-ten. Es steht für das Wahrnehmen der Bewegung über die Sinne und für die menschliche Bewegung, die für die Ausübung der täglichen Funktionen des Lebens erforderlich ist (Hatch /Maietta 1999:29). Als kinästhetische Wahrnehmung bezeichnet man eine Komponente der hap-tischen Wahrnehmung, durch die eine Bewegungsempfindung und das Erkennen der Bewegungsrichtung ermöglicht wird. Die Haptische Wahrnehmung lässt sich vom Griechischen haptikos ‘greifbar‘, auch taktile Wahrnehmung und Tastsinn genannt, und vom lateinischen tange-re ‘berühren‘ ableiten. Es ist die Fähigkeit der Bewegungsempfindung und des Erkennens der Bewegungsrichtung. Kinästhesie ist das Wissen, mit dem die Lage und Bewegungsrichtung von Körperteilen zueinander und in Bezug zur Umwelt mit Hilfe von Propriorezeptoren unbewusst-reflektorisch kontrolliert und gesteuert wird.
Das Wort Kinästhesie ist eine Neubildung des Neurologen Henry Charlton Bastian (WdpB 343), sie ist eng mit der Sensomotorik verbunden. Diese beschreibt den Prozess, in dem der Körper ei-nen Gegenstand vor sich spürt. Dieses sensorische Signal erfolgt vor einem visuellen Reiz an das Großhirn. Der Mensch kann somit ohne bewusst „gedacht“ zu haben reagieren, und das, außer-halb von routinierten Bewegungen, wie dem Gehen.
Die Kinästhesie ist eine eigenständige Wissensform mit der Eigenschaft reflexiver Tätigkeit. In per-formativen Körpertechniken des Tanzes kommt dies kinästhetische Erkenntnisvermögen zum Tragen. Auch das ästhetische Erkenntnisvermögen ist in der menschlichen Fantasie und dem Verstand verankert.

Der Begriff „Kinesics“ stammt von Ray Birdwhistell , ein ehemaliger Balletttänzer und späterer Ethnologe. Er widmete sich damit der Erforschung nonverbaler Körperbewegung, Gesten, Ge-sichtsausdrücken und systematischen Modi der Kommunikation. Viele Bewegungen verlaufen auf einem niedrigen Bewusstseinslevel. Diese können insbesondere in interkultureller Kommunikation zu Missverständnissen führen. Jede Körperbewegung hat eine Bedeutung und ist also nicht zufällig und zudem kontextabhängig (Birdwhistell 1970).

“Human gestures differ from those of other animals in that they are polysemic, that they can be interpreted to have many different meanings depending on the communicative context in which they are produced”. (TDoA:223)

Diese Polysemie ist Kernelement der kommunikativen Eigenschaft des Tanzes. Dies macht die Bandbreite seines Wirkungsfeldes aus, und erklärt die Möglichkeit eines interkulturellen Verständ-nisses, ohne auf Sprache und kulturelle Kenntnisse zurück greifen zu müssen. Damit soll nicht von der Notwendigkeit abgelenkt werden, dass der Kontext, aus dem eine Körpersprache erwächst bekannt sein muss, um die Polysemie kulturspezifisch zuzuordnen. Trotzdem hat Tanz ein enor-mes Potential für die transkulturelle Kommunikation. Dies zeigt sich in der internationalen Rezeption und Adaption der Tanzformen Butoh und Krumping.

Vielen Tänzern ist die kinästhetische Erkenntnis gemein, dass der Körper die Erinnerungen an die Lebenserfahrungen und -bedingungen speichert. Der Tänzer erinnert Bewegung kinästhetisch, da die Choreografie nicht oder nur teilweise an eine Melodie und bestimmte Wörter im Liedtext an-lehnt. Sein kinästhetisches Bewusstsein ist das räumlich-zeitliche Innenbild seines Körpers.

„Man kann mit dem Körper denken … würde ein Tänzer jede Bewegung erst mit dem Kopf durchdenken, bevor er sie ausführt, wäre er nicht in der Lage, eine einzige Sequenz in der gebotenen Geschwindigkeit zu tanzen…“ (Servos 2003:22).

Der Wissenschaftler und Philosoph Michael Polanyi prägte den prozesshaften Begriff „tacit kno-wing“. Sein Aphorismus „We know more than we can tell“ (Polanyi 1985:14) bringt das Wesen des Begriffs auf den Punkt. Der Begriff „tacit knowledge“ bezeichnet eine Kategorie von implizitem Wissen, welches oft nicht als solches wahrgenommen wird, verkörpert sein kann und tradiert wird. Das Beherrschen einer körperlichen (Alltags-) Handlung ist meist unbewusst verkörpert. „Tacit knowledge“ ist nicht verbal kommuniziertes Wissen. Ein Wissen, das sich selbst performativ repro-duziert. Bourdieu (1992) bezeichnet dies als Habitus, ein System verinnerlichter Muster, das aus Technik plus Wissen zustande kommt. Bourdieus These des unbewusst reproduzierten Habitus kann in vorliegender Arbeit nicht bestätigen werden (sh. ebs. Hornbacher 2005:384).
Der Lernprozess tänzerischer Bewegung vollzieht sich fast ausschließlich über tradiertes Wissen. Das Lernen einer tänzerischen Praxis findet meist in Gemeinschaft statt (dies kann Schüler und Lehrer umfassen) und geschieht über Nachahmung, Wiederholung, Üben und Praxis. Hierbei wird Geist und Körper gleichzeitig und wechselseitig entwickelt. Das eine ist ohne das andere nutzlos. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung. Um dem Exercice (Übungseinheit im Ballett) eines professionel-len Ballettmeisters folgen zu können, muss einerseits der Geist die sprachlich und verkürzten fachterminologischen Anweisungen sowie die körperlich vereinfachte Darstellung des Exercice, welche maximal 20 Sekunden betragen, verstehen. Andererseits muss der Körper für die Ausfüh-rung die notwendige Technik beherrschen. Was aber ist mit der Transferleistung vom Geist in den Körper? Hierfür ist gerade mal eine Sekunde Zeit, da dann der Klavierspieler einsetzt und somit das Exercice startet. Die Verbindung zwischen Geist und Körper wird durch die kinästhetische Wahrnehmung und Erkenntnis ermöglicht. Eine tänzerisch Ausnahmetechnik bezeichne ich auch als „tacit dancing“, da sie eine habitualisierte Wissensform ist.
Der Körper und das vorhandene Wissen erlaubt dem Leib im geforderten Tempo zu agieren. Das Instrument Körper und die Technik der Tanzform verleiht dem Individuum ein Kommunikations-medium, hierüber handelt es kulturelle Prozesse aus. „Tacit knowledge“ wird zum „tacit dancing“.

.„Gesellschaftliche Praxis bringt gemeinsame und kulturspezifische Habitualisierungen hervor, die als unbewuss-tes lokales Wissen betrachtet werden können (und sich eben deshalb nicht als Gegenstand von Diskursen artikulieren lassen.)“ (Hornbacher 2005:156)

Hastrup entwickelt über den Begriff des verkörperten Wissens eine „Kritik am kognitiv verengten westlichen Erkenntnismodell.“ (Hornbacher 2005:155 ff.). Diese These wird im theoretischen Teil mit Foucault wider aufgegriffen.
“Tacit knowledge“ ist verkörpertes Wissen. Wenn dies verkörperte Wissen bewusst erforscht und weitergebildet wird, entwickelt sich das, was ich Ausnahmetechnik nenne. Hier offenbart sich ein reflexives Potential des Körpers. Viele Tänzer und Choreografen widmen sich weltweit dem be-wussten Bildungsprozess körperlich performativer Ausnahmetechniken, die zugleich interkulturelle Kommunikationsformen darstellen.

1.3 Methodik

Nach der Erläuterung grundlegender Begriffe des Themas wird nun darauf eingegangen, welche theoretischen Konzepte und Theorien die wissenschaftliche Literatur bereithält, um die For-schungsfrage zu bearbeiten. Für die Beantwortung dieser Frage werden die relevanten theoretische Konzepte im Bereich Ritual, Performanz und Körpertechniken geklärt. Wissenschaftli-che Literatur aus den Bereichen Philosophie, Theaterwissenschaft und Ethnologie wird dafür herangezogen. Für die Analyse der Tanzform Krumping werden hauptsächlich Interviews der Tän-zer aus dem Dokumentarfilm RIZE (David LaChapelle 2005) verwendet. Darüber hinaus werden Presseartikel sowie Internetseiten zitiert. Bisher gibt es keine wissenschaftliche Literatur zu Krum-ping (Entstehung der Tanzform 1992). Die internationale Krumping-Tanzgemeinde nutzt das Internet zur Bekanntmachung und zum kommunikativen Austausch über ihren Tanz- und Le-bensstil. Da keine Feldforschung durchgeführt wurde, wird versucht über diese Medien, die zugleich Lebensräume der Künstler sind, eine emische und kritische Perspektive auf ihr ästheti-sches Selbstverständnis zu erlangen. Für die Tanzanalyse wurde ein Kategorienkatalog entworfen und für die Bewegungsanalyse von Krumping dienen Tanzsequenzen aus dem Dokumentarfilm RIZE. Es ist mir ein Anliegen die Bewegungsanalyse stückweise anhand von der Bewegung selbst vorzunehmen, da sich die Forschungsfrage auf ein Phänomen „in Bewegung“ konzentriert.

2 Performanz- und Ritualtheorien

„Die Körper / Geist Dichotomie ist falsch.“

In diesem Kapitel wird Marcel Mauss, als ein Wegbereiter vorgestellt, der den Körper als Wissen-schaftsobjekt in die Soziologie und die Kulturwissenschaften einführte. Anschließend werden einige Theoreme des französischen Philosophen Michel Foucault vorgestellt. Dieser Teil umfasst die „Dis-kursanalyse”, die „Disziplinargesellschaft“, die körperlichen „Disziplinartechnologien” und die reflexiven Qualitäten von Leibtechniken. Als zweiter Teil wird das Ritualtheorem des schottischen Ethnologen Victor Turner erläutert. Sein Modell des „sozialen Dramas“ und der “Communitas” bil-den ein gutes Fundament für das dritte Kapitel der Arbeit, in dem die Tanzformen dargestellt werden. Beide Theorien bilden die theoretische Säule der Arbeit.

„Culture … is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom and any other ca-pabilities and habits acquired by man as a member of society.“ (Tylor 1871 in EoSCA:137)

Dies Zitat belegt, dass diskursive Erklärungen kulturell geprägt sind. Einige abendländische Kon-zepte, wie Wissen und Kunst, sind nicht übertragbar, da sie in anderen Kulturen schlichtweg nicht existieren. Es gibt unterschiedliche Konzeptionen dieser Welt und damit verbunden unterschiedli-che Begriffe, Wahrnehmungen und folglich Prozesse der Reflexion. Dies ist keineswegs im Sinne eines ausgrenzenden „Othering“ gedacht, sondern als ein Angebot, die eigenkulturellen Dimensio-nen der Welt zu begreifen und zu erweitern. Denn solange der interkulturelle Austausch allein auf den theoretischen Diskurs westlicher Aporien beschränkt ist, formt dies eine methodische Schran-ke, um marginalisierte und ausgegrenzte Formen reflexiver Praxis als Wissensform etablieren zu können. Der tanzende Körper bietet hierfür ein gutes Beispiel. Dem Köper wird in der westlichen Kultur jegliches Erkenntnispotential a priori und a posteriori abgeschrieben. Er wird als funktionaler Gesundheits- und Schönheitsapparat verstanden. Dass der Leib Erkenntnis generiert und vom ersten Seinsmoment an Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnisse über seine Sinne spei-chert, bleibt dabei außen vor. Das alles was der Mensch erfährt und aushandelt, dass sein Status als Akteur zuallererst seiner phänomenologisch zweifachen Konstitution geschuldet ist, dass er Körper ist und zugleich einen Leib hat (Merleau-Ponty), gerät dabei in Vergessenheit. Dadurch, dass die weltweite Agenda der wissenschaftlichen Diskurse, Inhalte und Themen von westlich ge-prägten philosophischen Aporien und Methoden beherrscht wird, ist geistiger Imperialismus und Postkolonialisierung als fortgeführte Repression die Folge. Das heißt, dass fremde Denkmodelle bereits an der Einlassschranke eurozentrischer Wissenschaft, aufgrund differenter Methodik und Inhalte zurückgewiesen werden.

2.1 Marcel Mauss – „Körpertechniken“

„Ich kann mich nicht von meiner Technik trennen“ (Mauss 1978:201)

Marcel Mauss der französische Soziologe und Philosoph hat Anfang des 20. Jahrhunderts einen entscheidenden Anstoß dazu gegeben, dass der Körper als kulturwissenschaftliche Kategorie und als ein eigenständiges Medium der Kommunikation etabliert wurde. In seinem 1934 gehaltenen Vortrag „Die Techniken des Körpers“ vor der Société de Psychologie stellt Mauss die kulturgebun-dene Bedingtheit menschlicher Bewegungen fest. Bereits die grundlegendsten körperlichen Tätigkeiten wie Schlafen, Essen oder Gehen sind „kulturspezifische Körpertechniken“. Die Bestim-mung der Art und Ausgestaltung von Bewegung ist demnach primär in der Gesellschaft, und nachrangig beim Individuum angesiedelt. Jede Tätigkeit und Bewegung, das Empfinden das der Mensch zu, in und über seinen Körper hat, wie er ihn sieht und fühlt, bewertet und welche Bedeu-tung er ihm zuschreibt, ist kulturell geprägt. Die Form körperlicher Bewegungen ist nicht per se und natürlich gegeben, sie stellt eine kulturspezifische Fähigkeit dar. Mauss führt in seiner Argu-mentation den Begriff „Habitus“ ein, den er im lateinischen Sinne und weiter als „Gewohnheit“ oder „Fähigkeit“ auffasst:

„Man hat darin Techniken und das Werk der individuellen und kollektiven praktischen Vernunft […], da wo man gemeinhin nur die Seele und ihre Fähigkeiten der Wiederholung sieht [zu verstehen].“ (Mauss 1978:202).

Der Habitus-Begriff beschreibt die unbewusste Verkörperung. Der menschliche Körper ist ein Me-dium der Kommunikation. Der Körper ist nicht nur biologisches Instrument zur Ausführung zweckrational motivierter Erregungsübertragungen an Synapsen. Er ist kulturspezifisch geprägt und sozialisiert. Diese körperliche Akkulturation wird als natürlicher Umgang des Körpers empfun-den und sprachlich angeeignet .

„Diese ständige Anpassung an ein physisches, mechanisches, chemisches Ziel (zum Beispiel wenn wir trinken) wird in einer Reihe festgelegter Handlungen verfolgt, und zwar beim Individuum nicht einfach von ihnen selbst festgelegt, sondern durch seine ganze Erziehung durch die ganze Gesellschaft, dessen Teil es ist, an dem Platz in ihr, den es einnimmt.“ (Mauss 1978:206)

Die Techniken sind traditionelle und wirksame Handlungen und somit nicht von der rituellen, religi-ösen, symbolischen und magischen Bezeichnung zu unterscheiden.
Die Methoden und Ergebnisse der „Körpertechniken“ von Mauss haben, die durch sie ausgelöste französische soziologische Forschung der Gesten stark beeinflusst. Dass kulturelle Repräsentatio-nen und sozial erlernte Praktiken von Personen verkörpert und aktiv ausgedrückt werden, ist in den Arbeiten von Marcel Mauss und später von Pierre Bourdieu (1977) mit den Begriffen „Habitus“ und „symbolisches Kapital“ weitergeführt worden.

2.2 Michel Foucault – „Subversive Gegenwissenschaft“

„Ich versuche eben zu diagnostizieren: die Gegenwart zu diagnostizieren.“ (Foucault 1991:12, „Von der Sub-version des Wissens“, im folgenden abgekürzt durch – SdW)

Der französische Philosoph und Geschichtswissenschaftler Michel Foucault hat mit seinen Arbeiten zur Interdependenz von Macht und Wissen und der historischen Diskursanalyse der Humanwis-senschaften einen grundlegenden Beitrag für die Entwicklung der postmodernen Geisteswissenschaften geleistet. Mit der Analyse des epochalen Wandels im Wahrheits- und Er-kenntnismodell der Aufklärung hat er eine weit reichende Kritik der Moderne vom 17. bis zum 19. Jahrhundert und dessen Adaption in den Geisteswissenschaften geliefert. Inspirationsquellen wa-ren unter anderen die Philosophen und Kritiker konkurrierender Erkenntniskonzepte wie Friedrich Nietzsche mit seinen Abhandlungen zu Wahrheit, Erkenntnis und Macht, Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie mit dem Konzept der Familienähnlichkeiten und der kontextuellen Beleuchtung des Gebrauches der saussurschen parole , die Phänomenologen Martin Heidegger und Husserl und die ökonomischen Theorien von Karl Marx. (Sie haben ihrerseits „Gegenkonzepte“ zum aristo-telischen „mimesis“ – Modell entworfen und prominente Arbeiten über Körper, Macht und Ökonomie hinterlassen . Das Modell des Theaters als reine Nachahmung anstatt eigenständig kreativen Schaffens wurde von Aristoteles eingeführt und beschreibt die darstellenden Künste als Abbildfunktionen.) Foucaults Ideen sind zudem aus der Dualität von Strukturalismus und Surrea-lismus inspiriert. Diese Perspektive radikalisiert sich in der Richtung des Szientismus, und nimmt zeitweise anarchische Züge an. Fragen, die er als zentral für die heutige Philosophie bezeichnet sind:

„Wie formiert sich Wissen in einer Gesellschaft und wie transformiert es sich darin? Wie vollzieht sich die Aneig-nung und Verteilung des Wissens? Wie kann sich Wissen in einer Gesellschaft konstituieren, entwickeln, seine Kräfte mobilisieren und sich einem Wirtschaftssystem unterordnen?“ (Foucault, 1991:133).

Foucault widmet seinem Werk „Wahnsinn und Gesellschaft: Eine Geschichte des Wahns im Zeital-ter der Vernunft.“ (1961) die Untersuchung der Entstehungsgeschichte des Phänomens Wahnsinn als gesellschaftliche Kategorie und sowie der Behandlungsmethoden. In Fortführung an „Wahnsinn und Gesellschaft“ spürt er in „Die Geburt der Klinik: Eine Archäologie des ärztlichen Blicks“ (1963) den universitären Lehrkrankenhäusern nach. In „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Ge-fängnisses“ (1981), dient das Gefängnis, als Paradebeispiel einer normierenden Institution und einer eingehenden Analyse der leiblichen Disziplinartechnologien. Im Vorwort zu „Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften“ (1971) legt er eine seiner grundlegenden Thesen dar. Nach der abendländischen Episteme der „Ratio“ und der Wende des 19. Jahrhunderts zur Schwelle der Modernität, hat es bis heute keine bedeutenden konzeptionellen Neuerungen in Form neuer Denkmodelle gegeben.

Foucault befasst sich mit Unterschieden und zur Analyse dient ihm das Konzept des Diskurses. Dabei interessiert ihn weniger der Unterschied den das europäische Denken ausmacht, als viel-mehr das was die Unterschiede und ihren Wandel über die Zeit konstituiert. Er arbeitet strikt nach der historischen Methode und lehnt es folglich ab Begründungen ohne ihren historischen Kontext zu untersuchen. Das beschreibt zugleich den Prozess der “Formation des Diskurses“. Die Bedeu-tung einer Aussage hängt von den Normen ab, welche die Bildung des Diskurses der sie angehört kennzeichnet. Zentral ist wer sich für die Bedeutung interessiert. Von diesem Interesse geht ein bestimmter Prozess der Sinnzuschreibung aus. Das heißt, dass ein Element aus der emischen Sichtweise und seinem Ursprung nach, etwas bedeuten kann, oder nicht. In einem weiteren Schritt der semantischen Analyse ist die Vieldeutigkeit der Interpretationen mit ein zu beziehen. Foucault stellt fest, dass die ästhetische Kommunikation gezielt dort gewählt wird, wo ein diskursi-ves Aushandeln nicht möglich ist. Entweder weil es nicht der adäquate und sinnvolle Weg ist oder weil schlichtweg keine andere Kommunikationsform in dem spezifischen Kontext normativ zuge-lassen ist. Eine Alternative zum diskursiven Aushandeln ist die tänzerische Praxis, hierüber kann subversive Kritik und das Unaussprechliche geäußert werden. Die Regeln des Aushandelns bezüg-lich der unterschiedlichen Kommunikationsinhalte und – ebenen, sind in jeder Gesellschaft nach ihrem eigenen komplexen Normengerüst festgelegt . Die Entwicklung eines Diskurses erzeugt ständig neue Meinungen und manche davon leiten einen Wandel im Diskursbildungsprozess ein. Um die Bildung eines Diskurses zu beschreiben, befasst sich Foucault auch mit den ausgestoßenen und vergessenen Diskursen welche den Entwicklungsprozess nicht beeinflusst haben. Deren Diffe-renz zu dem dominanten Diskurs beschreibt den Diskurs zugleich. Demnach können die spezifischen Systeme beschrieben werden die einen Diskurs bestimmen. Einerseits untersucht Foucault wie sich ein Gegenstand als „Wissen“ konstituiert, „andererseits handelt es ich darum, wie ein bestimmter Typ des Diskurses funktioniert…“ (SdW:14).
Im Gespräch mit Paolo Caruso bringt Foucault am Beispiel der Literatur des obsessiv neurotischen Schriftstellers Raymond Roussel die historische bedingte Funktionsweise von Diskursen auf den Punkt: “Wie ist es möglich, dass ein Diskurs in einer Periode als pathologischer fungiert und in einer anderen Periode als literarischer?“ (SdW:11)

Einzureihen in solche Fragen ist die, nach der Rangordnung der Sinne. Die fünf Sinne Tasten, Schmecken, Sehen, Riechen und Hören sind Instrumente anhand derer sich der Mensch die Welt erklärt. An und für sich könnten alle Sinne gleichberechtigten Einfluss auf die Gestaltung der tägli-chen Wahrnehmung nehmen.

Abbildung 3 „Einfluss der Sinne“
(eigene Darstellung)

Doch in jeder Kultur herrscht eine spezifische Hierarchie der Sinne vor. Die Wertigkeit, die den ein-zelnen Sinnen bei der Erklärung der Welt zukommt, ist eine Grundlegende. Die Bewertung von Wahrnehmungen obliegt einer kulturspezifischen Sozialisation (Rein 2000). So liegt in der westli-chen Konzeption eine klare Hierarchie der Sinne vor, die sich folgendermaßen gliedert: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten.

Abbildung 4 „Einfluss der Sinne: Hierarchisch kulturelles Konzept“
(eigene Darstellung)

Der objektive Erkenntnisanspruch der abendländischen Philosophie ist die ordnende Struktur. Die Performanz spricht die synästhetische Wahrnehmung an und geht mit der Auflösung der Form einher, um darin ihre Bedeutung zu finden. Das ist ein Zugang zur Weltrezeption, der sich über kinästhetische Reflexion vollzieht. So wird nicht zwingend in performativen Akten Inneres ausge-drückt, als vielmehr Äußeres. Fritz Kramer distanziert sich in „Der rote Fes. Über Besessenheit und Kunst in Afrika“ (1987) davon, Besessenheit als etwas Pathologisches anzusehen, vielmehr ver-steht er diese mimetische Vergegenwärtigung als einen Umgang mit dem Fremden. Besessenheitsrituale sind eine weit verbreitete Art der Welterfahrung in Afrika. Darüber wird das Fremde dargestellt und reflektiert, dies ist die soziokulturell gewählte Form der Inkorporation des Unaussprechlichen. Diese diskurs-befreite Art des Umgangs mit dem Fremden ist für die abend-ländische „Bewältigung“ des zunehmenden, globalen Migrationsstroms ein sicherlich bereicherndes Anschauungsbeispiel. So betont Wulf (1998: 260; 2007:129) das Potential „immaterieller kulturel-ler“ Praktiken als Konfliktregelungsmechanismus und als Möglichkeit der Öffnung gegenüber dem Fremden und dem Umgang mit kultureller Vielfalt. Foucault bestrebt das „Denken von Außen“. Dies erklärt seine wissenschaftliche Verwandtschaft zur Ethnologie. Das „Denken von Außen“ be-schreibt er als ein Verhältnis zwischen der „Innerlichkeit unserer philosophischen Reflexion und… [der] Positivität unseres Wissens“ (SdW::49). Die zu Grunde liegende Frage ist inwiefern das Sub-jekt legitimieren kann was es sagt. Foucault sieht die Möglichkeit einer Legitimation in der Anpassung an bereits bestehende Diskurse.

„Was ist das für ein Wesen, das in der Weite des Cogito glitzert und sozusagen blinkt, das aber nicht unabhän-gig in ihm und von ihm gegeben wird? Was ist das für ein Verhältnis und für eine schwierige Zusammengehörigkeit des Seins und des Denkens? Was ist das Sein des Menschen und wie kann dieses Wesen, das man so leicht dadurch charakterisieren könnte, das „es Denken hat” und dass es dies vielleicht alleine be-sitzt, eine unauslöschliche und grundlegende Beziehung zum Ungedachten haben? Eine Form der Reflexion errichtet sich, die weit vom Kartesianismus und von der kantischen Analyse entfernt ist, in der es zum ersten Mal um das Sein des Menschen in der Dimension geht, gemäß der das Denken sich an das Ungedachte wendet und sich nach ihm gliedert.“ (Foucault 1971)

Grundlegendes Thema seiner Forschung ist die Entwicklung des modernen humanistischen Denkmodells vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Der Begriff Subjekt lässt sich vom lateinischen subiectum das ‚Daruntergeworfene’, Übersetzung für das griechische hypokeimenon das ‚darunter Liegende’, später im französischen sujet ‚das (der Macht) Unterworfene, Untertan’ herleiten. Mit Descartes Unterteilung vom Geist als dem Ort der spontanen reflexiven Vernunft und dem Körper als bloße Hülle des Geistes wurde eine verheerende Dichotomie eingeführt die bis heute Aufrecht erhalten wird. Durch die Loslösung vom göttlichen Schöpfungsideal wurde eine Erklärung für den Ursprung menschlicher Erkenntnis notwendig. Der Mensch und seine Vernunft war die segnende Antwort. So hallt die Aufklärung mit der Betonung Kants, das wir nichts wissen außer dem Vorur-teil, leise nach. Jedoch, die Konstruktion des Individuums als „Subjekt allen Wissens“ und gleichzeitigem „Objekt eines möglichen Wissens“ führt zu einer unbegründbaren Konstitution des Subjekts. Die Vorausstellung des Menschen zu jeglichem Wissen und seine Positionierung als For-schungsobjekt, sind problematisch und führen zu einem unauflöslichen Dualismus. Nichts desto trotz hält dieses Konzept erfolgreich Einzug im modernen abendländischen Denken und wirkt dort versteckt fort . Dabei bleibt das Problem der Unvereinbarkeit, des unbegründbaren hermeneuti-schen Schlusses, den Kant offen legte, bestehen. Kant bezeichnete den Menschen als “paradoxes Zwitterwesen”, um den methodisch unauflösbaren Widerspruch seines Begründungsanspruchs der endlichen Vernunft zu thematisieren. Die Begründung des Subjektbegriffs als Sinnenwesen und dadurch Wissenschaftssubjekt einerseits, und als vernunftbegabtes Wesen und originäres Prinzip der Wirklichkeit selbst, bleibt fragwürdig. Nach Foucault ist weder Wandel, noch eine uni-verselle Gültigkeit an das Subjekt gebunden. So ist dieser Widerspruch in der Subjektkonstruktion des Menschen direkter Ausgangspunkt der Entstehung der Humanwissenschaften, als „das eigent-lich geschichtsprägende Paradigma des neuzeitlichen Wissens.“ (Hornbacher 2005:124) Dabei übernehmen die Humanwissenschaften die Rolle die „Vernünftigkeit empirisch zu belegen, die sich erkenntnistheoretisch nicht begründen lässt“ (ebd.:125).
Denn die Humanwissenschaften vermengen diese unvereinbaren Positionen der transzendentalen Reflexion und der empirischen Anwendung des Subjekts, in dem sie die Problematik mit einem Machtanspruch verwischen. Foucault beschreibt die Humanwissenschaften nicht als Bereich der sich mit dem Menschen an sich befasst, sondern mit den Phänomenen die im Unbewussten die Regeln und Bedeutungsmengen festlegen, welche dem Bewusstsein die Bedingungen seiner For-men und Inhalte enthüllen. Weiterhin bezeichnet er sie nicht als “Wissenschaften”, da sie hauptsächlich auf der Positivität des Menschseins basieren. Sie bilden dennoch andere Konfigurati-onen des Wissens. Teil dieses anderen Wissens ist gespeist aus dem Ungedachten und in performativen Praktiken auszumachen. Es ist dies ein Wissen, das dem Menschen sein Leben und die Welt erklärt und darlegt, ein aktiver und Sinn bildender Prozess. Diese prozessorientierte Hand-lung wird nicht rein rational, sondern auch sinnlich, emotional und letztendlich performativ geführt. (Foucault 1971:426 ff., „Die Ordnung der Dinge“, im folgenden abgekürzt durch – OD ). Diese Voraussetzung des Denkens des Menschseins als Subjekt, lässt keine Andersartigkeit zu. All das möglich Neue, was vorzufinden wäre bei einer Reise ins Fremde, steht vor Antritt der Reise längst fest. Der Rahmen fremder Denkmodelle ist somit prädeterminiert, und das Beschreiten neuer We-ge, um tatsächlich Neues zu erfahren methodologisch verbaut. In jeder Gesellschaft werden Diskurse produziert, kanalisiert und selektiert, das macht das Ereignishafte des Diskurses aus und begründet die gesellschaftsspezifische Wahrheit und das ihr inhärente Wahrheitsregime .
Mit dem modernen Denken ändert sich das Verhältnis zwischen Wahrheit und Macht. Die Macht in der vorphilosophischen griechischen Antike wurde in sozial vollzogener Praxis, in Form der rituellen Rechtsprechung wirksam. Diese kollektive Handlung war der Garant für die Wahrheit. Spätestens mit Platon wird die Macht zum Garant für verdeckte Machtinteressen (Hornbacher 2005:438 ff.). Die Antike als Zivilisation des Schauspiels, gewann ihre gesellschaftliche Kraft aus dem gemeinsa-men Körper der sich in den Ritualen bildete. In der Gesellschaft der Überwachung „ … wird das Individuum, dank einer Taktik der Kräfte und der Körper sorgfältig fabriziert.“ (ÜS:278)

2.2.1 Ethnologie als „Gegenwissenschaft“

„Es handelt sich nicht etwa darum, ihn [den Menschen] besser und reiner und gewissermaßen befreit wiederzu-finden; sondern dass sie zu dem zurückgehen was seine Positivität nährt. Im Verhältnis zu den “Humanwissenschaften”… [ist] die Ethnologie eher ‘Gegenwissenschaft‘.“ (SdW:454)

Warum kann die Ethnologie die Frage nach reflexiver Performanz stellen und Antworten anbieten? Mit Foucault ist die Ethnologie die Humanwissenschaft, die deren gesamtes Gebiet durchläuft, und “an allen Orten ihre Methoden zur Entschlüsselung und Interpretation vorschlagen” kann. Obwohl ihr breites Forschungsfeld den gesamten Bereich menschlichen Lebens umfasst, zielt sie nicht dar-auf ab, ein einheitliches Bild vom Menschen zu konstruieren und ihn auf das ihm “Spezifische und Irreduzible” fest zu legen (SdW:453). Michel Foucault bezeichnet die Ethnologie als „Gegenwissen-schaft“. Er bezieht sich mit dem Begriff auf eine Wissenschaft die ihre eigenen Prämissen selbst-reflexiv und objektiv hinterfragt. Sie ist sich ihrer Entstehung, Geschichte und Konstitution, sowie der kontextuellen Machtkonstellationen bewusst und stellt sich den Fallstricken selbst auferlegter Beschränkungen. Die Ethnologie untersucht verstärkt die “Invarianten in den Strukturen als die Abfolge der Ereignisse” in Kulturen. So hebt sie den “langen chronologischen Diskurs” auf, um am Beispiel anderer Kulturen in synchroner Perspektive die eigene Kultur zu reflektieren. Die Ethnolo-gie unterscheidet sich maßgeblich von den „Humanwissenschaften“ aufgrund ihres ganz eigenen Ansatzes:

„Statt … die empirischen Inhalte… auf die historische Positivität des sie wahrnehmenden Subjekts zu beziehen, stellt die Ethnologie die besonderen Formen jeder Kultur, die Unterschiede, die sie in Gegensatz zu anderen stehen lässt, die Grenzen, durch die sie sich definiert und in ihrer eigenen Kohärenz abschließt, in die Dimensi-on, in der sich ihre Beziehungen mit jeder der drei großen Positivitäten (Leben, Bedürfnis und Arbeit, Sprache) verknüpfen.“ (SdW:451-452)

Foucault wird noch konkreter in dem er explizit die Kategorie des Wissens nennt, welches die Eth-nologie zu erforschen bestrebt ist: „Die Ethnologie befragt … nicht den Menschen selbst … sondern … jenes Gebiet, das im Allgemeinen ein Wissen über den Menschen möglich macht.“ (SdW: 451-452). Dies Wissen offenbart sich in Ritualen, in leiblichen Praktiken kultureller, performativer Art, und damit auch in Tanzformen. Nach Foucault inkorporiert das Forschungsfeld der Ethnologie an-dere Wissensformen. Gerade da sie universale Geltung besitzt, sollte und darf sie keinen Anspruch erheben, universale Regeln, Systeme und Kontrolle über andere kulturelle Systeme zu verhängen. Sie hat in ihrer Eigenschaft als “Gegenwissenschaft” die Chance kohärent zu bleiben. Foucault plä-diert für eine Ethnologie die ihren Gegenstand gezielt in den unbewussten Prozessen sucht, die

„das System einer gegeben Kultur charakterisieren … Sie würde als System des kulturellen Unbewußten die Gesamtheit der formalen Strukturen definieren, die die mythischen Diskurse signifikant machen, die den Re-geln, die die Bedürfnisse steuern, ihre Kohärenz und Notwendigkeit geben und anders als in der Natur und auf etwas anderem als auf reinen biologischen Funktionen die Normen des Lebens begründen.“ (SdW:450-455)

Die Ethnologie ist “Gegenwissenschaft” der Humanwissenschaften, da sie die Grenzen der Hu-manwissenschaften anerkennt und inkorporiert und sich auf die Positivität des Menschseins konzentriert . Dies schränkt den kulturwissenschaftlichen Forschungsradius nicht ein, im Gegen-teil. Es ermöglicht der Ethnologie in höchstem Maße selbstkritisch die eigene Geschichte, die Formation ihres Diskurses, und die eigenen Methoden und deren zugrunde liegende Gedanken-modelle zu hinterfragen. Die „Gegenwissenschaft“ eröffnet eine selbstreflexive Beobachtung des eurozentrisch geprägten Wissensmodells. Im westlich geprägten wissenschaftlichen Diskurs von Wissen, wird der Körper in Fragen der Erkenntnistheorie als ein Medium der Reflexion ausge-grenzt. Diese bisherige Stigmatisierung gilt es im Sinne einer „Gegenwissenschaft“ kritisch zu analysieren. Die Ethnologie eröffnet in diesem Sinne die Möglichkeit „subversiver“ Reflexion, um die weltweit dominierenden westlichen Wissenssysteme zu hinterfragen und die impliziten Macht-verhältnisse zu thematisieren. Als Wissenschaft vom kulturell Fremden ermöglicht sie den Zugang zu fremden Wissenskonzepten und darüber hinaus die Chance fremde Wissenssysteme in ein einseitiges und überholtes Konzept zu integrieren. Zu betonen ist, dass Foucault oft missinterpre-tiert wird, in dem man ihm zuschreibt er reduziere Erkenntnis auf Macht, dagegen aber sprach er sich explizit aus. Foucault eröffnet einen Weg Wissen in performativem Handeln zu verorten, da er sein Konzept des „subversiven“ Denkens nicht auf den diskurs-theoretischen Rahmen beschränkt, sondern die reflexive Tätigkeit auch in Leibespraktiken als andere und eigenständige Formen des Wissens anerkennt (Hornbacher 2005:128 ff.;383). Foucaults Begriff der „Archäologie“ orientiert sich am Paradigma der Ethnologie. „Thematisiert wird genau das, was nicht aufgeht in der euro-zentrischen Vorerwartung: das inkommensurable Fremde“. (Hornbacher 2005:128).
Eine Möglichkeit sich mit fremdem Wissen auseinanderzusetzen, bedingt die Erweiterung der Wis-sensformationen auf die Dimension der leibbezogenen Techniken und Praktiken (Hornbacher 2005:128). Zudem ist das Handeln aus der Perspektive der Akteure zu untersuchen (Foucault, Bourdieu, Goffman), weil nur aus dieser Sichtweise der Prozess der Reflexion, der Intentionen und das zugrunde liegende Denkmodell erschlossen werden können. Damit spricht er sich gegen „die Möglichkeit eines absoluten Wissens“ wie von Hegel gefordert aus, und schließt sich „Nietzsche in der Skepsis gegenüber jedem ‘Willen zur Wahrheit‘ an“ (Hornbacher 2005:130). Foucault sieht sich als Wissenschaftler einer „Ethnologie der [abendländischen] Kultur“ , um „ihre Kritik zu be-werkstelligen“ (SdW:12).

„Weil sie [die Ethnologie] sich dem zuwendet, dass was außerhalb des Menschen erlaubt, dass man (und zwar in einem positiven Wissen) das weiß, was seinem Bewusstsein gegeben wird oder ihm entgeht.“ (SdW:453)

2.2.2 Die „Disziplinartechnologien“

„Diese Methoden, welche die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung ihrer Kräfte ermöglichen und sie gelehrig/nützlich machen, kann man die “Disziplinen” nennen.“ (ÜS:175)

Im seinem Werk „Überwachen und Strafen“ geht Foucault auf die Entstehung des Gefängnisses um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert ein. Zentrale Themen des Werkes sind “die politische Ökonomie des Körpers”, die Disziplinartechnologien und die Macht in der modernen Disziplinarge-sellschaft. Die Entwicklung der totalen Institution Gefängnis geht mit einer Revolution der “Ökonomie der Züchtigung” einher. Der Wandel der Strafmethode, weg von körperlicher Züchti-gung, hin zur Isolierung ist sogleich, so Foucault, die Etablierung des heutigen Überwachungs- und Disziplinierungssystem . „Wieso hat das zwanghafte, körperlich isolierende und verheimlichende Modell der Strafgewalt das repräsentative, szenische, zeichenhafte, öffentliche und kollektive Mo-dell verdrängt?“ (ÜS:170). Die Antwort findet sich in der Disziplinarmacht, die sich über “die politische Ökonomie des Körpers” vollzieht, denn nur ein Körper der produktiv und unterworfen ist, kann ausgenutzt werden. Der Gegensatz in der rein intellektuellen und der Körperebene ist im Konzept von Theorie und Praxis verankert. Foucault sieht in der reinen Theorie die (zu ihren Zwe-cken umgedeutete) Repräsentation, und in der sozialen Praxis die Performativität. Er sieht im Schauspiel der Antike die “öffentliche Lebensweise” in der die Gesellschaft Kraft aus dem Kollektiv schöpft und zu einem großen Körper wird. Die Wirklichkeit der Überwachungsgesellschaft findet sich nicht im Dualismus von Gemeinschaft und öffentlichem Leben, sondern im Dualismus von Individuum und Staat. Der Wandel im Wahrheitsfindungsmodell im Gerichtswesen des 13. Jahr-hunderts, fußt auf einer Abschaffung der performativen Akte wie dem Eid und dem Gottesurteil mittels der geregelten Technik der Untersuchung.

“Macht” definiert Foucault nicht nach intentionalen Inhalten, sondern nach „konkreten Effekten von Handlungen und Praktiken” (Hornbacher 2005:131). Macht ist die jeweilige Ordnung der Kräfte-verhältnisse die sich ständig wandelt.

„„Zweifellos muss man Nominalist sein: die Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt.“ (Foucault 2008:114)

Wissen impliziert Macht, umgekehrt lenken Machtmechanismen Wissensdiskurse. Nach Foucault steht ausnahmslos jede menschliche Beziehung unter dem Einfluss von Machtverhältnissen. Macht ist nicht lokalisierbar, bedeutet nicht zwingend Gewalt und bedeutet nicht Herrschaft, noch Eigentum. Die verschiedenen Dispositive der Macht, Diskurse und Praktiken, durchdringen die Struktur der Disziplinargesellschaft bis in ihre tiefsten Bestandteile.
Mit dem Wandel des Rechtssystems im 19. Jahrhundert ist der Körper nicht mehr der Marter und Folter, sprich der körperlichen, sondern der sozialen Strafe ausgesetzt. Die Justiz verwirklicht die soziale Vorstellung von Wahrheit. Jeder Körper ist derart diszipliniert, dass er der Wahrheitsvorstel-lung in der Gesellschaft entspricht.

„Das Funktionsverhältnis von Recht und Mensch, das die modernen Strafjustiz kennzeichnet, hat seinen Ur-sprung nicht in der Einbeziehung der Humanwissenschaften mit ihrer neuen Rationalität oder ihrem Humanismus, sondern in der Disziplinartechnik, die jene neuen Mechanismen der normierenden Sanktion ein-geführt hat.“ (ÜS:237)

Missachtet das Individuum durch abnormales Verhalten die soziale Wahrheit wird es bestraft oder ausgegliedert und zu normalem Verhalten umerzogen, um dann sozial reintegriert zu werden (De-linquent, Wahnsinniger, unartiges Kind, Schüler). Diese Normierung ist eigentlich die verdeckte Produktion des „modernen Typus Mensch: das vernünftige Subjekt, als gesellschaftliche Realität.“ (Hornbacher 2005:133). Die Individualisierung und Subjektivierung wird durch die Disziplinarge-sellschaft selbst geschaffen. Die Disziplinartechnologien bewirken Homogenisierung und Individualisierung zugleich. Ihr Ziel ist „…ein Körper der unterworfen … ausgenutzt … umgeformt und vervollkommnet werden kann.“ (ÜS:175). Im System der Gesellschaft werden die Menschen in ihrer Heterogenität erfasst und jedem ein Platz zugewiesen. Zugleich bewirkt die Disziplinar-macht eine Individualisierung, indem sie anhand der Disziplinartechnologien den einzelnen ständig überwacht. Der Erfolg der Disziplinarmacht ist an drei Techniken festzumachen, „die Mittel der gu-ten Abrichtung“: die hierarchische Überwachung, die normierende Sanktion und die Prüfung (ÜS:220). Letztere gilt als die zentrale Disziplinierungstechnik die eine Kombination der beiden ersten ist. Die Techniken sind in Kaserne, Gefängnis, Schule, Klinik und Arbeitsplatz integriert.

„Die Taktik als die Kunst, mit Hilfe lokalisierter Körper, codierter Tätigkeiten und formierter Fähigkeiten Appara-te zu bauen, die das Produkt verschiedener Kräfte durch ihre kalkulierte Kombination vermehren, stellt zweifellos die höchste Stufe der Disziplinartechnik dar.“ (ÜS:216)

Diese Institutionen schaffen sich anhand der drei Körpertechniken eine eigene „Mikro-Ökonomie“, in dem der Mensch „habitualisiert” handelt. Die Disziplinen sind Techniken, die gemäß dem Prinzip der Wertschöpfung, “die Vielfältigkeit der Menschen und die Vervielfachung der Produktionsappa-rate in Übereinstimmung bringen”. Darunter fallen auch die Produktion von Wissen und Fähigkeiten (ÜS:281). Die Techniken sind unbewusst verkörperte Verhaltenkodices, welche inhä-renter Bestandteil aller Institutionen (Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsumfeld) der Diszipli-nargesellschaft sind. Sie „fabrizieren nutzbringende Individuen“ (ÜS:271). Foucault wählt den Delinquenten als Anschauungsbeispiel, da an seinem Verhalten die Normen der Gesellschaft be-sonders deutlich abzulesen sind. Das Gefängnismodell, Panoptikum, des englischen Philosophen Jeremy Bentham stellt für Foucault eine Architektur dar, mit der sich die Grundlagen der aktuellen Gesellschaftsformation beschreiben lassen. Das Panoptikum ist ein architektonischer Entwurf des idealen Gefängnisses. Ein Turm in der Mitte des konzentrisch angeordneten Zellenbaus ermöglicht es, alle Zellen permanent zu überwachen. Umgekehrt kann der Gefangene den Wächter im Turm nicht sehen. Das bedeutet, dass niemand im Wachturm sitzen muss, damit sich der Gefangene überwacht fühlt. Der potentiell allumfassende und allgegenwärtig kontrollierende Blick des Wärters wird im Verhalten des Gefangenen als Machtverhältnis internalisiert. Der Gefangene überwacht sich im „Gewissheitshaus” selbst . Somit wird er zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung, gleich-zeitig Gefangener und der eigene Wächter . Das inkorporierte Machtverhältnis setzt sich aufgrund seiner differenzierten Beobachtungstechnik immer tiefer im Menschen fest: die Macht wirkt nun aus sich selbst heraus. Die normierenden Sanktionen erzeugen eine „Mikro-Justiz” etwa die des Körpers im Sinne der “falschen” Körperhaltungen und Gesten und der Unsauberkeit. Die Besse-rung stellt sich ein, da die Strafe auf Wiederholung des “normalen” Verhaltens ausgelegt ist: „Richten ist Abrichten.” (ÜS:234). Die Prüfung unterwirft das Individuum der Norm, sie ist Macht, die Wissen und Wissenschaften formiert. „Die Prüfung ist ein Mechanismus, der eine bestimmte Form der Machtausübung mit einem bestimmten Typ der Wissensformierung kombiniert.“ (ÜS:241) Die Prüfung ist der „Eintritt des Individuums in das Feld des Wissens“ (ÜS:264). Diese wirkt objektivierend, das Individuum versucht sich an den Standard anzupassen. Gleichzeitig dient sie der Individualisierung des Einzelnen durch die Prüfungsergebnisse und Datenspeicherung, die den Aufbau eines Vergleichssystems ermöglichen. Zentral ist, dass sich die vormals sichtbare Machtausübung des Souveräns, über den Objektivierungsmechanismus der Prüfung, in eine un-sichtbare Disziplinarmacht wandelt. Der Disziplinarapparat wirkt selektierend, objektivierend, ausgrenzend, „normend, normierend und normalisierend„ (ÜS:236). Die Objekte der „Machtaus-übung werden heimtückisch vergegenständlicht“ (ÜS:283). Das Individuum habitualisiert die machtvollen Leibtechniken. Die Habitualisierung ist nicht nur das Resultat eines unbewusst interna-lisierten Mechanismus der auf Konditionierung abzielt, sondern insbesondere ein reflexiver Vernunftakt, den das Individuum selbst vollzieht . Durch den strafenden Blick kommt es zur Ver-körperung und zur Selbstreflexion und Selbstkontrolle (Hornbacher 2005:128). Die Macht wirkt diskret, anonym und ökonomisch. Der Panoptismus ist eine Beschreibung der modernen Diszipli-nargesellschaft, ein Sinnbild der heutigen Gesellschaft, da die Disziplinartechniken in allen Berei-chen wirken (Erziehung, Heilung, usf.). Die Auseinandersetzung mit den disziplinargesellschaftlichen Körpertechniken führt Foucault zu der These, dass die soziale Kontrolle über den Körper, also über das Subjekt ausgeübt wird. Die Strafe wird im Modell des Gefängnisses anhand körperlicher Zwangsgewalt durchgeführt. Die „Disziplinartechnologien“ der modernen Disziplinargesellschaft erlauben es, den Körper für die unterschiedlichen sozialen Räume zu „dres-sieren“.

Diese spezifischen Körpertechniken werden selten unter dem Aspekt der Macht diskursiv verhan-delt . Genau genommen wird der Aspekt der Subjektivierung des Individuums, mittels der unbewusst habitualisierten Körpertechniken ausgegrenzt. Die Analogie zwischen Disziplinartechno-logie und Subjekt ergibt sich darin, dass der Mensch sich in beiden Strukturen zum Objekt eigener Reflexion macht. Der disziplinierte Mensch vollzieht den widersprüchlichen Rückschluss wie von Kant herausgearbeitet, vom „Subjekt allen Wissens“ zum „Objekt eines möglichen Wissens“:

„…stets ist die beleuchtende Quelle der Selbstreflexion – hier die Vernunft, dort der Lehrer oder Wächter – Ur-sprung und zugleich Grenze der Reflexionsbewegung.“ (Hornbacher 2005:134)

Mit der „Genealogie” der „modernen Seele“ zeigt Foucault auf, dass der Mensch seine Subjekthaf-tigkeit und die Begriffe der „Freiheit“ und „Vernunft“ nicht über die „Universalität ihres Wissens legitimiert“, sondern über die Disziplinarmacht die ihn produziert (Hornbacher 2005:135). Das be-deutet nicht, dass Foucault das Subjekt als irreal oder als Entwurf einer ideologischen Disziplinarmacht ansieht. Ihm geht es um das Aufzeigen der Macht, der auch das Subjekt in seiner aufklärerischen Emanzipationsbestrebung nicht entkommt. Der Geist und seine Vernunft ist dem-nach nichts spontanes, nicht losgelöst vom Körper. In den körperlichen Disziplinartechnologien wird das Subjekt als „moderne Imagination von ‚Freiheit’ produziert.“ (Hornbacher 2005: 383) Die körperliche Praxis ist demnach nicht im freien und vernünftigen Subjekt verankert, das Gegenteil ist der Fall. Leibpraktiken haben einen Moment der Freiheit und des reflexiven Widerstandes, denn laut Foucault gibt es keine Macht ohne Widerstand. Macht verfolgt kein Ziel und ist deshalb inner-halb der gesellschaftlichen Konfigurationen zu untersuchen (Hornbacher 2005:136).

„Man muss aufhören, die Wirkung der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ‘ausschließen’, ‘un-terdrücken’, ‘verdrängen’, ‘zensieren’, ‘abstrahieren’, ‘maskieren’, ‘verschleiern’ würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; … sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Er-kenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion.“ (ÜS:250)

Foucault beschreibt das Entstehen des modernen Erkenntnismodells mit der Produktivität der Macht. Der Körper ist in diesem Modell verdingt und ausgegrenzt. Körperliches Handeln kann per Definition keine reflexive Tätigkeit sein. Diese Schlussfolgerung beruht auf dem unauflösbaren Wi-derspruch der Subjektkonstruktion. Macht ist produktiv und produziert antagonistische Reaktionen. Das Aufbrechen der unbewussten Alltagshabitualisierungen vollzieht sich über die „wi-derspenstigen Freiheiten“. Die Ausnahmetechnik ist die Umkehrung des Alltagshabitus. In ihr manifestiert sich der „kreative und reflexive Spielraum“ des kulturspezifischen Habitus. (Hornba-cher 2005:384).

„Denn wenn es stimmt, das es im Kern der Machtverhältnisse und als deren ständige Existenzbedingung das Aufbegehren und die widerspenstigen Freiheiten gibt, dann gibt es kein Machtverhältnis ohne Widerstand, ohne Ausweg oder Flucht, ohne eventuelle Umkehrung … Da es keine Machtverhältnisse ohne Punkte des Aufbegeh-rens, die ihr per Definition entwischen, geben kann …“ (Foucault in: Dreyfus&Rabinow 1987:259-60)

Der Körper wirkt über die Disziplinartechnologien direkt auf den Geist ein . Er verinnerlicht die so-zialen Normen und die Konzeption von Wirklichkeit im Geist. Über die „subversiven Abweichungen leiblicher Praktiken“ kann der Mensch demnach ebenso zu Gedanken und Theorien kommen (Hornbacher 2005:384). Mit diesen leiblichen Ausnahmetechniken setzt der Mensch den Körper als reflexives Instrument und kommunikatives Medium, in dem sich Erinnerungen und Kultur ein-schreibt, für die „sinn-“ volle Konzeption seiner Welt ein. Das Potential das Unaussprechliche zu äußern und das Unsichtbare zu verkörpern hat allein der Körper.

„Der Leib – und alles was den Leib berührt, ist der Ort der Herkunft: am Leib findet man das Stigma der ver-gangenen Ereignisse, aus ihm erwachsen auch die Begierden, die Ohnmachten und die Irrtümer; am Leib finden die Ereignisse ihre Einheit und ihren Ausdruck. Dem Leib prägen sich die Ereignisse ein (während die Sprache sie notiert und die Ideen sie auflösen) … Am Leib löst sich das Ich auf (das sich eine substantielle Einheit vorgaukeln möchte). (SdW:75).

2.3 Ritual, Performanz und die performative Wende

„The absurdity of going to Beethoven and asking him to explain his 5th Symphony rather than to play it, is obvious. Just as no one would engage a Symphony Orchestra if the same could be said in words, so we can assume that rites say things that cannot be said in other ways. “Barth 1975

Der Ritualbegriff

Rituale sind seit Anbeginn der Ethnologie ein zentrales Forschungsobjekt. Sie können Schlüssel-konzepte einer Kultur, der sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und politischen Organisation einer Gesellschaft offenbaren. Die klassischen Rites de passage (Übergangsriten) betreffen den Status-wandel im Leben eines Individuums, und haben demnach vornehmlich soziopolitische Bedeutung (Übertritt in Erwachsenenstatus, Ehe oder in politischen Status). Rituale die Jahreszeiten und sai-sonale Übergänge markieren, haben eine substantielle Bedeutung für die Gemeinschaft, sie richten sich meist an die Natur oder Gottheiten, um die Ernte und das Fortbestehen des Volkes zu sichern. Ein Ritual ist ein hochgradig künstlerisch ausgerichteter, dargestellter und ausgeformter Prozess. Soziale, religiöse, politische und wirtschaftliche Normen der Gemeinschaft werden dabei hinterfragt, bestätigt, karikiert und spielerisch dargestellt. Das Ritual ist durch Kreativität, Reflexivi-tät und Kunstfertigkeit gekennzeichnet. Rituale sind reflexive Prozesse. Die Hierarchien innerhalb der Sozialstruktur werden in Frage gestellt , um sie im Anschluss wiederum zu konsolidieren. Dies charakterisiert Rituale als reflexive Prozesse. Die Umkehrrituale, auch Unterwerfungsrituale ge-nannt, werden durch den Körper ausagiert, performativ. Hierin wird der Status einer Person ausgehandelt. Die momentane Transformation wird nicht auf einem diskursiven Level ausgehan-delt, sondern nur über den Körper. Ähnlich verhält es sich im Bereich des Tanzes. Der kommunikative Prozess, als Teil des Rituals, wird nicht rein diskursiv, sondern über eine Vielzahl von Symbole , über die Sinne und körperliche Techniken vollzogen. „ … Rituale setzten durch die Verwendung von Symbolen als verdichtete und mehrdeutige Bedeutungsträger verschiedene In-terpretationsrahmen, die es erlauben, gesellschaftliche Bedeutung zu produzieren … “ (Rao&Köpping 2000:7). Symbole können individueller (Mimik, Tränen, Körperbewegung) oder kultureller (konventionelle Gesten, Körperhaltungen) Art sein. Weit verbreitet sind Symbole in Form von Masken und Kleidungsstücken. Zu den klassischen Bestandteilen gehören Musik, Chöre, Gesang, Rezitationen, Erzählungen, Anrufungen. All dies sind performative Akte. Ritualisierung bedeutet den Körper anders performen, als dies in den Alltagshabitualisierungen geschieht.

„Im Ritual ist nicht nur Sehen Glauben, sondern auch Tun Glauben.“ (Myerhoff in: Moore&Myerhoff 1977:223)

Denn etwas sagen bedeutet auch etwas tun . Auch die orale, musikalische und tänzerische Dar-stellung der Mythen, oder die Vorbereitung und Spende der Opfergaben, sind typisch rituelle Elemente. Die intensiven Vorbereitungstätigkeiten eines Rituals setzen sich im Individuum nach jahrelanger Praxis als performatives Wissen (Hornbacher 2005:337) fest. Dies können beispiels-weise Flechttechniken oder Tanzbewegungen sein. Durch den Tanz (und Musik und Vokalisieren) kann Trance eingeleitet werden. Im Zustand der Trance handelt der Körper, er ist Medium und direkte Verbindung zu göttlichen Wesen. All diese genannten Symbole, Tätigkeiten und Techniken sind Bestandteile eines Rituals, sie sind kein bloßes Beiwerk, sie sind das Ritual. Sie sind die vollfüh-renden Einzelteile einer komplexen Handlung. Die Symbole und Techniken sind der Inbegriff ritueller Handlung, da sie mit einer je bestimmten Idee verbunden sind und ihre je eigene Bedeu-tung und Wirkung haben. Rituale sind per se performativ. Sie gestalten einen kommunikativen Handlungsprozess. Der metakommunikative Rahmen des Rituals deckt Verborgenes auf, schein-bar Unsichtbares, Unaussprechliches, Ungehörtes, Ungefühltes und Ungeschmecktes (Köpping). Rituale sind eine einzigartige und grundlegende Form sozialen Handelns. Dies zeigt sich in der Ver-körperung. Das ist zugleich der Vollzug des Sozialvertrags (Hornbacher 2007). Turner versteht das Ritual als ein eigenständiges Medium für die Entwicklung kosmologischer Ideen.

Der Performanzbegriff

Etymologisch ist der Begriff Performanz vom französischen parfounir ‚abschließen, vollenden, sorg-fältig durchführen’ herzuleiten (Turner 1995:143, „Vom Ritual zum Theater“ im folgenden abgekürzt durch – RzT). Er steht weniger für Formgebung, als vielmehr für einen prozessualen Charakter. Victor Turner interessiert die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Ritual und Thea-ter. Er interpretiert Performanz als „restored behaviour“. „Eine Darstellung – Performanz – ist der geeignete Abschluss eines Erlebnisses.“ (RzT:18) Dies beschreibt Turners Ansatz der die Kommu-nikation mit anderen Wirklichkeitsphänomenen im Dienste der Gesellschaft nicht als erschöpfende, sondern als erlebende Tätigkeit ansieht. Die Performativität ist hier ein sich erfüllender, konventio-nalisierter Handlungsbezug. Der Unterschied zu Alltagshabitus und Ausnahmetechnik liegt darin, dass sich in der performativen Technik die täglichen Aspekte des Lebens transformieren. Diese Transformation wird als Erfüllung erlebt.
Der Begriff wurde den Theaterwissenschaften entlehnt. In den Theaterwissenschaften bedeutet performance Aufführung, Darstellung und oder Inszenierungsbedingung. Das Gesehene tritt hier und jetzt in Erscheinung und wird in besonderem Maße als gegenwärtig wahrgenommen. Die Theateraufführung bringt nicht andernorts vorgegebene Bedeutungen hervor. Deshalb sind per-formative Akte ein Ereignis mit dem Charakter einer spezifischen Schwellenerfahrung. Fischer-Lichte beschreibt Theater als kulturelles Modell des Erlebnisses, welches die Hegemonie des Textes bricht (Fischer-Lichte 1998: 24). Der theaterwissenschaftliche Performanzbegriff wurde seiner Be-deutung der Darstellung in der Ethnologie teils entkoppelt und als Beschreibungsmodell sozialer Prozesse verstanden (Hornbacher 2005:233). Cultural performance (Ritual, Fest, politische Ver-sammlung) dient der nonverbalisierten Darstellung kultureller Identität. Das Ritual gilt dabei als paradigmatisch performatives Kulturelement in der Ethnologie. Performanz entsteht aus dialogi-scher Interaktion aller anwesenden Personen, es fußt auf einer Begegnung zwischen Akteur und Rezipient. Schechner (Theaterethnologe) begründet den Begriff performatives Wissen als binäre Einheit. Methodisch bedient sich der Begriff der oralen Überlieferung und inhaltlich ist er mit non-verbalisierten Ausdrucksweisen gleichzusetzen. Die nicht vokalisierte Darstellung (Williams 1991) ist die “Äußerung” des kulturellen Parts des Unaussprechlichen, des Verborgenen, der nicht diskur-siv verhandelten Prozesse. Jeschke (Tanzwissenschaftlerin) rückt den wesentlichen Unterschied zu erscheinungsorientierten statischen Körperbildern ins Licht – das Körperkonzept im Tanz intendiert Handlung und schließt diese implizit mit ein (Jeschke 1997) . Rao&Köpping (2000) tragen in ih-rem Sammelwerk eine Vielzahl an Plädoyers für die transformative Kraft des performativ agierenden Körpers zusammen. Die Herausgeber verstehen „rituelle Performanzen als Bändigung des Körpers durch Gesten … die den Zugang zum Anderssein (anderer Körper und anderer Reali-täten) ermöglichen und aufgrund der sinnlichen Erfahrung auch eine Transformation der gedanklichen Wahrnehmung zur Folge haben.“
Das Problem mit dem Begriff Performanz ist, dass die unterschiedlichen Auffassungen des Begriffs nicht deutlich getrennt werden und seine Bedeutungszuschreibung somit je nach Autor unter-schiedlich sein kann. Einerseits wird mit Performanz die Reproduktion, die Veränderung bezeichnet. Andererseits wird sie zur Referenz der Gesellschaft als theatrale Inszenierung. So ist gegenüber dem Textmodell nicht viel gewonnen (Hornbacher 2005, 2008).

Ich interpretiere Performanz im Sinne eines reflexiven Prozesses des Aushandelns von Kultur. Dies schließt sowohl die Bedeutung der Inszenierung und Darstellung als auch das subversive Potential reflexiver Körpertechniken mit ein. Dieser Schaffensprozesses kann das „Zur-Erscheinung“ brin-gen, das anders nicht bezeichnet werden kann. Der Moment des Mimetischen im Tanz, vor allem in vielfachen Lehrmethoden zu beobachten, kann zur Transformation des Körpers führen. Das macht das Spezifische im Akt der tänzerischen Performanz aus, „deren Resultat, unter anderem die Resonanz anderer Körper, unvorhersehbar macht“ (Rao&Köpping 2000:23).
Performanz ist als Inszenierung und Darstellung ein Akt kreativer Rückbesinnung. Betrachtet man Performativität immer im Bezug auf die Situation der Handlung, analog Wittgensteins Theorie des individuellen Sprachgebrauchs, dann ist Reflexivität als Auslegungsmechanismus eng verknüpft mit dem Phänomen der Performanz, und nicht länger ein Gegenbegriff. Zentral ist der tatsächliche Sprachgebrauch des Begriffs. In der Anlehnung an Rao & Köpping und mit Ludwig Wittgensteins Konzept des sozialen Sprachgebrauchs und der Familienähnlichkeiten bietet Hornbacher (2005) eine Alternative an, die mittels der Verzahnung dieser Ansätze über die Schranken des Textmo-dells hinaus wirken kann . Wittgenstein zeigte die Notwendigkeit auf, Begriffe im Kontext ihres individuell situativen Sprachgebrauchs zu untersuchen, um zu ihrer praktischen Bedeutung und der Intention des Sprechers vorzudringen. Dieser Ansatz ist sehr geeignet zur Übertragung auf den Tanz. Der Tanz, als eine Handlung, welche im Moment des Erlebens bereits vergangen ist, und dessen Bedeutung ausschließlich unter der Berücksichtigung des individuellen und situativen Kontextes zu eruieren ist .
Mit dem individuell-situativen Sprachgebrauch wird der Begriff Bedeutung seiner beschränkten Semantik als Repräsentation einer Vorstellung entledigt, und eine ethnologische, kontextbezogene Beobachtung einer „individuell vollzogenen gemeinsamen Praxis“ möglich (Hornbacher 2005). Hornbacher ist es, die Wittgensteins Ansatz analog auf die ethnologische Begriffsbestimmung von Performativität anwendet. Damit wird Performativität als reflexive Handlung verstanden, da somit auch die Dimension aktueller Ereignisse und die Permeabilität im Ritual mit eingebunden ist. Zu-dem eröffnet dies der Ethnologie eine Methode ihren dringend einzulösenden Forschungsschwerpunkt im 21. Jahrhunderts nachzukommen, die „Wahrnehmung anderer Refle-xionskulturen und –formen, anstatt Erkenntnis und Reflexion weiterhin eurozentrisch zu definieren…“ (Hornbacher 2005:249). So betonen auch Köpping & Rao, dass die Interpretation von „performativem Handeln als kreativer Akt“ nur auf der Grundlage einer kulturell vorgegeben Wertefolie gilt.

Die performative Wende

Als Vorreiter der performativen Wende gelten Erving Goffmann (1959) und Victor Turner mit ih-rem performativen Ansatz. Diese Wende impliziert die Abkehr eines statischen, hin zu einem empirischen und dynamischen Kulturmodell. Im Grunde genommen markiert sie eine methodi-sche Wende. Der Zeichenaspekt von Kultur und die Performativität als Schlüsselkonzept werden verhandelt. Auch die Frage nach der Theatralität als methodisches Prinzip für alle Kulturwissen-schaften tut sich auf. Das alte Problem der Repräsentationsdebatte ist damit nicht gelöst. In der Theaterethnologie wird die Beschreibung von Körpertechniken und der Kommunikationsformen diskutiert. Performanz wird hier als reflexives Aushandeln von Tradition und „tacit knowledge“ in einem bestimmten Kontext interpretiert, als konkretes Wechselspiel von Zuschauer und Akteur in einem spezifischen Zusammenhang. Im Zentrum steht die Dimension des Aushandelns von Handlung und all den möglichen Spielräumen hierfür. Diese Spielräume charakterisieren sich durch performative Techniken. Turner ist Theaterethnologe und ihn interessieren die darstellenden Künste und ihre transformierende Wirkung in der Gesellschaft. Er antzipiert mit dem Ansatz, Thea-terformen als Erweiterung der teilnehmenden Beobachtung zu sehen, und sie als Repräsentationsform für die Ethnologie zu verwenden, Themen der Repräsentationsdebatte . Turners Ansatz der Performanz als Aushandeln von Kultur wird in den 1990er Jahren mit der „per-formativen Wende“ wieder aufgegriffen. Tanz ist als kulturelle Performanz nun nicht mehr etwas Gegebenes, sondern Resultat eines Schaffensprozesses. Dieser Prozess unterliegt Verläufen der Aushandlung und der Kontestation, der Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion. Das Aushandeln im Tanz bezieht sich auf Form, Inhalt, Darstellung und Technik der jeweiligen Tanz-form.
Hornbacher (2005:230 ff.) weist darauf hin, dass zahlreiche Ethnologen (Hauschild, Hastrup, Staal) das Verständnis von Performativität als Gegenbegriff zu kognitiven, reflexiven, intellektuellen Theorien rituellen Handelns (Turner, Goffman, Tambiah) weiterführen. In dieser Blickrichtung ist die performative Wende lediglich eine Fortführung des literary turn, und eine Projektion der Reprä-sentationskrise und der „ungelösten epistemologischen Problematik des westlichen Wissenschaftsmodells“ (Blair zit.: Hornbacher 2005:246).

2.4 Victor Turner – Ritualtheorem

„Die Bewegung von der Ethnographie zur Darstellung ist ein Prozess pragmatischer Reflexivität. Nicht die Refle-xivität eines narzisstischen … Einzelnen … sondern der Versuch der Vertreter einer allgemeinen Form menschlicher Existenz, der historischen Erfahrung des Westens, andere, ihnen bisher durch kognitiven Chauvi-nismus oder kulturellen Snobismus unzugängliche Formen – in der Keat´schen Metapher – ‚am Puls’ zu verstehen.“ (Turner 1995:158, „Vom Ritual zum Theater“ im folgenden abgekürzt durch – RzT).

Der schottische Ethnologe Victor Witter Turner (1920-1983) war ein bedeutender Ritual- und The-aterethnologe. Er entwarf die Konzepte von „liminalem“ Ritual und dem „liminoiden“ Theater, von der Gesellschaft als „soziales Drama“, von der Herstellung einer außeralltäglichen „Communitas“ und der damit verbundenen „Antistruktur“. Sein Interesse galt insbesondere den zentralafrikani-schen Ndembu („Forest of Symbols: Aspects of Ndembu Ritual“, 1967) . Später distanzierte er sich von seinen strukturfunktionalistischen Lehrern, da er deren Modell, die Gesellschaft als starre Struktur zu verstehen, kritisch gegenüber stand. Er nimmt die Akteursperspektive ein, um die Mo-tive aus Sicht der Handelnden verstehen zu können. Dieser Ansatz wird später mit der performativen Wende breit aufgegriffen. Er emigrierte in die Vereinigten Staaten von Amerika und nahm die aktuellen politischen und sozialen Ereignisse verstärkt in seine Forschungen mit auf. Der Vietnam-Krieg und die entstehende Hippiebewegung rückten seinen Fokus verstärkt den Ritualen komplexer Industriegesellschaften zu. Er gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker der Symbo-lischen Ethnologie und als meist Zitierter in den Nachbarwissenschaften und der Presse. Dies ist der Offenheit und Anwendbarkeit seines Konzepts zu verdanken. Auch für diese Arbeit bietet sich Victor Turners Ritualtheorem als zweite theoretische Säule an.

Turners Ritualtheorem

Der französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873-1957) ebnete mit seinem Werk „Les rites des passages“ (1909) den Weg der heutigen Performanztheorie und nachhaltig das Wirken von Turner. Aufgrund seiner Ritualforschung bei den Kabylen, entwickelte van Gennep das Drei-Phasen Modell von Übergangsriten: Trennung – Übergang – Angliederung. Übergangsriten sind performative Handlungen einer Gesellschaft, mit der Absicht den sozialen Status oder die Grup-penzugehörigkeit eines Gesellschaftsmitglieds zu verändern oder saisonale Übergänge wie Jahreszeitenwechsel zu vollziehen. „Riten, die einen Orts-, Zustands-, Positions- oder Altersgrup-penwechsel begleiten.“ (van Gennep zit: RzT:94) Wichtig ist van Genneps Hinweis, dass das Ritual keine Spiegelung der natürlich-biologischen Entwicklung ist, sondern dass das Ritual einen sozialen Übergang markiert (Schomburg-Scherff 2001, Stohrer 2008). Die Begriffe Trennungs-, Über-gangs- und Angliederungsphase verwendet er für die Bezeichnung der rituellen Phasen. Das Ritual beginnt mit der Herauslösung des Individuums aus seiner Position in der Sozialstruktur, mit der Trennungsphase. Die folgende Übergangsphase gleicht einem Schwellenzustand in dem der Ge-sellschaft widersprechende Regeln gelten. So gelten hier andere Normen, körperliche Unsauberkeit, Diebstahl, ungerechtfertigte Beleidigungen können Rechte der Initianden sein. In Unterwerfungs – und Umkehrritualen können umgekehrt, harte Bestrafungen und Beleidigungen gegenüber den Initianden seitens der Ritualmeister oder der sozialen Gemeinschaft Teil der Schwellenphase sein. Die Demütigungen zielen auf eine momentane Umkehrung des Status ab, um Respekt und Bewusstsein für die Anforderungen der neuen sozialen Position zu schärfen, so-wie sie auch ein Aggressionsventil der Gemeinschaft darstellen. Turner beobachtete dies sowohl in Ernennungsriten von Herrschern als auch in Fruchtbarkeitsriten. Sowohl wüste Beschimpfungen als auch degradierende Behandlung der Initianden sind Teil dieser Rituale. So erlauben sie beim Ritus zur Ernennung eines Königs, dem gesamten Volk während der Ritualdauer ihren Führer zu demütigen und ihn mit seinem eventuellen bereits getätigten ungerechten parteiischen Verhalten zu kritisieren oder ihn davor zu warnen. Damit soll er Demut, Respekt und Achtung für seine neue Aufgabe entwickeln.
In der Angliederungsphase ist der Übergang dann rituell vollzogen, und es folgt die Rückkehr in den neuen Status innerhalb der Gesellschaft. Zur Bezeichnung räumlicher und zeitlicher Übergän-ge führt van Gennep die Adjektive liminal, präliminal und postliminal ein. Turner greift van Genneps „Drei-Phasen Modell“ auf und widmet sich vordergründig der Übergangsphase von Ritua-len. Er wendet sich damit von Ritualen primitiver Gesellschaften hin zu Ritualen komplexer und postindustrieller Gesellschaften. Turner geht davon aus, dass Erkenntnis Erfahrung voraussetzt „experiencia“, dies ist ein körperlicher Prozess.
Befinden sich Menschen im Schwellenzustand eines Übergangsrituals entsteht eine spezifische Art der Gemeinschaft, die „Communitas”. Die Statusunterschiede zwischen den Individuen sind auf-gehoben, sie sind Gleiche unter Gleichen. Da die Konstitution der „Communitas“ nicht nach den Normen der Gesellschaft gestaltet ist, bezeichnet Turner sie als „Anti-Struktur“. Der Antagonist der „Communitas“ ist die Gesellschaft, die „Societas“. Sie steht für eine normenbestimmte Gemein-schaft die auf den Werten der Beständigkeit (Tradition) und Sicherheit aufgebaut ist, sie ist Stellvertreter der Struktur. Turner widmet diesen Begriffspaaren das Werk „Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur“ (1989) (im folgenden abgekürzt durch SuA), in dem er mittels afrikanischer Stammesrituale und Ritualen komplexer Industriegesellschaften, die Begriffe „Communitas“ und „Liminalität“ herausarbeitet. Turner unterscheidet die Gegenwirkungen zwischen Struktur erhal-tenden Prozessen (Struktur / Societas) und Struktur erneuernden Prozessen (Communitas / Antistruktur) und den liminalen und liminoiden Übergangsprozessen.

2.4.1 „Liminale“ Übergangsphase

„Betwixt and between the positions assigned and arrayed by law, custom, convention and ceremonial“. (Turner 1963)

Liminal und liminoid sind Definitionen für Übergangsprozesse in unterschiedlichen Gesellschaften. Liminal bezeichnet die Übergangsphase in Ritualen von Stammesgesellschaften, den schwellen-ähnlichen Prozess in Ritualen komplexer Industriegesellschaften und im Theater bezeichnet Turner als liminoid.
Die Schwellenphase, die Liminalität in Ritual und Mythos ist die Übergangs – und Transformati-ons- Phase. Liminalität lässt sich vom lateinischen limen ‚die Schwelle’ herleiten. Van Gennep verwendet den Begriff , um das „Zwischenstadium“ von Übergangsritualen zu bezeichnen. In der Liminalität befindet sich das Individuum außerhalb aller Klassifikations-, und Positionsebenen. Die Trennung ist physische und symbolische Loslösung des Individuums aus dem normalen Leben, und ein Übergang in eine liminale und oft transzendentale Phase.

„Die Bedingungen der Liminalität, Marginalität und struktureller Inferiorität bringen oft Mythen, Symbole, Ritua-le, philosophische Systeme und Kunstwerke hervor.“ (SuA:125)

Die Liminalität ist ein sozialer Raum, zu dem nur die Gruppe der „Liminalen“ Zugang hat, er befin-det sich außerhalb der normativen Gesellschaft. Im Liminalen ist der Keim kultureller Transformation enthalten, die Unzufriedenheit mit dem kulturell Gegebenen und die soziale Kritik. Turner las van Genneps rites de passage in einer liminalen Phase seines Lebens und das Werk beeinflusste seine Arbeiten bedeutend. Von dieser Lektüre inspiriert leitet er sein Konzept der Limi-nalität ab welches er 1963 im Vortrag „Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites des Passage“ vorstellt. Er begreift die Schwellenphase als Herbeiführung einer Krise, durch die kulturel-le Spielräume für Experimente und Innovationen eröffnet werden: „in liminality, new ways of acting, new combinations of symbols, are tried out, to be discarded or accepted“ (Turner 1977:40). Über das Spiel mit dem Vertrauten verfremden Menschen Symbole und Techniken. Durch die zufällige Kombination von vertrauten Elementen, entsteht Neues. Liminalität zeichnet sich durch kreative Kraft aus. Die „spielerische” Neukombination ist für Turner die Liminalität par excellence (RzT:42). Tänzerische Handlungen haben diese veränderungsstarke Kraft der Kreativi-tät, im Gegensatz zu Sprache. Sprache ist über ihre rigide Syntax in starre Muster und Regeln eingebunden, und kann nicht derart spielerisch und frei Neues entstehen lassen, wie es die klassi-schen performativen Praktiken vermögen.
Nach Turner ist das Bedürfnis nach dem kreativen Experiment und neuen Kombinationsregeln in industriellen Gesellschaften stärker ausgeprägt, da eine Trennung von Arbeit und Freizeit vorge-nommen wurde. Wenn das Ritual und die performativ kreative Dimension des Lebens nicht mehr als Arbeit im Sinne von pflichtvoller Tätigkeit gedeutet wird, sondern diese Funktion in den Bereich der Freizeit überwechselt, so ist das Individuum von göttlicher, kollektiver oder individueller Pflicht befreit und sucht das spielerische verstärkt in seiner Freizeit. Diese bietet ihm nun mehr Variatio-nen der Gestaltung, da das Handeln im Ritual nun innerhalb einer anderen Form vollzogen wird und damit nicht mehr in einem strengen Wertekanon verankert ist. Freizeit ist heute mit einer Viel-zahl an Freiheiten verbunden. Die Freiheit zur Durchdringung sozialstruktureller Grenzen und spielerisch mit sozialen Beziehungen und künstlerischen Techniken umzugehen bezeugt eine stark experimentelle Ausrichtung von Freizeit (RzT:56). „Freizeit setzt potentielle – individuelle oder kol-lektive – kreative Kräfte sowohl der Kritik als auch der Bestätigung dominanter sozialstruktureller Werte frei.“ (RzT:56)
Eigenschaften der liminalen Phase sind Kreativität, Reflexivität, Polysemie, Unbestimmtheit, Inver-sion, Paradoxie, Marginalität und strukturelle Inferiorität. Folgende Merkmale zeigen sich im Verhalten der Personen in liminalen Phasen: Demut, Schweigen, Anonymität, Geschlechtslosigkeit, Besitzlosigkeit, sexuelle Gemeinschaft oder Enthaltsamkeit (Aufhebung vertikaler wie horizontaler Statusunterschiede), Homogenität, Gleichheit, Aufhebung verwandtschaftlicher Pflichten und Rechte. Die „Liminalen” sind Fremde, Vermittler und unabhängig von soziopolitischen Gruppen. Sie unterliegen Ge- und Verboten für die Art der Nahrungsaufnahme, Kleidung, dem Verhalten und dem sozialen Kontakt. In der Schwellenphase durchlaufen die am Ritual Beteiligten in der Re-gel eine Transformation.

2.4.2 „Liminoide Phänomene“

Turner nimmt eine klare Unterscheidung von Ritual und Theater vor. Im Ritual ist die Übergangs-phase durch liminale und im Theater durch liminoide Prozesse gekennzeichnet. Diese Trennung der zwei Sphären scheint geboten, da sich in ritueller Performanz eine weltkonstituierende Kraft äußert, der man sich nicht einfach entziehen kann. Die Theaterperformanz ist eine Repräsentation der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit, die mit dem Fall des Vorhangs vorerst beendet ist und kei-nerlei kosmische Ordnung aufrecht hält (Rao&Köpping 2000).
Etymologisch lässt sich der Begriff liminoid vom griechischen eidos ’Form, Gestalt’ herleiten wobei –oid ’wie,…artig, ähnlich’ bedeutet. Liminoide Phänomene sind “schwellenähnliche” Erscheinun-gen. Turner nennt den Wechsel des sozialen Umfelds, um eine neue Arbeitstelle anzutreten ein liminoides Phänomen in heutigen Stadtgesellschaften.

„Technische Innovationen gehen auf Ideen zurück, und die Ergebnisse von Ideen bezeichne ich als „liminoid” .… „liminoide” ähneln den liminalen Phänomenen ohne ihnen gleich zu sein.“ (RzT:49)

Das Liminiode ist die „unabhängige und kritische Quelle“ im kreativen Handeln (RzT:49). Die Tren-nung von Arbeit und Freizeit in den postindustriellen Gesellschaften erlaubt mehr Variation an experimentellem und kritischem Schaffen, zudem bilden die kreativen Tätigkeiten heutzutage spe-zialisierte Berufe. Innerhalb der etlichen Kunstgattungen haben die Kreativen die „Macht” über ihren Diskurs, der größtenteils von religiöser, gesellschaftlicher und politischer Kritik lebt. Das Schaffen der subversiven Künstler, welche die gesellschaftlichen Werte untergraben und persiflie-ren, ist liminoid.

„Faßt man das Schwellendasein als eine Zeit und einen Ort des Rückzugs von normalen sozialen Handlungswei-sen auf, kann man es als eine Zeit möglicher Überprüfung der zentralen Werte und Axiome der Kultur, in der es vorkommt sehen.“ (SuA:160)

Die Werke hingegen, die das strukturelle System stärken und bestätigen, sind liminale Phänome-ne. Denn ihre Grundbotschaft besteht darin aufzuzeigen, dass die strukturelle Ordnung nur vorübergehend umgekehrt wird, um sich dann wieder in den Außenrahmen der Struktur einzu-passen: der Außenrahmen ist zugleich der moralische Werterahmen des Werks, wie etwa im Fall der Satire. Dieser liminale Prozess entspricht den Umkehrungsritualen in traditionellen Gesellschaf-ten. Mit seiner Orientierung vom Ritual zum Theater, siedelt Turner die Kraft des kreativen Neuen und der Strukturveränderung im Theater an . In Industriegesellschaften sind die Muße, die Aktivi-täten in der Freizeit, freiwillig und führen dazu, dass die rituell-liminoiden Phänomene nicht für die ganze Gesellschaft gleichsam greifen. Sie wirken nicht als „Antistruktur“ zur normativen Struktur, sondern sind das „Experimentieren mit variablen Repertoires“. Sie machen das System erträglich und tragen den Keim eines möglichen Wandels in sich, der wirksam wird, sobald es die Umstände im normativen System bedürfen. Turner zitiert Sutton-Smith (1972), welcher den Begriff der Anti-Struktur aufgreift , um den Begriff des „protostrukturellen Systems“ zu entwerfen.

„Die normative Struktur stellt das Arbeitsgleichgewicht, die ‚Antistruktur’ das latente System potentieller Alter-nativen dar, aus dem wenn die Bedingungen des Systems er erfordern, Neues hervorgeht. Dieses zweite System sollten wir besser als protostrukturelles System bezeichnen, da es der Vorläufer innovativer normativer Formen, der Ursprung neuer Kultur ist.“ (RzT:41)

Sutton-Smith widmet sich der Erforschung des Spiels und sieht in liminalen und liminoiden Phä-nomenen das „Samenbeet kultureller Kreativität“. Konzentrieren wir uns auf die liminoiden Darbietungen der Kunst. Sie finden sich in den Gesellschaften „organischer Solidarität“ (Durk-heim), sind auch kollektivistisch, werden aber durch einzeln bestimmbare Individuen, oft im Rahmen von Freizeitaktivitäten, hervorgebracht. Sie entstehen abseits der zentralen Prozesse der Gesellschaft, in den „Zwischenräumen und Lücken“ zentraler Institutionen (RzT:85). Sie erwach-sen aus sozialer Kritik am System und der Diskriminierung. Sie klagen die Ineffizienz und Einseitigkeit wirtschaftlicher und politischer Strukturen an (RzT:86). Auch Turner bestätigt das gleichzeitige Bestehen liminaler und liminoider Phänomene in Industriegesellschaften. Die liminalen Phänomene, wie sie in religiösen Bewegungen oder Initiationsriten von Studentenbewegungen und Clubs zu finden sind, beruhen auf einer Pflicht und einer Mitgliedschaft in einer stark korporati-ven Gruppe. Die liminoiden Phänomene in Kunst und Sport, lassen dahingegen mehr Freiheit zu, (entsprechen eher einem Warencharakter). Entscheidend ist letztendlich die praktische „Erfor-schung der Symbole im Prozess sozialen Handelns … aller Bereiche expressiver Kultur, intellektueller und populärer Kultur, der Gebildeten und Ungebildeten, des Urbanen und des Ländli-chen“. Einige dieser kulturellen Bereiche finden sich in den Tanzformen Butoh und Krumping wieder.

2.4.2 Konflikttheorie im „sozialen Drama“

Turner führt 1957 das Konzept des „sozialen Dramas“ ein . Turner beobachtet, dass sich Konflik-te überall in einem ähnlichen Schema darlegen. Manifestieren sich soziale Spannungen, die in einer gegebenen Sozialstruktur vorhanden sind, jedoch im Verborgenen liegen, nennt Turner dies „soziales Drama“. Jeder Mensch hat ein „Friedensgesicht“ und ein „Kriegsgesicht“ und „Menschen scheinen auf Kooperation programmiert, aber auf Konflikt vorbereitet.“ (RzT:14). Der Verstoß ei-ner gesellschaftlichen Norm, egal ob geringfügige Unhöflichkeit oder Mord, bedeutet einen Bruch mit den vereinbarten Regeln. Dieser Bruch führt zur Krise. In jenem Moment tritt das menschlich intrinsische Krisenmanagement in Aktion. Ein Einzelner oder eine Gruppe bemühen sich mit unter-schiedlichen Lösungsansätzen , um die Wiederherstellung und Erhaltung des gesellschaftlich vereinbarten Status quo. Die Krise endet entweder mit Versöhnung, die rituell und performativ vollzogen wird, oder ohne Beilegung des Streits was folglich zu stillem Fortbestehen des Konflikts zwischen den Parteien führt oder zur Abspaltung einer Gruppe (Exodus) führt. Dies beschreibt die älteste Form der Auseinandersetzung. Turner beobachtete diesen Prozess des sozialen Konflikts im Dorf der Ndembu, einer traditionellen zentralafrikanischen Gesellschaft, und sah an diesem Punkt eine klare Homologie mit der typischen Verlaufsform des europäischen Dramas seit Aristoteles. Die verschiedenen Sequenzen der gesellschaftlichen Krise erinnern Turner stark an die “Ereignisse” im Theater. Das soziale Leben birgt Konflikte deren Struktur, Prozesse und Phasen denen des theatralen Dramas sehr ähneln. Die Bewältigungsphase eines Konflikts trägt per se den „Keim der Selbstreflexivität in sich“ und wird performativ verhandelt. Die Kunst dient hier als Instrument zur Selbstprüfung des soziokulturellen Wertesystems, als Ankläger, Karikaturist und Kritiker der kultu-rellen Werte, Widersprüche und Konflikte. Kunst kann die „aktuelle Situation in der bekannten „Welt“ beurteilen“ (SuA:14,15). Erleben ist Fühlen und Wollen, beides sind Quellen für Werturteile. (RzT:17)

“The social drama shows vividly how these social tendencies operate in practice; how, in a given situation, some may support and others oppose one another; and how conflict between persons or groups in terms of a common norm or in terms of contradictory norms may be re- solved in a particular set of circumstances. In the social drama latent conflicts of interest become manifest, and kinship ties, whose significance is not obvious in genealogies, emerge into key importance.” (Turner 1996:93)

Dilthey widersprach Kant, er war überzeugt, dass „das Erleben, in seinem formalen Aspekt, reicher ist, als es in allgemeinen formalen Kategorien zum Ausdruck kommen kann.“ (RzT:16). Von Dil-theys Grundbegriffen „Erleben, Ausdruck, Verstehen“ wandte Turner dessen Konzept vom „Erlebnis“ an.

„Gerade durch den Prozess der Darstellung wird das, was normalerweise hermetisch in den Tiefen des soziokul-turellen Lebens verschlossen, der Alltagsbeobachtung und dem Verstand nicht zugänglich ist, ans Licht befördert – Dilthey verwendet hier das Wort ausdrücken, im Sinne von ‘herauspressen‘.“ (RzT:17)

Die Performanz, als sorgfältig durchgeführte Darstellung eines Erlebnisses, ist der Abschluss eines Erlebnisses. Die Bedeutungszuschreibung erfolgt durch das in Bezug setzten von Vergangenheit und Gegenwart, und durch das Ausdrücken (Abschließen) und Mitteilen eines Erlebnisses.

„Kultur ist gerade das Ensemble solcher Äußerungen – das der Gesellschaft verfügbar und der einfühlenden Durchdringung durch den ‚Geist’ anderer zugänglich gemachte Erleben Einzelner.“ (RzT: 19)

Dilthey unterscheidet Lebensäußerungen in Vorstellungen (Begriffe, Urteile) und in Handlungen. Vorstellungen sind genau, verraten aber nichts über ihren Prozess. Handlungen verfolgen einen Zweck und lassen ihren Kontext erschließen. Aufgrund des engen Zusammenhangs wird der Zweck aus der Handlung ersichtlich. Und für den Zuschauer drückt sie den nicht einfach aus, son-dern sie erfüllt ihn. Für Turner zeigt sich in den Handlungen von Künstlern der Ausdruck und die Erfüllung „unbewusster Zwecke und Ziele“. Künstlerische Äußerungen unterscheiden sich maß-geblich vom politischen egoistischen Erleben, da sie authentisch und unverfälscht sind, so Turner. Deshalb sprechen ihre Äußerungen unbewusst die unbekannten Grenzbereich des Lebens an, in dem „wie Dilthey schreibt, „das Leben in einer Tiefe sich aufschließt wie sie der Beobachtung, der Reflexion und der Theorie nicht zugänglich ist“ (RzT:20). Sind die Kunstwerke einmal ausgedrückt, so können andere darin „Botschaften aus den Tiefen unserer Spezies und des menschlichen Le-bens, das sich gewissermaßen selbst enthüllt lesen“. Hier begreift das Leben das Leben, den freien Zugang zur Essenz des Erlebens (RzT:20). Der zentrale Punkt ist das Erfahrungsmoment, welches sich aus dem Erlebnis ergibt. Erfahrung ist immer ein körperlicher Prozess. Turner zeigt auf, dass mit dem Aufbrechen von Habitualisierungen die gewohnte Interpretation von Reflexion in Frage gestellt werden kann.

Turner beschreibt das soziale Drama als Konflikt. Insbesondere die performativen Künste über-nehmen heute eine bestimmte Rolle in der Gesellschaft. Die Funktion von Rechtsprechung und Religion als Bewältigungsmechanismus von Konflikten tritt in komplexen Industriegesellschaften in den Hintergrund. Hingegen wächst der Einflussbereich der Künste als sozialkritische Stimme an. Bewältigungsformen haben per se eine starke Selbstreflexivität, da sie eine öffentliche Methode zur Einschätzung des Sozialverhaltens sind (RzT:14). Die performativen Künste, so Turner agieren stärker, und wieder, als Bewältigungsform sozialer Dramen.

2.4.3 „Normative Communitas“

Communitas lässt sich vom lateinischen comitatus zu deutsch ‚die Umkehrung’ herleiten. Turner entwickelte dieses Konzept bei seinen Forschungen des männlichen Initiationsritus bei den Nedm-bu in Zambia. Die Initianden verbindet ein spezielles soziales Band in der Schwellenphase welche eine erhöhte Gruppensolidarität zur Folge hat. Es entsteht eine Communitas, eine Gemeinschaft Gleicher unter Gleichen. Turner beschreibt die Communitas als eine Art Antistruktur. Der Verstoß gegen die normale soziale Ordnung formt oft Teil des Rituals, da die Initianden den gesellschaftli-chen Normen nicht länger verpflichtet sind. Die Communitas ist eine offene Gemeinschaft, ohne Sozialstruktur. Kreativität und Veränderungskraft zeichnen sie aus. Ihr zeitlicher Rahmen be-schränkt sich ursprünglich auf das Hier und Jetzt. Die Gemeinschaft ist eine marginale Gruppe von Grenzgängern. Als idiosynkratische Individuen bilden sie eine Gesellschaft eines homogenen Gan-zen, in dem sich die Einzelnen in ihrer Menschheit gegenüber stehen, nicht segmentiert nach Unterschieden in Status und Rolle. Hier konzentriert sich eine Macht der Schwachen im geordne-ten Chaos, in welcher die Normwidrigkeit eine Pflicht sein kann. Das Ziel der Menschen die sich in einer Communitas zusammenfinden ist Transformation. Ungeachtet dessen ob ein sakrales Anlie-gen verfolgt wird oder nicht, die Gruppe ist auf eine umwandelnde Erfahrung aus, die bis in die „Tiefe des Seins jedes Einzelnen vordringt und dort etwas grundlegend Gemeinsames findet.“ (SuA:134). Die daraus entstehende Kraft kritisiert, karikiert und festigt zugleich die bestehende gesellschaftliche Sozialstruktur der Societas, dem Gegensatz der Communitas. Die beiden sozialen Räume verbindet ein dialektisches Verhältnis, sprich sie bedingen einander. Sie garantieren durch ihre spezifischen Eigenschaften und Funktionen Wandel und Tradition (stetige Sicherheit), und somit gesellschaftliche Entwicklung. Die Communitas ist demnach unabdingbarer Stabilisator und inhärentes Element der Gesellschaft.

„Vielmehr ist sie [die Communitas] das Produkt spezifisch menschlicher Fähigkeiten, zu denen Vernunft, Wollen, Erinnerung gehören und die sich mit der gesellschaftlichen Lebenserfahrung entwickeln…“ (SuA:125)

Die Communitas, als verändernde Kraft, ist in die Gesellschaft eingebettet.

„Communitas dringt in der Liminalität durch die Lücken der Struktur, in der Marginalität an den Rändern der Struktur und in der Inferiorität von unterhalb der Struktur ein.“ (SuA:125)

Turner versteht Gesellschaft als dialektischen Prozess, mit immer wieder kehrenden Phasen von Struktur und Antistruktur, von Societas und Communitas, die sich teils durchdringen. An beiden Phasen teilzuhaben bezeichnet er als menschliches Bedürfnis (SuA:193).

Abbildung 5 „Kollektive Dimensionen“
(eigene Darstellung)

„… Kollektive Dimensionen sind – auf allen Stufen und Ebenen der Kultur und der Gesellschaft vorhanden.“ (SuA:111)

Der Gegenspieler der Communitas ist die Societas. Sie wird von Turner als eine geschlossene und institutionalisierte Gesellschaft bezeichnet. Regeln, Norm, Stetigkeit, Ethische Rechte und Pflichten, die alle einbindet, bilden das Gerüst. Die Sozialstruktur kennzeichnet sich durch ein mehr oder we-niger ausgeprägtes Arrangement spezialisierter und voneinander abhängiger Institutionen, sowie institutioneller Organisationen von Positionen und/oder Akteuren, die diese Institutionen voraus-setzen. So organisiert sich die Position des Individuums nach Amt, Status, Rolle, wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Positionen. Institutionalisierte Normen, die Normeneinhaltung als Pflicht und Ordnung sind Kennzeichen der Societas. Das Individuum bewegt sich innerhalb seines sozia-len Status.

Turner unterscheidet drei Formen von Communitas, die spontane, ideologische und normative. Die normative Communitas kann Subkulturen bezeichnen. Ihr haftet ein Gefühl von Befreiung an, das auf einem Gefühl der Auslieferung den institutionalisierten Gruppen gegen über gründet. Sie kommt durch die Aufsplittung der ursprünglichen Communitas in Splittergruppen zustande. Der innere Widerspruch zwischen spontaner Communitas und deutlich strukturiertem System wird durch den Kompromiss der Aufsplittung aufgelöst. Dieser Kompromiss ist solange gültig wie das Machtgleichgewicht zwischen den Splittergruppen aufrecht erhalten bleibt (RzT :77-79).
Was am Modell der normativen Communitas interessant erscheint, ist ihre kreative Veränderungs-kraft als Keimzelle der Societas. Ich möchte die Interpretation der Communitas im Sinne eines gruppendynamischen Erlebnisses erweitern. Die Tanzformen Butoh und Krumping sind künstleri-sche Ausnahmetechniken, keine Rituale in traditionellen Gesellschaften. Trotzdem kann tänzerische Performanz eine vorübergehende Umkehrung der sozialen Normen spielerischer Natur sein. In der Communitas und der performativen Kritik am System zeigt sich ein aktiver Gegensatz, kein Kontrast zur Sozialstruktur (RzT:79).

Turner bezeichnet die praktische Vollführung der calvinistischen Erlösungslehre als deren internali-siertes Gewissen . Das, was früher die Riten des sozialen „Werks der Götter“ waren, ist im Calvinismus die nichtspielerische Arbeit. Die Arbeit fungiert als Mittler zu Erlösung und übernimmt die Rolle eines internalisierten Gewissens (RzT:57). Die kollektive Pflicht zum Ritual wird in vorin-dustriellen Gesellschaften als Arbeit angesehen: „Gemeinschaftliche Beteiligung, Pflicht, das gemeinsame Überwinden kollektiver und individueller Krisen kennzeichnen sowohl „das Werk der Götter“ als auch heilige menschliche Arbeit […]“ (RzT:47). Nach Turner unterscheidet sich diese sakrale Arbeit deutlich von der profanen, doch in beiden Dimensionen ist das ludische Element vorhanden. Die Möglichkeit der Änderung des rituellen Ablaufs durch die Gemeinschaft obliegt der Gemeinschaft als Eigentümerin des Rituals.
Das Verbot von rituellen Zeremonien und Theater ist im Protestantismus, dem englischen Purita-nismus und dem französischen Absolutismus zu beobachten.

Turner wendet sich innerhalb seiner Schaffensperiode vom Stammesritual ab, hin zu der Frage wie die Gesellschaft als Drama von anderen Wissenschaftlern aufgefasst wurde. Bourdieu arbeitet mit dem Begriff des “Habitus” als Inbegriff unbewusster Verkörperung. Turner verwendet den Begriff für bewusste Verkörperungen. Diese bewussten Verkörperungen lassen sich in Ausnahmetechni-ken, wie dem Butoh und Krumping ausmachen. Der entscheidenden Frage ob das Ritual eine andere oder frühere Form der Performanz ist als das Theater, ob es einen Unterschied zwischen Ritual und Theater gibt, kann er wegen seines überraschend frühen Todes nicht mehr auflösen.
Die von Turner proklamierte Zwanghaftigkeit von Ritualen ist heute nicht mehr länger haltbar. Ebenso wenig, dass Rituale unreflektierte und unveränderbare starre Phänomene sind. Rituale sind transformierbar, nur bekommt der Ethnologe meist nur Ausschnitte der momentanen Ge-genwartsreflexion mit. Seine kategoriale Trennung von Zuschauer und Teilnehmer ist nicht mehr zeitgemäß, betrachtet man die gezielten und mannigfaltigen Entwicklungen des modernen Tanz-theaters (Els Baus de la Fura), welches die klassischen Theatergesetze ad acta legt und bewusst auf die emotionale Involvierung der Zuschauer setzt. Seine Begeisterung für das Theater in den USA hat ihn gegenüber den Zwängen des Theaters innerhalb der kommerziellen Verhältnisse blind gemacht (Hornbacher 2005, 2007).

2.5 Exkurs Interdisziplinäre Performanzwissenschaft

Abschließend ein kurzer Ausblick auf weitere Stimmen aus der Wissenschaft zum Komplex Per-formanz. Pierre Bourdieu entwirft mit „Die Feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.“ (1979) eine Kampfschrift gegen Kants Aufklärung, den Marxismus und die Vorstel-lung, dass soziale Ungleichheit nur auf Einkommensarmut basiert. Bourdieu (1967) fasste den von Mauss eingeführten Begriff Habitus auf, und entwarf die These des „sozial informierten Körpers“. Der Habitus als habitualisierter Geschmack wird durch die Klasse produziert und über soziale Klas-senzugehörigkeit erlernt und unbewusst reproduziert. Des Menschen künstlerischer Geschmack ist somit nicht frei, sondern prädeterminiert. Ästhetik, Kreativität und Fantasie des Menschen verortet er im Konzept des symbolischen Kapitals. Der Habitus als Depot von Anordnungen und Orientie-rungen wird vom Individuum unbewusst reproduziert. Der Habitus der sozialen Klasse lässt sich anhand des symbolischen, des kulturellen und des ökonomischen Kapitals definieren. Die Gesell-schaft teilt sich nach Bourdieu anhand der vier Kapitalsorten und der jeweiligen Verfügung über sie auf. Die Kapitalsorten dienen der gesellschaftlichen Distinktion und Macht. Soziale Unterschiede sind auf den Habitus und den sozialen Lebensraum zurück zu führen und perpetuieren diese zu-sätzlich. Unterschiede in Geschmack und Lebensstil sind in der Sozialisation der Klasse begründet. Das kulturelle und symbolische Kapital beherbergt den Diskurs über Kunst, und dient den Besit-zenden dazu sich Vorteile zu erhandeln. Die Einschreibung der Klasse im Körper ergibt sich über drei Determinanten: soziales Umfeld, Habitus und Geschmack. Er strebt eine Aufhebung des Dua-lismus von subjektiven Faktoren und den objektiven Gegebenheiten an. Anknüpfend an den Strukturalismus versucht er die vorgestellte Wirklichkeit mit der wahrgenommenen Wirklichkeit zu verbinden. Dabei geht er empirisch vor. Der Habitus äußert sich dann in kontextualisierten menschlichen Handlungen, durch die „strukturierenden Praktiken“ (Köpping 2000). Die Reproduk-tion der Klassen über den Habitus wird so zum Herrschaftsinstrument. Bourdieus Konzept weist, aus der Perspektive einer realistischen Wissenschaftsphilosophie, eine Schwäche auf. Bourdieu verkennt die Klassen der Reorganisation. Das Konzept des Habitus ist nicht durchlässig für Auf- und Absteiger innerhalb der Klassen. Der Habitus ist damit ein hypothetisch kognitiver und transzendenter kausaler Nexus. Als ein Beispiel für den habitualisierten Geschmack nennt er den europäischen Gesellschaftstanz. Dies unterstreicht seine Schwachstelle, denn er wählt mit dem Gesellschaftstanz eine spezifische Tanzform, welche die Ordnung der Klasse reproduzieren soll. Dieser Tanz entstand aus einem konservativen gesellschaftlichen Bedürfnis die Werte aufrecht zu erhalten und zu perpetuieren, ein überzeugendes Beispiel für seine These, nicht für den Bereich des Tanzes und des Körpers im Allgemeinen. Denn Tanzformen, die explizit eine inner- oder transkulturelle Reflexion suchen und eine Form hierfür über den Prozess der Sinnsuche kreieren, fallen aus seinem rigiden Raster, er zieht sie nicht mit ein. Damit wird verkennt er das Potential spezifischer Leibtechniken.
Foucault scheint Bourdieu zu kritisieren, in dem er jene als Dumme bezeichnet, die meinen das alles Denken die Ideologie einer Klasse „ausdrückt“: „Ihre ungewollte Tiefe ist es, dass sie mit dem Finger auf die moderne Seinsweise des Denkens zeigen“. Foucault benennt was diese Seinsweise beabsichtigt: „Noch grundlegender dringt das moderne Denken vor in jene Richtung, in der das Andere des Menschen das Gleiche werden muss, das er ist.“ (SdW:396)
Foucaults Lehrer Maurice Merleau-Ponty, aus der Schule der Phänomenologen, entwickelte den Terminus des „In-der-Welt-Seins“ . Husserls Idee der transzendentalen Subjektivität stellt den Menschen als einen uninteressierten, passiven Zuschauer dar. Demgegenüber befindet sich, nach Merleau-Pontys Phänomenologie, das Subjekt durch seinen Leib in einer engen Verbundenheit mit der Natur. Mit diesem Gedanken überwindet er die Dichotomie von Rationalität und Erfahrung. Merleau-Ponty sieht den Körper als zweifach definiert und befähigt. Einerseits ist er Erlebensmedi-um- und instrument, andererseits ist er Vorbedingung unseres Seins und unser einzig wirklicher Bezug zur Welt und zum „In-der-Welt“ sein. Er widersprach dem Körper/Geist Dualismus René Descartes und betonte, dass der Körper und die Psyche untrennbar miteinander verbunden seien. Für Merleau-Ponty sind Menschen verkörperte Subjekte und jede Analyse der Beziehung des Selbst mit der Welt muss von der fundamentalen Tatsache ausgehen, dass wir verkörpert sind. Der Körper ist nicht einfach nur ein Haus für unseren Geist, sondern über die gelebte Erfahrung unseres Körpers nehmen wir überhaupt erst war, werden wir informiert und interagieren wir mit der Welt. (Merleau-Ponty 1962). Kritisch zu bemerken ist, dass die Phänomenologie diese Körper-lichkeit als universal ansieht, und nicht den Vergleich mit anderen Kulturen gesucht hat.
Köpping stellt das Erleben welches ausschließlich über den Körper möglich ist, als diskursive Praktik dar. In Anlehnung an Foucault und Bourdieu, und einer Phänomenologie Merleau-Pontys, ist der genuine Weg des Erfahrens nur über die Sinne nachzuzeichnen. Köpping spricht von dem rituellen Potential der „Ermächtigung“ als Kraft der Transformation. Interessant ist Köppings Bemerkung, dass die Entscheidung darüber welches Medium Reflektionspotential haben darf oder nicht, immer eine kulturelle Prämisse darstellt (sh. ebs. Hornbacher 2005).
Anschließend an Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Form“ bemerkt Elberfeld:

„Mit der Bestimmung des Leibes als einer eigenständigen symbolischen Form (Cassirer) steht er neben anderen symbolischen Formen wie Sprache, Mythos, Kunst und Wissenschaft als eine Grunddimension kultureller Praxis. Der Leib selbst ist eine kulturelle Praxis und ist uns niemals außerhalb dieser Tätigkeit gegeben.“ (Rolf Elber-feld, 2007: 220)

Brandstetter bietet eine pragmatische Analyse für die Etablierung des performativen Wissenscor-pus an. „Tanz als Szeno-Graphie des Wissens“ beeinflusst als „sinnlich dynamisches Wissen“ den Diskurs und den Inhalt von Wissen. Sie macht das an den Kategorien der Beweglichkeit sprich der „Objekt-Unschärfe“, an der temporalen Struktur, den „Monumenten“ des Wissens, der dynamisch kontingenten Beziehung zwischen Forscher und seinem Forschungsgegenstand und dem sich da-durch wandelnden Forschungsprozess fest. Dies erschüttert unsere Vorstellung der Idee der Wahrheit, da dies auch die Disziplinen betrifft die mit „scheinbar verlässlichen Ereignissen operie-ren“. Diese Erschütterung kommt durch eine vom Tanz inspirierte dynamische Reflexion zustande, wie sich etwa im Sichtbarmachen des Forschers als Mensch, dessen sinnliche und emotionale Kör-per-Bewegungen den Forschungsprozess beeinflussen. Tanz als Wissen verortet sie im Entstehungsprozess des Tanzes, in Frage-Ritualen, in der Improvisation, in Film-Sessions. Diese These wird in den Ausnahmetechniken des Butoh und Krumping bestätigt, in welchen die Impro-visation eine absolut zentrale Position im Körperbild und dem Charakter der Tanzformen als synästhetische Wahrnehmung darstellen. Die Improvisation öffnet den Weg zur Reflexion diverser kultureller Erinnerungen und Erfahrungen. Die Entstehung neuer Tanzformen kennzeichnet einen Paradigmenwechsel in der Wissensform Tanz. Da der Bruch eines Tanz- „Codes“ die Spaltung in-nerhalb des Tanz-Systems bedeutet, ist eine neue Tanzform mehr als ein „Stilbruch“. Die Umbrüche die sich im europäischen modernen Tanzsystem seit Beginn des 20. Jahrhunderts ma-nifestiert haben, bezeugen ein neues Zeitverständnis und Menschenbild und die Artikulation von diversen Differenzen im Tanz. Dieser Wandel des Körperbildes bedeutet einen Wandel in all den Wissensbereichen die über den Körper beeinflusst werden. Dieser zeigt sich spezifisch nur im Hin-blick auf eine Kontextualisierung. Die Vergänglichkeit des Tanzes macht die Dynamik von Kultur sichtbar, und widerspricht dem starr angelegten und rein theoretischen und hier realitätsfernem Kulturkonzept (Brandstetter 2007).
Waldenfels bietet in seiner Vision des Verhältnisses von Wissen und ästhetischer Wahrnehmung das „sehende Sehen“ als Wahrnehmungskategorie an. Dieses Sehen „erprobt neue Sichtweisen“ fernab der im Gedächtnis existenten Bilder und Assoziationen, es sprengt den Rahmen“ und „be-zeichnet inkompatible Strukturierungen“.

„Dies wäre die Verfassung einer Aufmerksamkeit, die offen ist für die je präsente Tanz-Aufführung als kinästhe-tisches Erfahrung, als Szenographie des Wissens.“ (Brandtsetter 2007:95)

Tänzer und Choreografen loten heute neue Bereiche des Nicht-Wissens aus. Sie sind Experten des Themas Orientierung. Die menschlichen Möglichkeiten der Orientierung treiben sie in ihrer Arbeit an die Grenzen, durch Kollaps, Störung, Fall und Scheitern. Dies bildet die Herausforderung für die Experten, deren Thema heute ein wesentlicher Wert der globalen Kultur ist und wichtige Bereiche des Innovations- und Kreativitätspotential betrifft. Diese Prozesse des Auslotens und der Orientie-rung sind auch Bestandteile der Tanzformen Butoh und Krumping. Die Grenzen werden mit der Verarbeitung von Katastrophen in der Bewegungssprache ausgelotet. Wulf liefert einen wichtigen Handlungsansatz zur globalen Herausforderung dieses Jahrhunderts, zum Umgang mit transkultu-rellen Migrationsströmen und der konsequenten Verständnisprobleme, in dem er den performativen interkulturellen Austausch betont. Auch er fordert ganz im Sinne Foucaults eine selbstreflexive, synchrone, historisch-anthropologische Tanzforschung die sich nicht auf „bestimm-te Epochen und Kulturen begrenzt“, sondern mittels eines transdisziplinären und transkulturellen Ansatzes den Eurozentrismus in den Humanwissenschaften und der Ästhetik überwindet (2007:130).
Erika Fischer-Lichte, Elberfeld u.a. stehen in der Tradition von Foucault und eröffnen weitere vielfäl-tige neue Perspektiven auf die „Szenographie“ performativen Wissens .

3 Butoh – kinästhetische Reflexion

Butoh ist eine Tanzform, die sich mit der Verbindung Leben und Tod auseinandersetzt. Dabei geht sie auf die dunklen Schattenseiten des Menschseins ein und erinnert an Ahnenkulte und das gro-teske, „arme“ und das „grausames“ Theater. „Ein magisches Theater im Geist schamanistischer Riten und shintoistischer Volksfeste“. Auch der volkstümliche buddhistische Totentanz findet Ein-gang in die neue Tanzform. (Haerdter/ Kawai 1986:10). Gleichzeitig ist sie jedoch eine modernes revolutionäre Tanzform die gegen das traditionelle aufsteht und die Nachkriegspolitik und die un-menschliche Industrialisierung anklagt.
Klassische Fragen bei der Auseinandersetzung mit fremder Bewegungskultur sind Identität, Ver-stehbarkeit, Übertragbarkeit von Erfahrungen und Traditionen. Diese Fragen sind ein guter Begleiter für den Leser und seinen nun folgenden Spaziergang durch die Tanzwelten des Butoh und des Krumping.
Folgend werden die Tanzstile mittels ihrer soziopolitischen und tanzhistorischen Entstehung inklusi-ve der Gründerfiguren und bedeutender Tänzer vorgestellt. Die Bewegungsanalyse wird mit Kategorien aus der Tanzethnologie, Tanzforschung und Choreografie vorgenommen. Aspekte der Praxis und Technik der Tanzform sind die Lehrmethode, Körpersprache und Körperbild und Erfah-rung und Gestaltung von Raum und Zeit. Bei der Betrachtung der Tänzergemeinschaften wird Victor Turners Begriff der Communitas herangezogen, da die Tanzgruppen in Momenten soziokul-tureller Transformation entstanden. Zentral für die Beschreibung des ästhetischen Selbstverständnisses der Akteure ist deren spezifische Weltkonzeption.
Butoh ‚Der stampfende Tanz’ – ist eine kulturelle Symbiose. Im Butoh ist der Körper nach unten gerichtet, am Boden verhaftet, entgegen der angestrebten unnatürlichen Schwerelosigkeit des Körpers im Ballett. Es ist keine Suche nach Schönheit sondern nach Wahrhaftigkeit, nach der Ge-schichte und den Bildern Japans. Improvisation ist die zentrale Methode , um die Körperbilder in Tanz umzusetzen. Die Individualität des Menschseins soll dabei in den Hintergrund treten (Hijikata) und die dunkle Seite des Lebens und der Tod werden betont, das sind die stärksten choreografi-schen Merkmale. Das Köperbild ist durch ein knochiges und ausgezehrtes Erscheinungsbild geprägt, Sehnen und Rippen werden deutlich sichtbar. Bewegungen die Leid, Schmerz, Krampf und Trauer in sich tragen sind typische Elemente von Butoh. Langsame Bewegungen im Raum und isolierter Körperteile sind kennzeichnend. Butohtänzer tanzen oft fast nackt und ihre Körper sind weiß geschminkt. Die Binnenperspektive des Butoh ist hochgradig reflexiv. Er bezieht sich auf den japanischen und den europäischen Habitus, karikiert beide, vor allem die des europäischen Balletts, und inkorporiert Teile beider kulturellen Körperbilder.
3.1 Soziopolitischer Entstehungsrahmen

„Butoh ist wie eine Leiche, die mit aller Kraft aufrecht steht.“ Hijikata Tatsumi

Butoh, der ‚stampfende Tanz´, entsteht im Japan der Nachkriegszeit. Das japanische Volk befindet sich in der Postära des zweiten Weltkriegs in einem extremen Transformationsprozess. Am 6. und 9. August 1945 explodieren über Nagasaki und Hiroshima zwei amerikanische Atombomben, 155.000 Menschen sterben sofort, mehr als 110.000 sterben an Folgeschäden . Die militärische Kapitulation mit der Potsdamer Erklärung am 15.August 1945 bedeutet eine moralische Niederla-ge für das japanische Volk und erschüttert das nationale und kulturelle Selbstbewusstsein wesentlich und nachhaltig . Folglich findet eine Hinwendung zu Codes westlicher Kultur statt, und zugleich eine Verleugnung der eigenen kulturellen Wurzeln. Man ist auf der Suche nach einer neu-en Identität welche die Grauen der Vergangenheit und die historische Dimension der Erinnerung inkorporieren soll. Das Bedürfnis nach einer neuen japanischen Identität, jenseits des modernen europäischen Ideals wächst. Die unhinterfragte und ewige Nachahmung westlicher Modelle erregt Widerwillen im kollektiven Unbewussten. Die Menschen nehmen die Desintegration ihrer kulturel-len Identität nicht länger hin. Als im Jahre 1959 der Vertrag über gegenseitige Sicherheit mit den Vereinigten Staaten von Amerika unterzeichnet wird gerät der Inselstaat in Aufruhr. Dass die durch unsagbares Leiden geprägte Vergangenheit des Volkes durch diesen politische Übereinkunft ignoriert und darüber hinaus im Schulterschluss mit der Siegermacht konstruiert werden soll, wird von den Japanern nicht hingenommen. Großdemonstrationen folgen und diese wandeln sich in gewalttätige Unruhen. Der Campus und die Strassen Tokios werden zur Bühne für spontane Kunst, Butohtänzer performen an den Ecken der Großstadthäuser und in der Metro. Die histori-sche Konstruktion einer nationalen Identität wird durch die Unruhen öffentlich angeprangert und als Maskerade entlarvt. Das Volk wehrt sich gegen das Verschweigen der unerwünschten Aspekte der gemeinsamen Vergangenheit (Röttger 1997: 39).
Die Krise Japans zeigt auch die Prozesse auf, welche Turner in seiner Konflikttheorie des sozialen Dramas beschrieben hat. Der Bruch mit der Norm, die Krise und dann der Versuch der Wiederher-stellung des Status quo oder die Abspaltung. Das japanische Volk ist tief zerrissen, viele können sich mit dem Shōwa-tennō Kaiser Hirohito und seinen politischen Handlungen nicht mehr identifizieren . Andere achten ihn weiterhin als göttliches Wesen. Japan hatte in den 2600 Jahren zuvor keinen Krieg verloren. Doch das Bewusstsein um hunderttausende Tote, die Nachfolgeregierung unter Kaiser Hirohito, der Sicherheitsvertrag mit den USA – all das stürzt Ja-pan in eine nationale und kulturelle Identitätskrise.

„I think this is not only a Japanese problem: After the second world war, after fascism, all cultures needed re-flection about their roots or their origin or their identity … and it is a bit of a political problem ‘who’ is culture. … Butoh has started under the reflection of Japanese history. Until before the second world war – it is also Japanese modern age – Japanese artists or Japanese aesthetics were easier with the Japanese tradition. But after the second world war, in this reflection, .. Japanese avantgardists wanted to refuse this kind of history or tradition … to escape from this tradition. … The Butoh has started on white paper, on tabula rasa. Of course Butoh dance has connections with Japanese traditions – but it is not simple.“ Kô Murobushi (Nürnberger 2001 )

Butoh entstand in der harten Nachkriegszeit, das Leben der Begründer Hijikata Tatsumi und Ka-zuo Ohno sind von den Atombombenanschlägen und den katastrophalen Folgen des zweiten Weltkrieges gekennzeichnet. Sie haben den drastischen sozialen Wandel in der japanischen Ge-sellschaft von der Armut der Nachkriegszeit zum extremen Materialismus selbst erlebt. Eine Rückbesinnung auf das „Eigene“ und ein gleichzeitiges Miteinbeziehen von „fremden“ kulturellen Elementen führt zur Entstehung der modernen Tanzform Butoh in Japan. Diese Wechselwirkung wird noch eingehend erläutert.

Einige japanische Tänzer waren nach Europa gegangen , um dort bei Mary Wigman und anderen zeitgenössischen Tänzern Unterricht zu nehmen. Sie gingen zurück nach Japan und ein Prozess fokussierter Auseinandersetzung mit der japanischen und der europäischen Kultur wurde Kernteil ihres künstlerischen Schaffens. Der Butohtänzer kreiert und schöpft seine Kunst aus seinen je kul-turellen Symbiosen, individuellen Wurzeln und hybriden Identitäten.
Der kurze Abschnitt zu Ehren Kazuo Ohnos darf keineswegs als relatives Maß für seinen Einfluss auf die Entstehung des Butoh gesehen werden . Aufgrund des vorgegeben Umfangs der vorlie-genden Arbeit habe ich mich entschieden auf die Rolle Hijikatas einzugehen, wobei meine Entscheidung auf der Bevorzugung der synchroner Darlegung fußt, und keineswegs ästhetischen Kriterien folgt.
Für den Künstler John Cage gibt es keine Trennung zwischen Kunst und Leben. Für den Tänzer – insbesondere den Butohtänzer – gilt das gleichermaßen.

3.2 Der Gründer Hijikata Tatsumi

Hijikata Tatsumi (1928 – 1986) gilt als der Begründer und Architekt des Butoh. Er ist in Akita, To-hoku auf der Insel Honshu im Norden Japans, als zehntes von elf Kindern geboren. Die Eltern sind Bauern und betreiben ein Soba -Geschäft. Seine Kindheitserinnerungen sind stark von Leid und Gewalt geprägt. Missernten prägen die Jahre seiner Kindheit in Tohoku und er wächst mit dem Blick auf die geschundenen Körper der Reisbauern auf. Das Bild der durch die lebenslange harte Reisernte gekrümmten Rücken der Bauern, brennt sich in sein Gedächtnis. Der Tod seiner Schwester ist ein einschneidendes Erlebnis. Es ist unklar ob das Mädchen tatsächlich starb oder ob sie totgesagt wurde. Unter der veramten Landbevölkerung war es damals üblich die Töchter für die Prostitution zu verkaufen, um so das Überleben der Familie zu sichern. Die „tote“ Schwester trägt Hijikata fortan immer in und bei sich. Hijikata überlässt ihr mehrfach seinen Körper auf der Bühne und lässt sie so aus ihm heraus tanzen. Das Stück „The Girl“ (1973) trägt sozusagen ihren Namen und ihre Körperschrift. Dies erklärt seine starke lebenslange Bindung zum Thema Tod.
Der trinkende und gewalttätige Vater unterhält die Gäste regelmäßig im Restaurant der Eltern mit Liedern und Tänzen. Hijikatas Identität ist seit Kindheit an mit dem Tanz im Alltagsleben verknüpft. Das Bild von Tanz wurde auch durch sein verbotenes Spiel mit den Kimonos der Schwestern ge-prägt. Die Erinnerungen an seine Kindheit verbindet er später oft mit dem Begriff der „Dunkelheit“ (Schwellinger 39).
Hijikata verlässt Tohoku 1952 mit 23 Jahren und geht nach Tokio. Die moderne Stadt schockiert ihn zutiefst . Der Unterschied zu den anderen jungen Künstlern in der Stadt war groß, da für Hijikata das Leben in der Großstadt völlig neu war. Sein ländlicher Akzent verriet seine, ob der Provinzialität belächelten, Herkunft, und er reagierte darauf mit einer regelrechten Lesegier der Avantgardeliteratur.
Hijikata studiert zunächst Ballett, den am deutschem Ausdruckstanz orientierten amerikanischen Modern Dance, Flamenco und Jazz. Die Angebote, eine professionelle Karriere als Ballett – Tänzer zu verfolgen, lehnt er ab.
Sein Interesse gilt der europäischen Avantgardebewegung um Antonin Artaud. Er liest Texte deut-scher Philosophen, französischer Maler und Dichter, verschlingt die Werke der Vorbilder der europäische Avantgarde Arthur Rimbaud, Marquis de Sade und Comte de Lautreaumont. Sie be-eindrucken Hijikata und inspirieren ihn eine eigene Tanz-Lehre zu entwerfen. Butoh entsteht in einer Zeit der Transformation, in der neue Wege des Lebens, der Wirklichkeit und ihrer Darstellung gesucht werden. Auf vielen internationalen Bühnen der Welt und unter den Künstlern der Avant-gardebewegung Jean Genet, Antonin Artaud, Salvador Dalí, den Surrealisten, Dadaisten und Expressionisten ist dieselbe Stimmung spürbar. Artaud, einer der bedeutenden Schöpfer der euro-päischen Theater Avantgarde der 1920er Jahre, so wie Jean Genet, Jerzy Grotowsky und andere Kreative wollten den defizitären Zustand der eigenen Theaterkultur beheben. Artaud war stark beeindruckt von einer balinesischen Tanztheateraufführung, die er auf der kolonialen Pariser Welt-ausstellung von 1931 sah . Dieses Tanztheater inspiriert ihn und ist Vorbild für die Entwicklung seiner Theatertheorie, Er sieht in der balinesischen Performanz die Kraft den Geisteszustand des Zuschauers zu berühren und verlorene Gefühle zu erwecken, und darüber hinaus das Beispiel für eine eigene autonome Theatersprache. Insbesondere die Idee eine eigenständige Körpersprache im Theater war ihm ein großes Anliegen. Auf die Arbeit Artauds haben die Eindrücke des balinesi-schen Gastspiels eine große Auswirkung . Sein Ziel ist es eine eigene konkrete Sprache für das europäische Theater schaffen, die aus der Enge des Wortes ausbricht. Er möchte mit diesem Vor-bild ursprüngliche Ausdrucksformen des Körpers im Raum reaktivieren. Das europäische Theater soll sich extremer optischer und akustischer Effekte bedienen, um so beim Zuschauer intensive Gefühlszustände hervorzurufen. Das performative Element des stummen Schreis im balinesischen Tanz ist zu ähnlicher Weise im Butoh ein Sinnbild dafür, dass der Text und das Wort in den Hin-tergrund tritt. Die suggestive Einheit von Text und Handlung herrscht hier nicht mehr vor, und die Einheit des Signifikanten und Signifikats fallen auseinander . Die Aufführung ist keine mimesis mehr, sondern Wirklichkeit. Dem individuellen und kulturellen Unbewussten ist mit dem Körper ein ausdrucksstarkes passendes Medium gegeben. Was Artaud an der balinesischen Tanzaufführung faszinierte, war die Darstellung und Verkörperung des Unbewussten. Wie wichtig die Veranschauli-chung und Reflexion des Unbewussten im kulturellen System als formale Struktur oder im Individuum selbst ist, greift Foucault in „Die Ordnung der Dinge“ 1971 auf. Zu dieser Zeit findet in der Kunstszene eine tief greifende Neuorientierung statt, mit einem neuen Hauptdarsteller – der verstärkten Performativität. Es entsteht das nicht-repräsentative Theater, Artaud nennt es das „Theater der Grausamkeit“, „Theater des Mangels und der Krise“. Dieses neue Modell wird zur großen Inspiration für die Schaffensprozesse von Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Michel Foucault – und Hijikata Tatsumi . Hijikata greift die Ideen der europäischen und japanischen Avantgarde in eklektischer Weise auf und führt sie seinen eigenen künstlerischen Ideen zu. Eine Rückbesinnung auf das „eigene“ und ein gleichzeitiges Miteinbeziehen von „fremden“ Elementen führt zur Entwick-lung der modernen Tanzform Butoh. Diese Wechselwirkung wird noch eingehender beleuchtet. Nanako (2000:18) sieht in Jean Genets Person und Werk einen starken Einfluss auf Hijikatas ästhetische Linie. Genet ist ein Außenseiter, ausgeschlossen und abgelehnt von Vielen. Er reagiert darauf mit der Verweigerung der Gesellschaft und kreiert sein eigenes paradoxes Ethos. Für Genet war Armut eine Tugend. Am Anfang von Genets Roman „Tagebuch eines Diebes“ (1941) be-schreibt er wie sein Zellennachbar, im pink-weiß gestreiften Häftlingsanzug, sich in seiner Vorstellung zu einer riesigen Blume verwandelt. „These paradoxical conversion became Hijikatas guiding aesthetic throughout his life: the ugly is the beautiful: death is life.“ (Nanako 2000:18)
Hijikata nannte seine Tanz- und Lebensform zu Anfang der 1960 er Jahre ankoku buyo (‚Tanz der Finsternis‘). Ankoku steht für ‘vollkommene Finsternis‘. Buyō ist ein allgemeiner Oberbegriff und wird für gendai buyo ‘moderner Tanz‘ oder koten buyo ‘klassischer Tanz‘ verwendet. Später in den 1960er entwickelte sich daraus der Begriff ankoku butoh. Butō wird im Zusammenhang mit westlichen Tänzen verwendet dem mittelalterlichen Todestanz shi-no-butō und dem europäischen Balltanz butō-kai. Butō war ein Begriff, der für westliche Tanzformen angewandt wurde. Nach dem japanischen Wörterbuch Kojien bedeutet butō auch haimu, eine alte Form des kaiserlichen Saluts bei dem aufgestampft wurde. Tō steht für ‘stampfender Fuß‘. Hijikata verwandte den Begriff an-koku butō, Tanz der Finsternis: „to denote a cosmological dance form which completely departed from existing dances and explored the darkest side of human nature.“ (Nanako 2000:12)
Hijikata hat das Erscheinungsbild des Butoh mit dem „japanischen Körper“ geprägt. Er hat Japan nie verlassen und ist doch Zeit seines Lebens international bekannt geworden. Hijikatas früher Tod, im Alter von 57 Jahren, und sein äußerst kreativer Sprachgebrauch und seine außergewöhn-liche Körpersprache haben aus ihm eine mythische Figur gemacht. Er hat in diversen Filmen getanzt und viele Soli, und Choreografien für diverse Tanzgruppen und Kollegen entworfen.
3.2.1 asbesto-kan – „Communitas“?

Im ankoku buto (‚Tanz der Finsternis) richten die Tänzer ihren gesamten Lebensstil auf Butoh aus. Sie leben gemeinsam im Theater und Probenhaus asbesto-kan ‚Abestos Hallen’ , der zugleich Wohnraum für sie ist. Das asbesto-kan liegt inmitten der Metropole Tokio. Die Butohgemeinde um Hijikata ist eine künstlerische Avantgarde-Subkultur, die nach anderen Regeln und Werten als die Stadtbewohner Tokios und das Gros der japanischen Gesellschaft lebt. Die Strassen und die U-Bahn nutzen die Tänzer als Bühne. Anstatt höchsten Wert auf ein geregeltes Einkommen zu legen, ist ihnen die Kreativität und die Möglichkeit sich vollauf dem Butoh zu widmen, wichtiger. Ihren Unterhalt verdienen sie als Tagelöhner und als Performer in Nachtclubs und Kabaretts. Sie leben in einem kulturellen Zwischenraum.

3.2.2 Œuvres

Hijikata orientiert seinen Tanz nicht an den Reaktionen des Publikums. Er sammelt künstlerisch verwertbare Erfahrungen – über die Nacktheit und das Verhüllen des Gesichts (Schwellinger 1999:66). Hijikata Tatsumi Dance experience no kai ‘Hijikata Tatsumi Tanz Vortrag – nennt er die Reihe seiner Vorstellungen, die meist im asbesto-kan, dem Theater-, Proben- und Lebensraum Hijikatas und seiner Butohtanzgruppen in Tokio präsentiert werden.
3.2.2.1 „Verbotene Liebe“ 1959

1959, im selben Jahr als der Vertrag über die gegenseitige Sicherheit mit den Vereinigte Staaten von Amerika unterzeichnet wird und die Aufstände in Tokio toben, präsentiert Hijikata Tatsumi das Stück „Kinjiki“ , zu deutsch ‚Verbotene Liebe’ oder ‘Verbotene Farben´. Hijikata tanzt „Kinjiki“ mit dem 20jährigen Yishito Ohno, dem Sohn Kazuo Ohnos. Themen der Aufführung sind Homo-sexualität und Gewalt, die schonungs- und hemmungslos dargestellt werden. Die öffentliche Thematisierung der homosexuellen Liebe, das Stöhnen und der Einsatz eines Huhns sind ein mas-siver Tabubruch in der japanischen Gesellschaft und löst auch in der Tanzwelt eine Kontroverse aus. Hijikata, Kazuo Ohno und andere Tänzer treten in Folge aus der nationalen „All Japan Art Dance Association“ aus. Die Choreografie, die tänzerische Performanz und die Inszenierung sind explizit auf das Sichtbarmachen von scheinbar nicht existenter sexueller Neigung und moralisch sanktionierter gelebter Kultur ausgerichtet. Hijikata schenkt seinem Tanzpartner Yoshito ein Huhn als Zeichen seiner Liebe. Yoshito ist mit einem weißen Slip bekleidet. Er erstickt das Huhn zwischen seinen Schenkeln. Dann hört man im dunklen Bühnenraum die zwei übereinander herfallenden Körper. Inmitten des vom Tonband eingespielten Liebesstöhnens ruft Hijikata mehrmals „Je t´aime“. Als sich die Beleuchtung wieder ein wenig erhellt, steht der junge Yoshito allein mit dem toten Huhn auf der Bühne und geht unter Bluesklängen langsam ab. Die Darstellung erregt einen großen Skandal, viele Zuschauer verlassen fluchtartig das asbesto-kan. Mit diesem Stück ist eine neue japanische Tanzform geschaffen, ankoku butoh – ´Tanz der Finsternis´, „ein aus der Ver-schmelzung hervorgegangenes Konzentrat.“ (Schwellinger 1996:36).
3.2.2.2 „Der Masseur” 1963

In „Der Masseur“ verarbeitet Hijikata das Thema Krankheit und Körper und den kulturellen Um-gang damit. Einerseits werden Geschlechtskrankheiten thematisiert, die in der japanischen Gesellschaft mit den „Perversionen“ der homosexuellen Liebe und dem Transvestismus in Verbin-dung gebracht werden. Andererseits ist das Körperbild vieler Japaner durch die Verstümmelungen der Kriegsverbrechen gezeichnet. Ein Großteil der japanischen Bevölkerung leidet zudem an vielen neuen Krankheiten welche Folge der massiven Umweltverschmutzung im Zuge der rapiden In-dustrialisierung seit den 1960er Jahren sind. Das ist Hijikatas Grund für die Wahl des Themas Krankheit – er will den „dunklen“ japanischen Körper darstellen, den wahren Körper Japans, der von der jahrhunderte langen Reisarbeit geschundene, gebückte und immerzu in der Hocke im Nass verharrende Körper, mit dem langen Oberkörper und den kurzen gedrungenen Beinen. Den japanischen Körper der tausendfach verkrüppelt ist durch die Kriegsmassaker.
In der „Masseur“ tragen die Tänzer „Gonhorröe –Kleider“ mit offenem Saum, aus weißen drecki-gen Mullbinden. Lila-farbene Eisbeutel hängen den Tänzern zwischen den Beinen, direkt neben der Blase baumelnd. Das Bild von Lepra- und Syphiliskranken wird in anderen Stücken weiter verar-beitet. Im Zuschauerraum sind tatami Matten ausgelegt auf welchen die Musikerinnen sitzen die den Tanz mit traditioneller japanischer Musik, dem shamisen begleiten. Die Tänzer rennen und stolpern ununterbrochen auf der Bühne hin und her und werfen wild Dinge durcheinander. Die Aufführung erinnert an ein Happening. Durch das ständige Springen und die athletischen Übun-gen, inklusive Fahrradfahren, sieht man die lila Beutel oft und deutlich zwischen dem Schritt der Tänzer hervorblitzen. Blut ist tabuisiert, es ist ein gesellschaftlich geprägtes Symbol für Dunkelheit, Negatives und Schmutz . Das Entsetzen im Publikum und bei den nicht instruierten älteren Musi-kerinnen ist groß. Hijikata geht ganz in der Rolle des „Enfant terrible“ auf (Schwellinger 1998:67). Hier beginnt die Verwendung der bis heute etablierten weißen Schminke, die meist von Kopf bis Fuß aufgetragen wird. Sie gilt als typisches (aber niemals bedingendes) Kennzeichen des Butoh. (Zur Symbolik der Schminke siehe Abschnitt 3.5.2 Körperbild und Körpersprache.)
3.2.2.3 „H. T. & die Japaner. Die Rebellion des Körpers“ 1968

Das Stück gilt als eines seiner bekanntesten Werke. „Die Rebellion des Körpers“ ist ein Solo, in dem Hijikata diverse symbolstarke weiße Kostüme benutzt, ein Brautkleid, westliche Frauenklei-dung und einen goldenen Phallus. Der Phallus ist eine Hommage an Artauds Stück „From Heliogabalus, or The Anarchic Crowned“ (Nanako 2000:20) und zeigt Artauds nachhaltigen Ein-fluss auf Hijikata. Der erste Teil des Titels zeigt auf, das Hijikata hiermit eine Wende einschlägt, weg vom westlichen Fokus, hin zu einer Beschäftigung mit seinem eigenen männlich Körper aus Tohoku (Nanako 2000:20).
Am Eingang des Theaters steht zur Begrüßung ein weißes Pferd. Religiöse Prozessionen werden parodiert, und weiße Tiere erscheinen: ein Kaninchen und ein Huhn. Letzteres wird ebenso erstickt wie im Stück „Verbotene Liebe“. Die Musik ist abwechslungsreich, Maschinenlärm, Flamenco, Klas-sik, alles in allem stellt es eine Parodie der westlichen Religion, Kultur und Kunst dar, vorgetragen von einem weiß gekleideten Pianisten. Als Hijikata im langen Abendkleid auftritt tanzt er heftig, er evoziert den Walzer und Flamenco. In einer anderen Szene tanzt er im Mädchenkimono und So-cken und springt und wendet sich als ob er behindert wäre. In der Schlussszene ist Hijikata an allen vier Gliedern aufgehängt und fährt an einem Seil befestigt gen Decke, sprich Himmel. Sein typisch abgemagerter Körper, seine langen Haare und sein Bart erinnern stark an das „Imagen“ Jesu Christi, er hatte diese Symbolik nicht beabsichtigt. Das Stück gilt als Abrechnung mit der westlichen Kultur und als Hijikatas Hinwendung zur japanischen Identität.
3.2.2.4 „Tohoku Kabuki Projekt 1-4” 1977-85

„Since the body itself perishes, it has a form. Butoh has another dimension.“ (Hijikata in: Nanako 2000:25)

Ab 1974 bis zu seinem Tod choreografiert Hijikata den „Tohoku Kabuki Plan“. Dazu gründet er mit Ashikawa Yoko seiner langjährigen Kreativ – und Tanzpartnerin die Butohgruppe „Hakutobo“.
Hijikata hat seine Heimat Tohoku in seiner Vorstellung zu einem Ort gemacht der außerhalb von Zeit und Raum existiert, für ihn ist Tohoku sowohl ein „fremdes Land“ als auch „überall“.
Der letzte große Wendepunkt in Hijikatas Butoh wird durch “27 Nights for 4 Seasons” das auch “Tohoku Kabuki Projekt” genannt wird eingeläutet. Es ist eine Serie von Stücken, die jeweils eine andere Jahreszeit darstellen und aus Choreografien für die Butoh-Frauengruppe Genjusha und der gemischten Butohgruppe Hangi daito kan entstehen. Die Stücke sind für 27 Aufführungen kon-zipiert, jedes Stück wird 5 bis 6 Mal wiederholt, der Spielort ist das Theater Seibu in Tokio und die Gruppe Hakutobo tanzt. Inhalt sind Themen, Charaktere und Geräusche aus Tohoku. Es ist das umfangreichste Serien-Projekt Hijikatas. Durch den großen Erfolg dieses Stücks werden viele jun-ge Menschen ohne viel Tanzerfahrung in seine Welt initiiert (Nanako 2000:21).
Es ist das erste Mal das Hijikata eine japanische Theatergattung in eines seiner Stücke integriert, Nanako (2000:22) nennt „kabuki-like outward movements“ die Hijikata selbst performt. Er mischt diese Bewegungen mit seinen katas, beispielsweise das kata der typischen Yufu – ‚die tapferen Frauen’ – deren charakteristische Haltung ein gebeugter Rücken, angewinkelte Knie und ein arg vorgeschobenes Kinn sind.
Das “Tohoku Kabuki Projekt” leitet eine radikale Wende ein: Hijikata war der offenen Auseinan-dersetzung mit dem Noh oder Kabuki bisher immer aus dem Weg gegangen und hatte beteuert, dass seine Kunstform nichts mit diesen traditionellen Künsten zu tun habe. Hijikata ist nun 57 Jah-re alt und offenbar ist es Zeit für ihn, sich verstärkt Japans Darstellenden Künste zuzuwenden und auch diese Perspektive in seinen Butoh mit ein zu beziehen. Von einem Großmeister des Kabuki, Gunji Masakatsu, wurde Hijikata gar als Erneuerer des japanischen Theaters gepriesen. Denn das Kabuki wurde zunehmend unbeliebter, da das Publikum begann die westliche Form des „Enter-tainments“ zu bevorzugen. Dafür ist unter anderem das Phänomen des „Ausverkaufs“ der eigenen Kultur verantwortlich. Haerdter/Kawai (1986:21) beziehen sich auf Kenner Japans die das Resultat der Kriegsniederlage auch darin erkennen, dass „es den kleinen Mann in seinem irrationa-len Irrtum bestärkt habe, die Kultur des Siegers müsse der eigenen überlegen sein.“. Der legendä-re Kabuki Darsteller Gunji schreibt den Artikel „A Classical Dance called Death“ (Shi to iu koten butoh) der 1973 kurz nach dem Tanzstück „27 Nights for 4 Seasons“ erscheint. Gunji setzt Hijika-tas Butoh mit dem Kabuki in Verbindung und beschreibt Kabuki als „wriggling in the interior of the womb among Japanese“. (Nanako 2000:22). Die Parallele zu Hijikatas Idee von Butoh als Bot-schaft der inneren dunklen Seite des Menschlichen und des Lebens ist unverkennbar.
Im Stück Tohoku Kabuki Projekt 4 (1985) wird Hijikatas Hinwendung zu der Frage was mit dem Menschen nach dem Tod geschieht und das damit verknüpfte Bild des ausgezehrten Körpers deutlich . Ashikawa ist zum ersten Mal nicht in einer kraftstrotzenden Performance zu sehen, son-dern hier verkörpert sie par excellence das Geisterhafte und den für Hijikatas Butoh typisch ausgezehrten Körper. „In a man´s kimono, Ashikawa moved as if she were floating, her eyes, almost closed, as if her body was disappearing.“ (Nanako 2000:25). Auffallend ist die wechselseiti-ge Geschlechtlichkeit, hier durch den Männerkimono symbolisiert, die in Hijikatas Stücken immer eine Rolle spielt. Hijikata hat sich erst in seiner späteren Schaffensperiode weibliche Darsteller in seine Werke inkorporiert. Er kann das “Tohoku Kabuki Projekt” nicht zu Ende führen da er im Ja-nuar 1986 an einer Krebserkrankung stirbt.

3.3 Kazuo Ohno – „Admiring La Argentina“ 1977

„ Woran ich bei ‚Der alte Mann und das Meer’ dachte, sind die Grenzen der Technik. Technik hat natürlich etwas mit dem Leben zu tun, aber wie sehr man auch an die Grenzen der Kunst geht, es kommt vor, dass die Seele nicht darin ist.“ (Kazuo zit.: in Schwellinger 1998:140)

Kazuo Ohno gilt als der zweite Begründer und Hauptvertreter der ersten Butohgeneration. Er ver-körpert ein anderes Gesicht des Butoh – man bezeichnet ihn als die „Seele des Butoh“. Kazuo Ohno ist 1906 in Hakodate, Hokkaido einer stark westlich geprägten Hafenstadt im Norden Japans geboren und heute 101 Jahre alt . Er kommt aus einer wohlhabenden und behüteten Familie, und auch er hat eine Schwester in seiner Kindheit verloren, sie wurde von einem Zug erfasst.
Bereits als Gymnastiklehrer tätig, begann er sich mit 27 Jahren tänzerisch weiterzubilden. Er be-gann das Tanztraining mit zwei Pionieren des japanischen modernen Tanzes, Baku Ishii und Takaya Eguchi. Eguchi hatte bei Mary Wigman in Deutschland Neuen Tanz studiert. 1960 beginnt die Zusammenarbeit mit Hijikata Tatsumi. Kazuo ist ein grandioser Tänzer und Solist und dem-nach kaum als Choreograf tätig. Obwohl er heute im Rollstuhl sitzt und Sehschwach ist, tanzt er noch immer mit seinen berühmten Händen. Das offene Kazuo Ohno Dance Studio in Tokio führt sein Sohn Yoshito Ohno.

Ohnos Kosmologie

Das Erscheinungsbild des Butoh ist bei Ohno durch die „Seele“ geprägt. Der universelle Begriff der „Seele“ ist der Kernpunkt seines Butohs. (Im Gegensatz dazu, hat Hijikata Butoh mit dem „japani-schen Körper“ geprägt.) Die Grundlage für Ohnos Denken bildet bis heute der christliche Glaube. Der Tod steht für ihn nicht am Ende des Lebens, sondern ist stets als Konstante vorhanden (Schwellinger 1998:156). Der Gedanke der Vergebung ist für ihn persönlich sehr wichtig. Ohnos Konzept des Butoh ist ebenso stark an Erinnerung aus der Kindheit gekoppelt wie Hijikatas, doch er äußert seine Erinnerungen in Traumbildern und durch das „Beschreiben universeller Phänome-ne als persönliche Erlebnisse.“ (Schwellinger 1998:156). Ein zentraler Punkt dieser Erinnerung ist die Bindung an die übermäßig gutmütige Mutter, sein schlechtes Gewissen ob seines kindlichen Egoismus und ihrer mütterlich selbstlosen Aufopferung. Dankbarkeit und das Ideal der Selbstlosig-keit ist ein Grundpfeiler seiner Weltsicht. Auch die „Schöpfung” im Sinne einer Weitervermittlung von Wissen wird ein großes Thema für ihn. Die Mutter, Geburt und die Toten sind Themen die ihn antreiben.
Bei Ohno gilt das Prinzip der Einheit von Idee und Handlung. Der Körper in seiner Gesamtheit bleibt unangetastet, er wird nicht parzelliert. Das ist ein klarer Gegensatz zu Hijikatas Ansatz (Schwellinger 1998:179). Ebenso wie sein Raumverständnis. Er bewegt sich kaum geradlinig, sondern meist auf Bögen mit wechselnder Richtung, also auf Diagonalen. Damit eröffnet er dem Zuschauer mehrere Perspektiven. Ohnos Improvisationen haben eher assoziativ-emotionale Wir-kung und sind für ein breiteres Publikum zugänglich. (Schwellinger 1998:182).
Ohno setzt bei seinen Darstellungen verstärkt auf freie Improvisationen. Gerade die Techniken des modernen Tanzes wie er sie bei Harald Kreutzberg bewundert und bei Ishii Baku und Eguchi / Miya gelernt hat, genügen dem Ausdruck seines inneren Tanzes nicht mehr. Die Technik bedeutet für den Fluss seiner körperlicher Kreativität und Inspiration eine Beschränkung. Ohno bricht Vor-stellungen ab, wenn ihm der wahre Zugang zu seinem inneren Körper versagt bleibt. Sein Stil zeichnet sich durch eine Spezialisierung unglaublich feiner, filigraner und lebendiger Bewegungen des Kopfes und der Hände aus. Diese Körperteile scheinen eigenständige Wesen zu werden, die eine ungeahnte Dimension von Beweglichkeit und Eigenleben offenbaren. Sie vermögen es für sich allein stehend zu sprechen, zu sein. Zuschauer sprechen von einer Person die den Zwischen-raum von Licht und Dunkel, zwischen Leben und Tod aufzeigt. Und zugleich ein Tänzer ist der fragil wie ein Blatt wirkt.
In seinen Workshop wies er daraufhin, dass nur was wenn der Tänzer fühlt der Zuschauer berührt sein wird, es macht also keinen Sinn so zu tun „als ob“. Nur wenn man wagt sich vollkommen von seinem Körper abzutrennen und die einzelnen Körperteile gehen lässt, als ob jedes Gelenk jeder-zeit für sich alleine leben könnte, nur dann hat man die Möglichkeit die eigene „essence“ zu erleben, und sich wie ein Objekt von außen zu beobachten. Ohno motiviert seine Schüler mit dem Neuen, er sagt wenn du das noch nie gemacht hast, wie wäre es heute mal neues Territorium zu beschreiten: „Please just do it, there is nothing I can teach you.“ ( Ohno 2004: 219).

Œvre „Admiring La Argentina“ 1977

„…vom ersten Augenblick an war ich vom Tanz der Argentina fasziniert, ihr Zauber traf mich wie ein Blitz-schlag. Ich kann diese Begegnung niemals vergessen.“ (Schwellinger 1998:138).

Ohno wurde weltberühmt mit der Interpretation von „La Argentina“. Ursache war seine Begeg-nung mit der 20-jährigen spanischen Flamencotänzerin Antonia Mercé, bekannt als „La Argentina“ und „Königin der Kastagnetten“ . Getreu seiner persönlichen Beschreibung war dies das ein-schneidende Erlebnis seines tänzerischen Lebens. Er sieht sie in den 1929 bei ihrem Gastspiel im Kaiserlichen Theater Tokio tanzen und es trifft ihn wie einen Schlag. Diese Begegnung überwältigt ihn, er wird von einer magnetischen Anziehung zum Tanzen gerufen. Darauf hin arbeitet er an einer Hommage für „La Argentina“. Choreografische Unterstützung für dieses Werk erhielt er von seinem geschätzten Kollegen Mr. Hijikata .
Kazuo hatte bei Hijikatas Dance Experience no kai in dem Stück „Kommentar zu Divine“ seinen ersten Auftritt in einer Titelrolle. Das Stück zeigt nach Genets „Notre-Dame-des-Fleurs“ den Tod einer schäbigen alten Prostituierten. Kazuo geht in der Rolle als männliche Prostituierte auf. Denn sie ist eine „Metapher für die Vereinigung von Mann und Frau … im Sinne der Voraussetzung für die Entstehung neuen Lebens.“ (Schwellinger 1998:142). Frauenkleider gehören seit seinem ers-ten Bühnenauftritt in „Rilke- die ersten Blüten des Lindenbaums“ 1949 zu seinem festen Kostümbestand. Seine Androgynität war sein Markenzeichen und überwältigte insbesondere das ausländische Publikum. Obwohl Hijikata und Kazuo unterschiedliche thematische Schwerpunkte innerhalb des Butoh und einen anderen Zugang dazu hatten, hatten sie ein Verhältnis gegenseiti-ger Hochachtung und produktiver Zusammenarbeit. Als Kazuo mit 76 Jahren „La Argentina“ tanzt löst er eine Welle der Begeisterung aus. Durch dieses Stück erlangt er international Berühmtheit und tourt in Folge weltweit bis ins hohe Alter. Kazuo tritt als Spiegelbild von La Argentina auf, und zeigt die Perspektive in der er sie gesehen hat. Ohnos Zugang zu Europa lässt sich an diesem Stück ablesen.

„ … Butoh ist einerseits genuin japanisch, geht aber in vielen Fällen – etwa bei Kazuo … – unmittelbar auf eine zitathafte Übernahme westlicher Tanzformen zurück.“ (Hornbacher 2005:233).

„Mit Travestie […] hat das, was Kazuo Ohno zeigt, nichts gemein. […] Warum also erschrecken wenn ein Greis mit nur wenigen Nuancen Bilder seiner Verehrung nachzeichnet? In allen Figuren schwingt immer der Tod mit. Wenn Kazuo Ohno […] seinen schmalen Körper bewegt, […] wenn er sich zusammenkauert, ist das, als genüge ein Lufthauch ihn wegzuwehen wie ein Herbstblatt, erfüllt neben rührender Zartheit auch der morbide Duft von Chrysanthemen den Raum.“ (SZ Theaterfestival in Schwellinger 1998:152).

Ohnos Sicht des Universums ist im christlichen Ideal der Selbstlosigkeit verankert. La Argentina hatte alte fast vergessene Tanztradition und Wissen wiederbelebt. Ohno sah in ihrer Weiterver-mittlung des tänzerischen “tacit knowledge” eben diese christliche Selbstlosigkeit. Auch bei Ohno zeigt sich hiermit ein Bezug zum Ritual. Die Weitergabe von Wissen ist seit jeher in einen be-stimmten gesellschaftlichen Kontext eingebettet. An der Weisheit der Alten teilzuhaben erhöht zugleich die Chancen des Überlebens. Für Ohno ist das die „Schöpfung“ im Sinne einer „Weiterga-be von Lebenskraft und -weisheit über Generationen hinweg.“ (Schwellinger 1998:149).

3.4 Einflüsse polystilistischer Tanztechniken

Die Begründer des Butoh haben unbestritten eine neue Kunstform entwickelt. Insbesondere das Thema Tod steht als inhärenter Bestandteil des diesseitigen Lebens im Mittelpunkt ihrer Weltsicht. Wie immer wenn man eine neue Idee entwickelt, wird man dabei von etwas inspiriert. Hijikata und Kazuo haben ihre Inspiration in bestimmten Kunstformen oder Künstlern gefunden. Dass diese neue Kunstform auch von der eigenen Kultur geprägt ist, ist einerseits selbsterklärend. Anderer-seits entsteht Butoh genau im selbst-reflexiven Prozess und stellt sich deshalb zeitweise genau gegen diese eigenkulturellen Kunstformen. Inwiefern Butoh aber doch eine genuin japanische Kunstform mit Anteilen der traditionellen darstellenden Künste ist, möchte ich folglich darlegen.
Auch die westlichen Tanzformen Ballett und Neuer Tanz waren Orientierungspunkte im Entste-hungsprozess von Butoh.

3.4.1 Traditionelle japanische Tanz- und Theaterformen

Die traditionellen japanischen Tanz- und Theaterformen Buyo, Noh und Kabuki prägen das japani-sche Kunst- und Kulturverständnis, sowie das der griechischen Dramen und Opern das des abendländischen Kunstverständnisses. Von Interesse sind hier die Elemente der japanischen tradi-tionellen Kunstformen welche im Butoh inkorporiert wurden. In Japan werden die „klassischen“ Künste nicht über die diskursiv-reflexive Art gelehrt. Sie werden über das Prinzip der Nachah-mung erlernt. Das geistige Verstehen und Erlernen der Prinzipien ist zweitrangig. Zentral ist das mimetische körperliche Handeln. Köpping (2000) beschreibt diese mimesis im Sinne von Mitma-chen als “Mimikry und Leiden zugleich”. Es ist ein Lernen, dass sich über das Mitmachen im Sinne von Erleben und Handeln vollzieht. Verbale Korrekturen sind nicht der Lehrweg. Der Schüler kann nur durch das eigene Erleben der richtigen Praxis fühlen und somit erkennen was und wie es rich-tig ist.
In der Meiji-Ära (1868-1912), öffnete sich Japan dem kulturellen Einfluss des Westens. Es ist das Zeitalter der ‚Zivilisation und Aufklärung’ (Haerdter/ Kawai 1986:10). Es brach eine regelrechte Welle der Begeisterung für westliche Dramen und Tanzkunst aus. In der Ära von Kaiser Taisho (1912-1926), zugleich die Nachkriegszeit, fanden das klassische Ballett, der deutsche Ausdrucks-tanz und der amerikanische Modern Dance Einzug in Japan . Dieser aufkeimende künstlerische Einfluss wurde unter der revisionistischen und faschistischen Politik Japans jedoch kurz darauf wie-der erstickt (1930-1945).

Buyo

Die traditionelle, regelgeleitete klassische Tanzform Japans ist der Buyo oder Nippom Buyo zu deutsch ´Tanzschritt´. Buyo ist auch die Tanzform die im traditionellen Kabuki – Theater getanzt wird. Die Schritte werden nah am Boden gesetzt, als würden sie ihn sanft polieren wollen. Dies gibt der Bewegung des Körpers eine gleichmäßige wachsweiche Verhaftung mit dem Boden und macht ihn gleichsam unabhängig von der durch unkontrollierte Schritte hörbaren Schwerkraft. Der Körper gleitet geschmeidig auf der Oberfläche des Bodens dahin. Der Darsteller bleibt so immer geschmeidig mit dem Boden verhaftet, unabhängig davon, welche Höhe der vertikalen Achse sein Körper in dem Moment durchdringt. Der Körper scheint in sich ruhend, kompakt und konzentriert. Sprünge und schnelle Tempowechsel bei Schritten sind kein Element des Buyo.

Noh

Die ersten Noh Theater-Stücke entstanden im 14. Jahrhundert. Sie beinhalten die so genannten „Perückenstücke“. Männliche Darsteller, die Onnagata, präsentierten weibliche Charaktere. Der beachtlichste Theoretiker des Noh Theaters ist Meister Zeami. Er lehrte die Dialektik von tai und yu: Bewege deinen Geist hundert Prozent und deinen Körper siebzig Prozent. Diese Lehre hat Hiji-kata in seine Bewegungsgestaltungsmethode inkorporiert.
Im Noh haben Requisiten wie der Fächer eine wechselnde und vielfältige Bedeutung, sie symboli-sieren Flaschen, Schwerter, Pfeifen, Briefe oder Spazierstöcke. Ebenso herrscht ein strenger Kodex von Farbsymbolik in Bühnenbild, Kimono und Schminke – dem Kuma-dori. Der Kimono ist bei Ohno und Hijikata ein oft verwendetes Kostüm, letzterer trug ihn teils verkehrt herum. Die Ver-wendung des Kimonos in seiner doppelten Symbolik als traditionell gesellschaftliche Kleidung und als klassisches Theaterkostüm, zeigt eine starke Verwurzelung und Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Die Entstehung des Noh-Theaters ist auf ein Ritual zurückzuführen und besitzt etwas vom heiligen Ernst, ja selbst von der Übergangsritenstruktur seines Vorläufers. (RzT:62). „Der Greis ist ein Innbild für die Freuden eines langen Lebens. ‚Alt sein’ ist einer japanischen Weis-heit zufolge, ein Synonym für die Vollendung in ‚karger Schönheit’. Auch im Noh-Theater erscheint der Greis als ein Idealbild des Alters.“ (Haerdter/ Kawai 1986:96).

Kabuki

Das traditionelle Theater Japans Kabuki – ‚Gesang und Tanz’ – formt sich im– Zeitalter des Kaisers Edo (1603–1867). Die theoretische Grundlage für die Entwicklung des Dramaturgie bildet das Prinzip Yo-ha-kyu – kurz für ‚langsam-mittel-schnell’ .
„Das japanische Kabuki will das Leben nicht imitieren, sondern symbolisieren.“ (Hanna 1983:122). Dabei wird auch die Technik der Intensivierung des Ausdrucks durch gegenläufige Kraftvektoren verwendet. In alten asiatischen Traditionen tendiert man dazu Geist und Körper als Ausdruck der-selben kosmischen Wirkkräfte anzuerkennen. Deshalb gibt es dort keine Zweifel über die Erkenntnis das konzentrierte Übungen des Körpers die intellektuellen Fähigkeiten schärfen können und vice versa. (Nürnberger 2001, Grundlagen ). Im außereuropäischen Raum kommt insbe-sondere als ästhetisches Ziel auch die Transzendenz der menschlichen Erfahrung in Betracht, das Ideal der Erreichung eines Heilzustandes. Im Kabuki heißt dieser Zustand kakucho. Er wird durch okisa, ‚Größe’, erreicht, was sich auf die Breite des Ausdrucks und die Tiefe der Darstellung bezieht. Hierbei spielt im Kabuki die Gegenläufigkeit der Kraft- und Bewegungsvektoren eine Rolle, eine Bewegung erreicht Größe, indem sie mit einer kleinen gegenläufigen Bewegung eingeleitet wird:

„When a hand is to be extended forward, it is first pulled back in a preparatory gesture; when a hand is to be extended to the right, it is first brought slightly toward the left side and then extended to the right with a graceful twist of the wrist; when the head is to be turned to the right, first the chin is pointed to the left, the head is dropped forward, and the face is lifted to the right in a three part movement. The preparatory move-ments create a slight pause which draws attention to the final gesture and makes it seem larger in scope.“

Die Technik der Intensivierung des Ausdrucks durch gegenläufige Kraftvektoren, wird durchaus auch im europäischen Raum im Rahmen des Schauspiels benutzt und kann heute noch, im Rah-men des klassischen Balletts gesehen werden, ohne dass sie indes mit transzendenten Zielen in Verbindung gebracht wird.“

Aus dem Kabuki entspringt in Japan die Tradition der transsexuellen Darstellung. Der Onna-gata ist ein männlicher Frauendarsteller, er zeigt die vollendete Stilisierung des weiblichen Ideals. Die Frauenbeteiligung des ursprünglichen Frauentheaters wurde Mitte des 17. Jahrhunderts verboten.
Die Mie – Posen, gehaltene Bewegungen sind ein klassisches choreografisches Element im Kabuki Theater, und weisen auf seinen Ursprung als Tanzdarstellung hin. Die Pose verlängert den Mo-ment für das zusehende Auge und kann klar dramaturgische Brüche markieren. Dies Werkzeug kann eine Intensivierung der dargestellten Stimmung potenzieren aber auch eine gelungene hu-moristische Note setzen. Der gekonnten Führung einzelner Teile des Körpers kommt hierbei eine zentrale Rolle zu. Augenfällig ist der Gesichtsausdruck dessen Beherrschung sich in Grimassen, Blicken, schräger und sich langsam wendender Kopfhaltung zeigt und die Dramaturgie für Mo-mente des Stückes fast ausschließlich alleine übernimmt. Die Mie – Posen verkörpern dramaturgische Höhepunkte des ganzen Stückes. Der Übergang der eingefrorenen Pose, Einras-ten und Auflösung der Bewegung, „contract“ und „release“ und vice versa, bedarf beherrschter Technik , und wird vom wissenden Kabukipublikum sehr geschätzt. Der Höhepunkt der Bewe-gung liegt hier in der Pose, während es beim westlichen Tanz der Fluss der Bewegung ist, der die größte Bewunderung auslöst.

3.4.2 Ballett und Neuer Tanz

Für die Entstehung des Butoh spielt das Vorherrschen des Balletts in der abendländischen Tanzge-schichte eine bedeutende Rolle. Butoh ist aus der Reflexion des eigenen sowie des europäischen Tanzkanons erwachsen. Es folgt eine kurze Einführung in die Tanzform Ballett, um die gezielt ge-schaffenen Distinktionselemente im Butoh zu dieser Tanzform erkenntlich zu machen. Ballett ist etymologisch aus dem italienischen balletto, dem Diminutiv von ballo ‚Tanz’ herzuleiten. Im Frank-reich des 16. Jahrhunderts emanzipierte sich das Ballett vom Gesellschaftstanz und avancierte zum eigenständigen Berufsfeld gefördert von der königlichen Tanzakademie in Paris. Die Entsakra-lisierung des Körpers provozierte einen bis heute andauernden ambivalenten Status. Der Körper wird der trügerischen Illusion unterworfen gegen die Gravitationskraft ankämpfen zu können. Äs-thetische Leitlinien des Körpers als auch der Bewegungen sind Leichtigkeit und Geschmeidigkeit. Ein immenses Vokabular kleiner und großer Sprünge sowie zahlreicher Arabesquen verkörpern die Idee der Gewichtslosigkeit, das Bild einer Feder oder eines Gummiballs welche die Erde nur sanft berühren und die Lüfte schwebend durchqueren. Der Körper richtet sich gen Himmel, strebt un-aufhörlich nach oben , um dem Ideal der engelhaften Unbeschwertheit zu entsprechen. Das westliche Körperschemata richtet sich rigoros an den Faktoren lang, dünn und en-dehors ‚aus-wärts’ aus. Innerhalb dieser Ästhetik hat die Anatomie der Hüften auswärts zu sein , um dem Pub-likum die Innenseite der Oberschenkel, der Waden und den Spann des Fußes deutlich zeigen zu können. Es ist interessant, dass im Ballett die Innenseite der Beine wenn sie bewusst in einer en-dehors Figur gezeigt wird eine herausragende Rolle einnimmt, und im Butoh die Innenflächen, die dunklen Schattenseiten des Körpers, gezeigt werden. Dies markiert eine kleine, wenn auch winzi-ge, Schnittmenge der beiden Tanzgenres. Nichts desto trotz unterwirft sich der Ballett-Tänzer einem kompromisslosen ästhetischen Diktat des Körpers, indem es nicht nur um Kraft und Aus-druck geht, sondern auch um das Einlösen eines konkret vorgegebenen Körperideals. Dies wird mittels täglichen und jahrelangen Modellierens und Einpassens des Körpers in gewisse Bewe-gungsabläufe anhand eisernen Körpertrainings erarbeitet. Der Spitzentanz ist ein Beispiel für unnatürliche Bewegungseinschreibung die einzig auf der Ästhetik und dem darin verankerten Ideal der Leichtigkeit und der Genderzuschreibung beruht. Der Tanz folgt einer festgelegten Choreogra-fie die untrennbar mit der musikalischen Partitur verknüpft ist. Der Platz für Improvisation ist derart minimal, dass ich behaupten möchte es gibt sie nicht im ursprünglichen Wortsinn. Das Prinzip der reinen Imitatio und perfekter Technik ist das künstlerische Ideal, wobei der Dramenaufbau nach aristotelischer Tradition erfolgt.

Der Neue Tanz

Mary Wigman (1886-1973) ist die Begründerin des neuen expressionistischen deutschen Aus-drucktanzes in den 1920er Jahren. Sie lernt bei Emile Dalcrozes rhythmische Gymnastik und geht später zu Rudolf von Laban in die Lehre. Ihr neuer Tanzstil zeigt Freiheit und Nacktheit. Er steht für eine Loslösung des im Ballett gefeierten Körperdiktats und löst damit eine künstlerische Revolution aus. Hier steht das „Wesen der reinen Bewegung im Mittelpunkt“ (Haerdter/ Kawai 1986:13) . Wigman findet ihre Inspiration in der Rückbesinnung zur Natur. Das weist stark mystische Züge auf, nicht gleichzusetzen mit den gesuchten Bildern pflanzlicher, organischer und nicht-organischer Materie im Butoh. Wigman geht es um den Bezug des Individuums zum Kosmos, nicht um die reale Darstellung einer konkreten Lebenssituation, wie etwa die der Großstadt (Schwellinger 1998:32). Der Philosophiestudent Murayama, er gründete später die Butohtanzgruppe MAVO, hatte Wigman 1922 live in Dresden gesehen:

„…Noch nie habe ich einen Menschen mit solchem Ernst tanzen sehen, ihr knochiges Gesicht und ihr schlangen-hafter Körper, manchmal fast nackt und mit gedankenschweren, geschlossenen Lidern, sich auf den Boden werfend und kriechend, und von den Finger- bis zu den Zehenspitzen von unglaublicher Kraft erfüllt.“ (Haerd-ter/ Kawai 1986:11).

Wigmans Schüler Harald Kreutzberg (1902-1968) gastiert 1934 in Tokio, Kazuo Ohno sieht ihn tanzen und bezeichnet ihn als eine lebenslange Inspiration . Ohno kann festgelegter Tanztechnik nicht viel abgewinnen, doch Kreutzberg ist ein guter Techniker. Seine Begeisterung für Kreutzberg ist auf dessen technische Verknüpfung von „Innen“ und „Außen“, zwischen Form und Ausdruck zurückzuführen. Die Verknüpfung mit dem „Inneren“ ist das was Ohno anspricht.

„Ich tanze um mich selbst auszudrücken. Ich tanze aus meinem Herzen heraus, aus meinem Blut, meiner Phan-tasie…Ich denke nicht, dass der Tanz eine Geschichte erzählen oder eine Bedeutung haben sollte…“ (Kreutzberg in: Schmidt 2002:84).

Einige Tänzer emanzipierten sich aus dem Diktat der kaiserlichen japanischen Oper und wurden die Wegbereiter des modernen Tanzes in Japan. Zwei dieser Pioniere sind Baku Ishii und Takaya Eguchi. Baku Ishii begann eine Ausbildung an der Opernabteilung des Kaiserlichen Theaters Tokio und überwarf sich mit dem Ballettmeister . Daraufhin entwarf er einen Tanzstil, der Authentizität und Gefühlsausdruck vor Technik stellte. Er löste den Tanz aus der rein begleitenden Rolle des Theaters und formte ihn zur eigenständigen Kunstform. Sein Kompagniepartner, der Komponist Yamada, vermittelte ihm die Ideen von Emile Dalcrozes Rhythmischer Gymnastik und Isadora Duncans „natürlichen, freien“ Tanz aus zweiter Hand. Takaya Eguchi, (er lernte Ballett Tanzen bei Bakus Opernkollegen Takada Masao) studiert in Dresden bei Mary Wigman autonomen Tanz. Nach seiner Rückkehr in Japan gründet er eine Schule für Ausdruckstanz, unter seinen Schülern befinden sich Kazuo Ohno und Hijikata Tatsumi. Auch Eguchi gründet mit seiner Frau später ein Studio für modernen Tanz, das Studio Eguchi / Miya, in dem Kazuo erst lernt und kurz darauf selbst Unterricht gibt. Ishii und Eguchi sind die Vorreiter eines modernen Tanzes in Japan, auch wenn ihr Tanz in der Zeit der revisionistischen Politik in Japan eingeschlummert wurde (um 1935-1945). Nach dem zweiten Weltkrieg wurde ihr Erbe in der japanischen Tanzwelt wiederbelebt und weiterentwickelt.
Der amerikanische Modern Dance bleibt stilistisch nah am Ballett und ist wohl auch deshalb mehr ein Reibungsfeld als direkte Inspiration für die Entstehung des Butoh.

3.5 Technik und Praxis des Butoh

„Das Gehirn ist lediglich ein Teil des Körpers.“ Hijikata

Auf dem Boden der Bühne liegt zusammengekauert, teils auf den Oberschenkeln kriechend, eine ausgezehrte Person. Das Gesicht berührt den Boden unerschrocken. Der Tänzer liegt auf dem Rücken, die Beine nach oben von sich gestreckt, rudernd, unbeholfen wie ein Käfer. Der Körper ist weiß geschminkt. Eine sterbende Erscheinung, die versucht aufzustehen. Das ist eine Situation über die Hijikata Tatsumi oft gesprochen hat. Über dieses Abbild von Auszehrung und Tod enthüllt die hässliche Figur die Schönheit des Lebens. Hijikatas Butoh scheint das Geheimnis des Lebens zu beinhalten. Der Schmerz und das Leid sind für Hijikata so zentral, dass sie ein Bewusstsein schaf-fen für den Körper und seine untrennbare Verbindung mit der menschlichen Existenz. Das ist die Essenz seines Butoh. Er hat diese asketisch-rituelle Methode rigoros in seinem eigenen Leben praktiziert (Nanako 2000:17, Schwellinger 1998). Mit zunehmendem Alter beschäftigt Hijikata immer mehr die Frage, was mit dem menschlichen Wesen nach dem Tod geschieht. Fragen nach der Genealogie und der Erinnerung an den verlorenen Ursprung sind Themen seiner Inszenierun-gen.
Der folgende Teil widmet sich einer Analyse des Tanzstil Butoh. Anhand unterschiedlicher Katego-rien werden die Besonderheiten des Tanzes herausgearbeitet. Voraussetzung um diese Kategorien verstehen und in ihrer vollen Tragweite anzuerkennen ist ihre Flexibilität und Transparenz im theo-retischen und im Bühnen-Diskurs zu akzeptieren (Jeschke & Schlicher 1994: 249).

3.5.1 Lehrmethode, Technik und Dynamik

„Jeder kann Butoh tanzen“ (Hijikata)

Hijikatas Training zeigt seine „Technik” der Bewegungsgestaltung und Bewegungsfindung. Das Training besteht hauptsächlich aus Improvisation, anhand vorgegebener Bilder. Die Bilder sind Naturzustände und Naturelemente, Pflanzen, Tiere, Geisterwesen, Dämonen und Ursituationen wie die des Fötus im Mutterleib. Sein Training besteht aus Improvisationsübungen. Hijikata be-nutzte keine Spiegel, da die visuelle Korrektur als wahrnehmende Kontrollinstanz seinem Konzept von innerer Schau und Entindividualisierung widersprochen hätte. Zumal ihm nicht das Erreichen eines festgelegten ästhetischen Körperideals, sondern die Schaustellung des japanischen Körpers im Lauf der Generationen wichtig war.
Für Hijikata ist der Körper nicht Träger eines Inhalts sondern die Botschaft selbst. Somit ist der Körper kein Instrument mehr das zur Befriedigung eines ästhetisch geformten Körpers dient. Er versucht das dunkle, vergessene, vergrabene, das scheinbar unbedeutende, das individuelle und kollektive Unbewusste, das sich in den Körper eingeschrieben hat zu erwecken und spür- und sehbar zu machen. Diese verdeckten Ebenen werden anhand der Improvisationsübungen wach-gerufen. Hierzu muss der Tänzer das kontrollierende Bewusstsein über den Körper ausschalten und sich andern Wahrnehmungsebenen anheim geben. Etwa der Konzentration auf ein einzelnes Körperteil oder sich als unbeschriebenes weißes Blatt fühlen. So wird der Körper auch für den Tän-zer selbst unverständlich, geheimnisvoll und dunkel. Diese Methode nennt Hijikata Metamorphose, der Name ist zugleich die zentrale Idee der Übung. Die Methode der “Metamorphose” bezeichnet die Verwandlung und eine Art der Entindividualisierung. Er gibt Bilder vor die den Tänzern den Zu-gang öffnen sollen , um körperlich andere Wesen wie Tiere, Pflanzen, Naturkräfte und Geisterwe-sen zu werden. Anhand der verbalen Beschreibung von Situationen gibt er der Phantasie seiner Tänzer Anregungen. Die vorgegebenen Situationen können auch irreale und sehr abstrakte Situa-tionen beschreiben. Ein Beispiel ist „das Tragen einer Glühbirne auf der Stirn der Schweinefrau“ (Schwellinger 1998:107), oder die Begriffe „Bambusschlange“ und „Schmelzende Nachtigall“. Durch die gewählten Worte ruft er Wahrnehmungen hervor, die mit einem Erlebnis assoziiert wer-den, das zwar nicht auf die Worte abzielt, aber letztendlich eine bestimmte Bewegungsart entstehen lässt. Der bleibt improvisatorische Part der Tänzer bleibt beschränkt, da er die choreo-grafischen Elemente mit seiner Wort- und Ideenwahl lenken kann. Durch die Ausschaltung des Bewusstseins bleibt dem Tänzer sein eigener Körper undurchdringlich. Ein typisches Exercise von Hijikata lautet „Insektenbiss“:

„Ein Insekt kriecht von deinem Daumen zu deinem Mittelfinger, von dort zu deinem Handrücken und dann zu deinem Unterarm und den Oberarm hinauf.“ (Nanako 2000:15)
„Währenddessen streicht der Lehrer mit einem Schlagzeugstock über eine Trommel und erzeugt ein schlittern-des Geräusch. Dann berührt der Lehrer die betreffenden Körperstellen , um den Studenten ein physisches Gefühl zu geben. Die Anzahl der Insekten steigt stetig an und letztendlich dienst du keinem Zweck mehr . Du wirst von Insekten zerfressen, die durch alle Poren deines Körpers eintreten und dein Körper wird hohl wie ein ausgestopftes Tier.“ (Nanako 2000:16, Übersetzung von mir)

Es ist ersichtlich das der schwierigste Part dieser Übung ist, sich die Verwandlung nicht vorzustel-len, sondern sie sein. So gelingt es die Beschaffenheit des Körpers zu verändern. Hier zeigt sich die Methode der Metamorphose. Die Objektivierung des Körpers über das Bewusstsein der Sinne (Nanako 2000:15). Mit diesem speziellen Umgang des Körpers rückt die Individualität in den Hin-tergrund, so entzieht sich der Körper dem Menschsein. Mit dieser Methode versucht Hijikatas eine Metamorphose des Körpers in pflanzliche und natürliche Objekte zu vollziehen.
Ashikawa Yoko war ein zentraler Partner in der späteren Schaffensperiode Hijikatas, denn ihr Ta-lent, ihre Verwandlung in eine Yufu und ihre superben maskenartigen Gesichtsausdrücke beeindruckten das Publikum stark. Sie war eine Art Medium für Hijikata. „His words were meta-phors for her body … Ashikawa even said that an exchange of bodys occurred.“ Diese Methode der Bewegungsfindung rekurriert auf Wörter. Ashikawa und Hijikata haben sich stundenlang im Studio eingesperrt und er hat sie mit seinen Wörtern bombardiert. Sie hat auf diese Wörter in einer inten-siven, kreativen und ausgeprägten Körperlichkeit reagiert (Nanako 2000:22). Onomatopoetische Wörter sind eine sprachliche Quelle zur Unterstützung seiner Bewegungsfin-dung. Mit den lautmalerischen Wörtern wird die Phantasie unterstützt und somit der Zugang zur Beschaffenheit des abstrakten Objekts für den Tänzer erleichtert. „Hijikatas Methode der Bewe-gungsfindung funktioniert also durch eine Art Kettenreaktion.“ (Schwellinger 1998:107).
Hauptanliegen ist die Entmenschlichung, eine Befreiung von der Materie. Das entsteht aus seiner Weltsicht und seinen Beobachtungen der sich wandelnden japanischen Gesellschaft. Hijikata er-kannte sehr früh, dass der expandierende Materialismus verantwortlich ist für die zunehmende Entfremdung des Körpers. Hijikatas Lebensaufgabe war es in einer Zeit, in welcher der Körper un-unterbrochen simuliert wird, das Wahre aufzuzeigen.

„The body is constantly violated by things like the development of technology.“ (Tatsumi 1969 zit. in Nanako 2000:25.)

Er entwickelte mit seinen Tänzern ein umfassendes Vokabular an katas auf die er bei der choreo-grafischen Arbeit zurückgriff. Ein Kata ist eine Bewegungsabfolge mehrerer aufeinander folgender Bewegungen des Körpers oder einzelner Körperteile. Es sind Bewegungseinheiten festgelegter Bewegungssequenzen die innerhalb einer Übung wiederholt werden. Durch diese Übung werden Bewegungsprozesse und Prinzipien körperlich verinnerlicht. Katas werden in den Kampfsportarten Aikido, Judo, Karate, Kendo und den Budo – Künsten und im Noh und Kyogen angewandt. Tanz – Katas einzelner Körperteile sind beispielsweise Handhabungen des Fächers im auf der Bühne. Die Bewegungen werden mit hoher Muskelspannung ausgeführt, meist auf einer kleinen Tanzfläche . Eines der über 200 kata lautet Yufu, ‚die tapferen Frauen’ deren charakteristische Haltung ein ge-beugter Rücken, angewinkelte Knie und ein arg vorgeschobenes Kinn sind . Das ist ein Sinnbild für die im Wasser stehenden Reisbäuerinnen. Diese Haltung wurde auch von Männern ausgeführt.
Die Methode der Isolierung einzelner Körperteile bedarf intensiver Übung. Der Energie- und Kon-zentrationsaufwand der Contract und Release – Technik ist hoch. Die Einheit des Körpers im Ballett im Gegensatz zu unterschiedlichen Bewegungszentren im Butoh, ist ein wesentliches Unterschei-dungsmerkmal der beiden Körperbilder. Während es Hijikata um die Zerstückelung des Körpers geht, um seine Vergänglichkeit darzustellen, setzt das Ballet auf die Kohärenz des Körpers und des Subjekts.
De Boden spielt eine bedeutende Rolle im Butoh . Die Erdverbundenheit kann auf einen religiösen japanischen Kontext zurück geführt werden. Gunji sieht im Wälzen im Dreck auf dem Boden die buddhistische Idee des Onri Edo. Nach dieser Überlieferung gilt die Erde als schmutzig, und als Ort den man verlassen sollte . Das ist verbunden mit dem Seelenwunsch ins Paradies zu gelangen (Gunji 1986:99) Hijikata gibt dem Boden allerlei Namen und Charaktereigenschaften, als ob er ein lebendiges Wesen sei. Er hat Augen, oder ist gespickt mit Rasierklingen. Derart Bilder wendet Hijikata oft in seinen Improvisationsübungen an. Das spricht eine andere Art der Wahrnehmung an und soll körperliche Reaktionen hervorrufen. Damit möchte er die Veränderung der Körper-wahrnehmung im direkten Zusammentreffen mit dem Material erforschen .
Das Stampfen entspringt der schamanistischen Tradition. Die Göttin Ame no Uzume (‚furchtbares Himmelsweib’) gelang es durch das Aufstampfen auf einem hölzernen Zuber, die Sonnengöttin aus ihrer Höhle hervorzulocken und in die Welt der Götter zurück zu bewegen. „Die Sonnengöttin hatte sich in der Höhle eingeschlossen … und ihre Seele damit der Gemeinschaft der Götter entzo-gen … Der schamanistische Tanz lockt also die Seele und bindet sie in der Gemeinschaft.“ Gunji interpretiert analog „die japanische Bühne als das Gefäß der Seele und den Tanz als einen Akt der Seelenbeschwörung und Seelenbewahrung“. Der religiöse Kontext findet sich im konstitutiven Taktschlagen mit den Füßen im japanisch traditionellen Tanz wieder. (Abschnitt: Gunji in Heard-ter/Kawai 1986:97).
Hijikata hat nicht nur selbst viel gelesen und gerne mit Poeten, Malern und Künstlern debattiert, er hat auch eine Vielzahl an Texten hinterlassen . Sein Tanz wurde mit der Butoh Notation butoh-fu niedergeschrieben, die von einer Umschreibung mit vielen Wörtern lebt.

Dynamik, Rhythmus, Musik

Die Musik spielt bei Hijikata eine untergeordnete Rolle, die Bewegung ist selten auf den Takt cho-reografiert. Sie ist unterstützendes, aber nicht notwendiges Beiwerk. Er wählt die Musikstücke und musikalischen Kooperationspartner bewusst. Jedoch entsteht die Symbiose zwischen Tanz und Musik aus einer Improvisation, die sich nicht an einen Rhythmus hält, eher an ein gemeinsames Gefühl und eine geteilte Vorstellung der Welt. Diese Vorstellung sieht Leben und Tod eng mitein-ander verflochten, und die Geister- und Ahnenwelt als mystischen Part der diesseitigen Welt.

3.5.2 Körperbild und Körpersprache

„Schwanensee passt nicht zum japanischen Körper.“ Hijikata

Hijikata ändert seine Themen und Stile oft, da er es vermeiden will in einer statischen Form gefan-gen zu bleiben und so den Bezug zum wahren Leben zu verlieren.
Die Inspiration für seine vielfältigen Produktionen bezieht er aus einer Vielzahl an Quellen. Allen voran die „dunklen“ Erinnerungen seiner Kindheit, seine tote Schwester und der Tod. Auch die Landschaft und Geschichte seiner Heimat Tohoku, denn für ihn ist Tohoku die Natur, das Meer, Steine, Tiere, Pflanzen. Der körperliche Schmerz der gebückten Reisbauern, die japanischen tradi-tionellen Bräuche und die Literatur und Malerei japanischer und europäischer Künstler sind wichtige Quellen seiner Kreativität.
Hijikata hat die Transformation und das Ritual im Blick. Die Beziehung zu den eigenen Ahnen, die tote Schwester, „das Gefressen werden“. In diesen Motiven wird seine Absicht deutlich, er will das wahre und echte Leben darstellen. Hijikatas Verbindung zur Unterwelt ist sein zentrales, künstleri-schen Thema. Er will das Unbewusste verkörpern. Das teilt er mit dem Bestreben von Antonin Artaud und dessen „Theater der Grausamkeit“.

Bewegung und Bedeutung – Hijikatas Themen

Für Hijikata ist Natur die stärkste inspirative Quelle für Bewegung. Er sagt, der Frühling in Tohoku, mit seinem Übermaß an Schlamm, habe ihn tanzen gelehrt (Nanako 2000:24). Die Landschaft seiner Heimat in Tohoku ist durch Berge, das Meer und kühles Klima gekennzeichnet. Die Bilder der grauen Steinstrände, der rauen Meeresküste, vom Morast und der Reisfeldarbeit, bilden die Vorlage für viele seiner Stücke. Das Meer und die Steine bilden Objekte die in der Improvisation für den kreativen Prozess der Entindividualisierung, der so genannten Metamorphose dienen. Auch die ruhenden Krähen auf den Vogelscheuchen der Reisfelder, oder das Fließen des Meeres über die grauen Steine an den Flussmündungen sind eine beliebte Matrix für seine choreografischen Ideen. Er legt sich an das Wasser, um davon umspielt zu werden – genau wie die Steine. Er liegt stundenlang nackt im kalten Wasser, um zu erfahren wie es ist ein Stein zu sein. Er versucht über diese Übungen zum Objekt zu werden und die Materialität der Dinge körperlich zu erfahren. Er begibt sich in die unterschiedlichsten Haltungen, und verharrt stundenlang in ihnen, um ihrem Kern und ihrem Wesen auf den Grund zu fühlen und um sich von seiner Individualität zu befreien. Dazu klammert er sich stundenlang, wie eine Krähe, an einer Vogelscheuche fest. Der Prozess der Entindividualisierung ist ein Kernelement seiner choreografischen Forschungsarbeit.

„Die seltsame, wie eine Krähe auf einem hohen Reisgestell sitzende Gestalt, bei ihr ging es nicht um die Wir-kung einer Form, sondern sie war der unmittelbare Ausdruck intensiver körperlicher Erfahrung von inneren Dingen, darin suchte er den tänzerischen Ausdruck.“ (Schwellinger 1998:62).

Sein Konzept von Tanz und von Butoh ist stark angelehnt an die japanischen Alltagssituationen im ländlichen Norden, wie die Bewegungen und Haltungen der harten körperlichen Arbeit im Reisfeld. Das physiognomische Faktum des geschundenen Körpers des Reisbauern, der ein Leben lang im Wasserfeld in gebückter Haltung steht, ist ein grundlegendes Element in Hijikatas Körperbild. Die Reisbauern mit ihren verkrüppelten Körpern sind für ihn ein Innbild Japans. Zur Feldarbeit nehmen die Eltern ihre Kinder mit und stecken sie, abgestellt am Rand der Felder, in Ijime-Körbe . Die Kinder können sich mit ihren zusammengebundenen Beinen nicht bewegen, liegen schließlich in ihren eigenen Exkrementen und beginnen zu wimmern und zu schreien. Die Eltern hören zwar das Klagen ihrer Kinder, können sich aber während der Feldarbeit nicht um sie kümmern. Dies Körpergefühl und all die Daseins- und Wahrnehmungszustände die es auslöst benutzt Hijikata als choreografisches Element. Gekrümmte Gliedmaßen und verzerrte Fratzen sind typische Bilder in Hijikatas Stücken. Diese Bewegungen und Mimiken stehen für verschiedene Motive und Sinnbilder und entstehen aus dem improvisierten „Sein“ bestimmter Wesen oder Objekte. Der Embryo im Mutterleib, der geschundene Körper, die buckeligen Reisbauern, Tod und Heuchelei. Die Sinnbilder werden nachgezeichnet und spürbar gemacht. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem na-türlichen Körper und seinen kulturellen Darstellungsformen tut sich auf, da Hijikata einerseits die Objektwerdung, als zentrales Element seines Körperbildes beschäftigt, andererseits die westlichen körperlichen Ausnahmetechniken aufgreift, indem er sie größtenteils charikiert.
In Tohoku stampft man vor Betreten des Hauses am Eingang auf, um sich anzukündigen und zu grüßen. Die erhöhten klassischen nordjapanischen Holzsandalen erzeugen dabei ein hölzernes lautes Geräusch. Diesen akustischen Moment und die kurzen lauten Schritte auf den Holzsandalen inszeniert Hijikata, insbesondere in Stücken mit der Frauengruppe Hakutobo. Diese reine Bu-tohfrauengruppe gründet er mit seiner wichtigsten Schülerin und unersetzbaren Arbeitspartnerin Ashikawa Yoko. Hijikatas Butoh ist zwar eine Neuschöpfung auf einer tabula rasa, aber sie ist auf genuine Weise aus Hijikatas Perspektive von Japans kulturellen und geographischen Eigenhei-ten geschaffen.
Der frühe Tod Hijikatas Schwester ist ein lebenslanges Thema in seiner Arbeit. Hijikatas Eltern sa-hen sich offenbar gezwungen, aufgrund der materiellen Notlage, ihre Tochter, vermutlich an einen Frauenhändler, zu verkaufen. Die Schwester wurde jedoch totgesagt, um den tatsächlichen Hin-tergrund ihres Verschwindens zu verheimlichen. Sie hinterlässt eine leere wunde Stelle in Hijikatas Leben. Man könnte sagen, er tritt als Spiegelbild seiner Schwester auf. Er aber schreibt im Artikel „From Being Jealous of a Dogs Vein“ (1969), dass seine tote Schwester in ihm zum Leben erwacht ist. Ab diesem Zeitpunkt beginnt er auf der Bühne Kimonos und seine Haare lang, offen oder zum Dutt frisiert zu tragen und die weiblich gegenderte Sprache zu sprechen (Nanako 2000:20). Das Unbewusste im Körpergedächtnis funktioniert als ein Fortführen der weiblichen Genealogie. Der Körper hat eine historische Tiefenperspektive und dies äußert Hijikata über den Tanz für den er seiner Schwester seinen Körper überlässt. So erzielt der Schmerz der Schwester über die Ver-körperung eine lebendige Dimension. Der Toten wird Raum und Präsenz gegeben. Eine weitere Dimension ist die Prägung der Kultur der Lebenden durch die Toten . Das ist derselbe Prozess, der sich in Ritualen zu Ehren der Ahnen abspielt. Hier zeigt sich, Hijikatas Blick auf die Transforma-tion und das Ritual. Die Itako-Schamanin aus der Tohoku Region und Okinawa, ist eine Schwester die ihre schamanistischen Kräfte nutzt, um ihren jüngeren Bruder zu beschützen. Gunji interpre-tiert auch die starke Bindung Ohnos Butoh, an seine verstorbene Mutter, als schamanistisches Element dieses familiären Seelenschutzes (Gunji 186:99). Hijikata hat eine ausgeprägte Verbin-dung zur Unterwelt. Dieses gleichermaßen Unbewusste verkörpert er im Butoh, so wie Artaud im „Theater der Grausamkeit“. „Tote sind Erinnerung, und ohne das Zusammentragen der Erinne-rung besitzen wir keine Kultur.“ (Röttger 1997: 42). Körperliche Präsenz ist immer eine politische Aussage. Das Individuum kann so, aus dem durch Amnesie verursachten Macht-Diskurs, heraus-gelöst werden. Er vollzieht die Verkörperung der abwesenden Schwester und ihres Leides durch seinen anwesenden Körper.

„Presence – the making visible of the invisible, the continued life of those who have been murdered, the ap-pearance of the disappeared, the testimony who makes whole the body of the tortured – […] is the presence in the face of erasure and silencing.“ (Röttger 1997: 43)

Das Modell des konsumorientierten Kapitalismus wird nach dem zweiten Weltkrieg erfolgreich aus dem Westen in Japan adaptiert. Hijikata interessieren die Lebensumstände der Menschen in der Großstadt, die fernab vom neuen Materialismus leben. Das Leben der einfachen Landbevölkerung und der Tagelöhner in den Städten, der Kriminellen und homosexuellen Prostituierten, das ist für ihn das wahre Leben. Er sucht den Kontakt mit diesen Menschen und arbeitet selbst als Tagelöh-ner und Fabrikarbeiter. Seine starke Hinwendung zur Natur als choreografisches Motiv ist auch auf die rasend schnelle Industrialisierung Japans in den 1960er Jahren zurückzuführen. Die industrielle Expansion zerstört Landschaften, ganze Dörfer, soziale Beziehungen und Bräuche. Mit dieser Ent-wicklung kommt eine Melancholie für das bessere alte Japan der Idylle und des sozialen Zusammenhalts auf. Ein Großteil Hijikatas Publikum nimmt diese Melancholie in seinen Stücken wahr.
Hijikata spricht davon, dass auch Gemälde von Menschen geschaffen sind und Butoh-Qualität, butoh-sei, offenbaren. Das erklärt Endo Tadashis (2008) Bemerkung, dass nicht nur Tänzer Buto-histen sind, denn es handelt sich darum Butoh (-Qualität) zu spüren und zu leben.

Das japanische Körperbild

Wichtige Aspekte der japanischen “Körpertechnik” (Mauss) sind durch das japanische Körperbild geprägt. Der Aufsatz „Die Wiederbelebung des japanischen Körpers“ des Kabuki Darsteller, Masa-katsu Gunji (in Haerdter/Kawai 1986), bietet interessante Einblicke in die Verknüpfung der japanisch traditionellen Symbolik im Butoh. Die weiße Schminke gilt bis heute als typisches, aber nicht bedingendes, Kennzeichen des Butoh. Im Butoh wird der integrale Körper weiß geschminkt, das verleiht ihm einen grotesken und erotischen Ausdruck. Ein weiß geschminkter ankoku – butoh Tänzer gleicht einem Skelett und ist in fortschreitendem Maße Symbol für den Tod. Gunji (Haerd-ter/ Kawai 1986:98 ff.). Gunji verweist auf die Symbolik der japanischen Totenkulte: „Die dämonischen Gaki die … als Heilige verehrt“ werden, sind auf den buddhistischen Mumienkult zu-rück zu führen. “Tacit knowledge” besagt, dass die Gaki, durch den Hungertod Gestorbene, im Jenseits als Dämonen mit bis aufs Skelett ausgezehrten Körpern weiterleben. Der Gaki Tanz, Gako Odori, beruht auf der volkstümlichen Legende des Gaki. Der Mumienkult hat seine Tradition in der Verleugnung und Überwindung des Fleischlichen und zeigt sich im Sinnbild und Ideal des Eremiten und seines skelettartigen Körpers (ebenso Schwellinger 1998:96). Hijikata fastet oft und auch sei-ne Tänzer haben dürre und abgemagerte Körper. Der aus dem „chinesischen Taoismus überlieferte Glaube, wonach der durch Kasteiung von der Last seines Fleisches befreite Körper er-löst wird und in der ersehnten Schönheit, schlank wie ein weißer Kranich, in die jenseitige Welt eingeht.“ ist ein Sinnbild, dass der Todesmystik im Butoh entspricht.

„The body is the most remote thing in the universe.“ (Hijikata in: Nanako 2000:25)

Gunji weist daraufhin, dass alle Butohtänzer der ersten Generation aus dem Norden Japans kom-men. Einerseits ist die Erde dort jährlich sechs Monate mit Schnee bedeckt und Missernten und Hungertod sind ein normaler Lebensumstand. Andererseits werden hier Totentänze und Ahnen-kulte noch besonders aktiv gefeiert. „Der Bon-Tanz, Bon Odon, stammt aus einer buddhistischen Überlieferung. Die Japaner laden im Sommer … die verstorbenen Ahnen in ihre Häuser.“ Die Japa-ner reisen zu ihrem Geburtsort, besuchen das Familiengrab und nehmen an Tänzen teil, die meist von buddhistischen Tempeln veranstaltet werden. Man betet am Hausaltar für die Toten und stellt Opfergaben auf . Bei Akita in Tohoku, der Heimat Hijikatas, tanzt man den Bon Odon mit einer schwarzen Maske vor dem Gesicht und einem Lied, das die Armut preist. Die asketische Maxime war auch Hijikatas gelebte Lebensphilosophie.
Gunji (Haerdter/ Kawai 1986:98 ff.) schlüsselt die weiße Farbensymbolik anhand mehrer Quellen auf. Dem Norden Japans entspringt die Legende von Sainokawara, ein mythisches Flussufer ver-storbener Kinder. „Die knochenweiß geschminkten Butoh Tänzer erinnern an die tanzenden Skelette von Sainokawara oder an das Bild des heiligen Bodhisattva Jizzo, der am Ufer der Toten die verstorbenen Kinder erwartet, um sie zu erretten.“ (Haerdter/ Kawai 1986:98). Die weiße Far-be symbolisiert in Japan auch das weiße Kleid, Omigoromo, der japanischen Schamanin. Weiß ist Symbol für den Übergang, das weiße Brautkleid steht für den Tod der Jungfrau.
Im Kabuki wird die weiße Schminke im Gesicht als eine Art Maske verwendet, die integrale Ver-wendung auf dem Körper aber, unterstreicht das Hässliche und das Alter. Sie verleugnet den Körper und lässt ihn als weißes unbeschriebenes Blatt erscheinen. Eine Grundübung Hijikata be-steht auch darin, den Körper in eine tabula rasa zu verwandeln, um in andere Wahrnehmungszustände zu treten und die körperliche Transformation in ein anderes Wesen zu vollziehen.
Gunji sieht den Unterschied der europäischen und asiatischen Körperhaltung vornehmlich in den unterschiedlichen Gottesvorstellungen begründet. Ein auffallend unterscheidendes Merkmal ist die gebeugte, hockende Körperhaltung, die den Körper verkleinert. Das Sinnbild des Mandala steht für „das Bestreben, das Universum mit sich in Deckung zu bringen, es sich einzuverleiben und sich mit ihm zu vereinigen. Das ‚japanische’ Ideal ist im ‚Kleinen’ das ‚Grosse’ zu tun, das ‚Grosse’ in das ‚Kleine’ hineinzutun und es sich so zu Eigen zu machen.“ Deshalb gelten gestreckte und lang ge-zogene Glieder (wie in der Ballettästhetik) als hässlich. „Wenn der japanische Tänzer hockt, versucht er die Welt in sich hinein zu nehmen, in dem er sich krümmt und kleiner macht.“
Für Gunji ist die Revolution der Körpersprache im Butoh die „erneuerte Definition des Körpers un-ter dem Aspekt des Todes.“. „Der Begriff wenn man so will von einem schönen asiatischen Körper – ‚ein Körper schlank wie ein Kranich’ – meint eine ‚heilige’ Schönheit jenseits von Leib und Seele. Ihr Bild ist der ausgezehrte Körper des Eremiten Senkotsu, der befreit ist von Fleisch und Fett.“ Der weiße Kranich ist auf die „Figur Yamatotakeru zurückzuführen, der nach seinem Tod in einen wei-ßen Kranich verwandelt wurde, und den heiligen Tod symbolisiert.“ (Zitate aus Haerdter/ Kawai 1986:98-99).

3.5.3 Choreografie – Zeit und Raum

Choreografie, aus dem Griechischen, bedeutet Tanzschrift. Im weiteren Sinne tänzerischer Praxis versteht man darunter die Inszenierung eines getanzten Bühnenstücks. In der künstlerisch cho-reografischen Handschrift zeigen sich individuelle Strategien des Sich-Bewegens und strukturelle Beziehungen zwischen „Wissen“, „Schreiben“ und „Erfinden“ von Körperbewegungen in Raum und Zeit. Choreografie kann nach kompositorischen Gesetzmäßigkeiten angelegt sein, der Um-gang von Widerholung, Bewegungsthema und Variation. Man kann ersehen wie Übergänge gelöst werden, wie Reprisen, Brüche und Querstände „inszeniert“ werden. Die Variation der Tempi hat eine bedeutende Rolle auf die Intention und die Wirkung des Tanzes. Einerseits gibt die Choreo-grafie Auskunft über die Technik des Choreografen und über sein Körperbewusstsein, andererseits über seine Weltwahrnehmung anhand seines Umgangs mit den Konzepten Zeit und Raum.
Die Elemente des Kabuki und Noh, die Langsamkeit, die Gesten, die gehaltene Gesichtsmimik bezeugen ein japanisches Zeitverständnis. Auch im Butoh werden Bewegungen langsam ausge-führt, oft mit sezierter Unterbrechung und eingefrorenen Pausen, deren kontrolliertes Auflösen viel Kraft erfordert. Sie gestatten dem Zuschauer die Muskelarbeit zu erkennen, und im Butoh die An-strengung die dies den Körper kostet un d die Schwäche und Zerbrechlichkeit die ihn auszeichnet. Die notwendige Sorgfalt der Bewegungen und die „rituelle Langsamkeit“ versetzt auch den Zu-schauer in eine emotionalere Wahrnehmung.

„Das Pathos des Butoh geht nicht zuletzt auf diese Kombination von ritueller Langsamkeit und der Demonstrati-on eines schwachen Körpers zurück.“ (Schwellinger 1998:184)

Hierarchien struktureller Oppositionen sind kulturell geprägt. Die europäische Bewegungskultur von Bewegungen, vor- oder rückwärts, korrelieren mit der temporalen Idee von Zukunft und Ver-gangenheit. Das Verständnis von Zeit richtet sich bei Hijikata nach dem Prinzip jo-ha-kyu ‚langsam-mittel-schnell’. Yo ist die Einleitung, ha die Entwicklung und kyu der Schluss. Dies Prinzip wird im Noh und Kabuki als bestimmendes Konzept der Dreiteilung angewandt. (Schwellinger 1998:185). Der dramaturgische Höhepunkt wird nicht durch eine gebogene Spannungslinie er-zeugt, sondern „ … eine in jedem dieser drei Teile sich wiederholende Struktur, so dass jeder Schlussteil wieder auf einen neuen Anfang und in der Folge auf eine zyklische Wiederkehr von Hö-hepunkten hinführt.“ (Klein in: Schwellinger 1998:185). Dieses Muster wird in Hijikatas Butoh sichtbar. Es unterscheidet sich deutlich von der Dramaturgie des griechischen Spiels, in dem die Klimax in der Mitte des Stückes sitzt. Das im Westen vorherrschende Konzept dramatischer Ent-wicklung verläuft in einer linear Zeit. Im Butoh sind die eingefrorenen Bewegungen ein Nullpunkt. Sie markieren keinen Höhepunkt, wie im Noh und Kabuki, sondern markieren den Punkt an dem eine Bewegungsphase beginnt und endet. Dies entspricht einem zyklischen Zeitbegriff und ist dem westlichen Zeitverständnis diametral entgegensteht. Er fragmentiert dadurch seine Bewegungs-abläufe, die keiner „erzählerischen oder formalen Logik“ folgen und Geschichte als Voraussetzung für persönliche Identität negieren. Hijikata versucht dadurch „ … die Vision eines mythischen Urzu-stand zu entwerfen, der gekennzeichnet ist durch Dunkelheit, Chaos und einen Zustand steter Verwandlung.“ Er befindet sich damit in großer Nähe zur Konstruktion der Geschichte bei Foucault. Hijikata bietet einen Gegenentwurf zum modernen Begriff des Subjekts und der Ratio (Abschnitt – Schwellinger 1998:185).
Der Geist, Gott, das mythische Wesen – und der Mensch, diese Dualität wird im Butoh mit Natur-elementen und Pflanzen neu besetzt. Es ist gleichsam das „Aufgehen“ im Kosmos. Sieht man Kazuo Ohno tanzen, wird spürbar, dass eine andere Wahrnehmung von Zeit, Leben und Tod exis-tiert. Ohnos lebenslanges Thema, die Verbindung zum Mutterleib, zeigt eine zunehmend im Erwachsenenalter ausgeklammerte Art der Wahrnehmung. Eine Wahrnehmung entgegen der Linearität der Zeit, nicht rational sondern ästhetisch aus dem Körper und den Sinnen heraus er-kennend. Auch Hijikatas Vorliebe für amorphe Objekte und dieselben als beseelt zu verstehen, ist eine typisch kindliche Art der Wahrnehmung. So etwa setzt er eine Schüssel ans Meer, so dass sie mal was anderes zu sehen bekommt, außer die Küche. Auch Kinder empfinden Mitleid mit Ge-genständen, als seien sie beseelte Wesen.
Choreografisches Instrument in Hijikatas Repertoire ist die Entindividualisierung, vom Menschli-chen in die Materie zu gleiten, um zum Objekt zu werden. Traditionelle Theatergesetze werden im Rahmen der Inszenierungsbedingung aufrecht erhalten. Choreografierte Routine ist bei Hijikata vorhanden, sie wird performed und als Inszenierung entlarvt. Aber Hijikata und seine Gruppe tan-zen auch “performances” auf der Strasse oder in der Untergrundbahn. Die vierte Wand, die Guckkastenbühne, als auch die Erwartungshaltung der Passanten sind hier nicht vorhanden. Diese andere Aufführungssituation, mit all ihren Implikationen und Möglichkeiten, wird von den Tänzern explizit gesucht.
Die Dunkelheit spielt eine zentrale Rolle in Hijikatas Konzept. Oft rekurriert er mit diesem Begriff auf die Zeit seiner Kindheit. Er setzt spärliche Beleuchtung als Inszenierungsstilmittel ein und ver-mittelt dem Publikum so seine Wahrnehmung von Kindheit. Darüber gelingt es ihm den Zuschauer in einen Dialog zu geleiten, der sie mit der Wahrnehmung und den Assoziationen, die mit dem Komplex Dunkelheit verbunden sind, konfrontiert. Die Bewegungen bei Hijikata sind meist frontal choreografiert, auch dies hat eine konfrontative Wirkung auf das Publikum. (Schwel-linger 1998:182). Dies sind choreografische Instrumente, mittels derer er die Zuschauer berührt.

Ästhetik

In der Ästhetik des klassischen japanischen Theaters und Tanzes gilt Nacktheit als vordergründig und unattraktiv. Das Verhüllte, Verborgene, Mystische des bekleideten Körpers ist eine Quelle von Inspiration und Fantasie. Der rasche Kostümwechsel auf der Bühne hinter einem Sonnenschirm ist Zeichen von agilem anmutendem Geschick im Kabuki, dies ist untypisch für das Verständnis der westlichen Theaterkunst. Im Noh werden von den Hauptdarstellern Masken, typischerweise aus Zedernholz getragen, diese bedecken teils nur partiell das Gesicht, so nimmt das Publikum Anteil an der Verwandlung des Hauptdarstellers. Der Nohdarsteller verkörpert gleichsam zwei Figuren, meistens ein mystisches und ein irdisches Wesen. Der offene Wandel der Figur vollzieht sich mit der dramatischen Inszenierung. An die Kunstfertigkeit des Schauspielers werden große Anforde-rungen gestellt, da er die Figur durch sein ganzes Körperbild transportieren und darstellen soll, ohne allein auf die Maske als performatives Element zu rekurrieren, und das Auge des japanischen Zuschauers fühlt sich keineswegs gestört durch den gleichzeitigen Blick auf des Schauspielers Ge-sicht und die kleine Maske. Spontane Zurschaustellung von Emotionen wird in besonderer Weise ausgeschlossen, und in ritualisierte und stilisierte Formen verbannt, in Gesten, Kostüme und Mu-sik. Kirschblüten sind Symbole für den Frühling und einen frühen Tod ist. Eine Legende besagt dass sich eine schöne Frauen in einen weiblichen Hannya–Dämon transformierte weil sie sich von den Emotionen Wut, Neid und Rachsucht überwältigt ließ. Die Masken (Omote) der Hannya, der jungen Frau Ko- Omote, die des weisen alten Mannes Okina, dessen Segen aus den Mündern der Ahnen stammt, symbolisieren die jeweils kulturellen Eigenschaften der Figuren, mitsamt die sie charakterisierenden Emotionen (Geduld, Aggression, Zärtlichkeit, Fürsorge etc.). Desto intensiver die Farbgestaltung der Masken, desto stärker werden die Emotionen der Figur symbolisiert. Es ist augenscheinlich, dass die Ästhetik hier Grundzüge japanischer Lebenswirklichkeit und Kultur transportiert.
Hijikata und Ohno wählen oft Männer- als auch Frauenkimonos als Kostüm. Damit reihen sie sich in die Tradition der Onnagata – Figur des Kabuki ein. Westliche Frauenkleider werden gleichwohl in ihren Stücken verwendet. Ohno tritt bei seinen Argentina – Hommagen ausschließlich in westlicher Frauenabendgarderobe auf, mit einem großen viktorianischen Hut, Perlenkette, grob und unkon-turiert geschminkten Augen und Lippen und Stöckelschuhen. Er tritt oft mit einer großen künstlichen Blume auf, sie ist Symbol des Todes der Liebe und der Vergebung (Schwellinger 1998:155). Das O-zen- Tischchen ist ein kleiner Beistelltisch der bei japanisch traditionellen Über-gangsritualen (Geburt, Heirat) als Beiwerk verwendet wird. Ohno setzt es als Bühnenelement ein und schnürt sich das Tischchen an den Bauch. Damit symbolisiert er die Nabelschnur des Fötus und die direkte Verbindung zur Mutter. In dem er ein Tischbein schief anbringt, entsteht der Ein-druck der Instabilität und Zerbrechlichkeit, dies unterstreicht die Idee seiner Kosmologie – der Tod ist eine stete Konstante im Leben. (Schwellinger 1998:156).
Ohnos starke Verbindung zur Unterwelt zeigt sich in seiner Verkörperung des Unbewussten. Die Mischung japanischer und westlicher Kleidungstücke und Alltagsgegenstände zeigt die Perspektive einer Identitätssuche innerhalb einer sich rapide industrialisierenden Gesellschaft auf, die machtvol-le westliche Einflüsse erfährt.
Hijikata und Ohno führen Haltungen und Bewegungen vor, die das Bild vom Japaner, Amerikaner, Europäer und Deutschen definieren. Die Perspektive der Künstler ist eine spezifisch kulturelle und bildet das Körperbild dieser Kulturen aus japanischer Sicht ab. Hijikata war von den NS Soldaten und der Hitler Jugend ob deren strengen aufrechten Gang fasziniert. Er integrierte diese Körper-sprache in seine Arbeit. Scheinbar interessierte ihn hierbei lediglich das Körperbild und nicht die nationale Politik Deutschlands .
Es ist bezeichnend, dass in Zeiten von Transformation, politischer Neuorientierung und dem Vor-herrschen ernsthafter Identitätskrisen, neue Tanzformen entstehen. Im Butoh, der mit internationalen, anhand unterschiedlichster stilistischer Ausprägungen getanzt und performed wird, findet quer zu den kulturellen Traditionen eine Ästhetik Einzug. Die Präsenz des Körpers in seiner Fragilität, Schwäche und Gebrechlichkeit zeichnet das international geteilte Interesse am Butoh aus.

3.6 Perspektive der Akteure

Hijikata – kaum ein anderer hat seine performative Reflexionstechnik derart pointiert, rücksichtslos, gewagt und ungeschminkt erarbeitet und präsentiert wie Er. Seine Tanzgruppe befand sich nach Turners Konzept der Communitas als eine Art liminoides Phänomen außerhalb der normativen Klassifikationsstrukturen. Sie tanzten außerhalb der Gesetze, der Tradition und ungeachtet der gesellschaftlichen Konventionen. Dieses klassische „Dazwischen” der rituellen Übergangsphase ist eine starke Parallele zur eng empfundenen Verbindung von Leben und Tod der Butohtänzer. Das ständige Wandeln zwischen den Themen Geburt und Tod, scheint ein Seiltanz auf dem schmalen Grat des Schmerzes und der Verzweiflung zu sein und bezeichnet einen performativ liminoiden Zustand.
Butoh als Medium eines spezifischen Körperbewusstseins findet eine Apologetik der „heiligen Schaustellung“ und Bezug zum Wahnsinn, Schamanismus, Totenkulten und Zen. Es ist eine Um-armung von Kindlichkeit in der Wahrnehmung des Körpers, und zugleich eine Rebellion gegen die gesellschaftlich bedingte körperliche Konditionierung. Das Japanische im Butoh kommt durch die gemeinsamen, wenn auch abgewandelten Charakteristika mit dem klassischen Tanz zum Vor-schein. Die Füße gleiten dicht am Boden oder stampfen. „Geringes Bewegungsausmaß, -tempo und einer der Erdanziehung nachgebenden Tendenz auch in stehenden Positionen (sind) Merkma-le des traditionellen japanischen Tanzes…“ (Schwellinger 1998:31). Die vorherrschenden Elemente der Bewegungsgestaltung im Butoh sind aus der japanischen Tradition erwachsen.
Die Dramaturgie, der Ansatz und das Thema des Butoh unterscheiden sich jedoch stark von de-nen japanischer Theatertradition. Butoh konzentriert sich auf die Schattenseiten des Körpers, auf den Zwischenraum. Die Innenseiten, Flächen zwischen den Fingern, der Rücken, Stellen die man nicht sieht, die aber die andere Hälfte des Lebens kennzeichnen. Auch Emotionen verbergen sich in dunklen Höhlen und werden nicht an der Oberfläche oder leichtfertig zur Schau getragen. Erfah-rungen von Tod, Trauer, Kummer, Leid, Sehnsucht, Grausamkeit, Schmerz und Einsamkeit sind ein beachtlicher Bestandteil menschlichen Lebens. Diese Erlebnisse und Erfahrungen bilden, mit der jeweils eigenen Bewegungsgestaltung, den Mittelpunkt des Butoh.
Hijikata lehnt Ballettästhetik strikt ab, obwohl er seine Ausbildung als Tänzer damit begann. Er be-dient sich, (eher unbewusst), einiger Elemente aus Japans Theater und Tanztradition. Zumindest äußert er sich erst mit dem Tohoku Kabuki Projekt offiziell zur Integration japanischer Tanztradition im Butoh. Er kokettiert mit den populären westlichen Tanzformen, wie dem Disco und Walzer. Diese sieht er, parodierend, auch als Stampftänze. Die Ästhetik des Tanzes widerspiegelt in vielen Kulturen eine Dämonisierung der natürlichen Aspekte des Körpers, indem die Transzendenz von Körperlichkeit und Natur zum Ziel gemacht wird. Dies wird im traditionellen japanischen Tanz e-benso angestrebt, wie im europäischen Ballett (Hanna 1983:123). Hijikata sucht einen Neuzugang zum Tanz, in dem es ihm gelingt aus der Kritik und der Parodie dieses Transzendierungszwangs ein genuin andersartiges kinästhetisches Kommunikationsmodell zu entwerfen.
Butoh zeigt ein Modell auf, um einen Neubeginn nach den Schrecken des Krieges zu wagen. Die japanisch nationale Identität ist erschüttert und dies beinhaltet die kreative Kraft des Konflikts. Hier entsteht ein Neuanfang, auf einer tabula rasa. Butoh konstituiert soziale Strukturen und Handlun-gen. Die Binnensicht des Butoh wird in die Körper eingeschrieben.

4 Krumping als transformative Tanztechnik

Mit Krumping erreicht die HipHop Tradition des „Tanz-Battles“ eine neue Ebene. Es ist eine Voll-körper Freestyle Tanzform die Adrenalin geleitet und sehr konfrontativ ist. Die Bewegungen kommen hauptsächlich aus dem Vokabular des Break Dance und eine hoher Muskeltonus ist die technische Grundlage. Es wird viel Wert auf Interaktion, physischen Kontakt und Kontaktimprovi-sation – Partnering mit Körpergewicht und Körperverlagerung – gelegt (Paggett 2004:1). Krumping ist eine radikal aggressive und emotionale Tanzform, mit sehr schnellen, zitternden Bewegungen und einer starken Interaktion zwischen Tänzer und Publikum. Bewegungen aus dem spirituellen, lobpreisenden Kontext werden inkorporiert. Meist steht der Tänzer breitbeinig und stampfend da, rudert wild mit seinen Armen und es zuckt durch seinen ganzen Körper als versuche sich ein Geist aus seinem Inneren zu befreien.

… a way for dancers to express emotions and different aspects of their personalities as well as a way to cope with the stresses and pressures of everyday life in a constructive manner. In Krumping, a dancer tells a story through the voice of his or her “character” while attempting to advance through three levels of intensity (Krump, Buck, Amp).“ (Krumptionary)

Die „Krump Kings“ sind die Gründer des Krumping: „Tight Eyze“, „Lil C“ und „Dragon“ u.a.. Krum-ping ist eine Tanzform die sich stetig weiterentwickelt und mittlerweile in allen Kontinenten getanzt wird. Die ursprüngliche Ghetto – Underground Bewegung lebt jedoch nach wie vor. Die partielle Vermarktung in der kommerziellen Unterhaltungsindustrie (Hollywood) hatte nicht zur Folge, dass Krump den spirituellen Bedeutungsrahmen verloren hat. Für die Begründer des Krump ist der reli-giöse Rahmen und der Respekt untereinander weiterhin die Basis der Tanzform und ihres Lebens.

4.1 Soziopolitischer Entstehungsrahmen

Krumping entsteht sich in City of Watts, einem Stadtteil von Los Angeles (Kalifornien, USA) und in der angrenzenden Kleinstadt Compton. Im Süden von L.A. gelegen nennt man die Gegend South Central , 20 Meilen von Hollywood entfernt. Die Bevölkerung besteht größtenteils aus lateiname-rikanischen Einwanderer und Afroamerikanern der sozialen Unterschicht. Sie weist die höchste Kriminalitätsrate in L.A. auf.
Die sozial und rechtlich unterprivilegierte Situation der Afroamerikaner in Watts wurde 1960 als exemplarisch für alle Schwarzen in den USA betrachtet. Ins Ghetto verbannt, mit geringen Chan-cen den Generationen – Kreislauf von Einkommens- und Bildungsarmut je zu durchbrechen. Zwei massive Unruhen, 1965 und 1992, sind die emotionale Kulmination der Entrechtung der Watts Bewohner.
Die „Watts Riots“ im Jahre 1965 waren ein regelrecht flammender Wutausbruch, der diskriminier-ten afroamerikanischen Bevölkerung. Auslöser war die Fahrzeugkontrolle eines afroamerikanischen Mannes. Dem Polizeidepartment von L.A. wurden bereits zuvor rassistisches Gewaltvergehen und Vergewaltigungen vorgeworfen, deshalb zog die Polizeikontrolle eine neugie-rige Menschenmenge an . Dann folgte ein Handgemenge und dies führte zur Verhaftung des Afroamerikaners . Der sich daran entzündende Aufstand forderte über 30 Tote, 1000 Verwunde-te und konnte erst nach einigen Tagen bürgerkriegsartiger Gewalt durch das Militär aufgelöst werden .
Im Jahre 1992 wird in L.A. South Central der betrunkene Afroamerikaner Rodney King von 4 LAPD Polizisten in seinem Auto gestoppt. An der Kreuzung der großen Strassen Florence und Normandie ergibt sich King, nach anfänglicher Verweigerung, der Polizei. Die Polizisten beginnen King massiv zu verprügeln. Ein Anwohner filmt die Szene und übergibt das Material der Presse . Die Videoaufnahmen lösen heftige internationales Entsetzen aus führen zur Anklage der Polizisten. Der unerwartete Freispruch der weißen Beamten schockieren die Nation und wandeln die aufge-staute Repression der Wattsbevölkerung in Gewalt, „City of Watts“ brennt wieder. Insbesondere die Warenhäuser asiatischer und hispanischer Besitzer und Autos werden aus Protest an dem parteiischen Gerichtsurteil in Brand gesetzt. Die „King Riots“ fordern mehr Todesopfer und öko-nomischen Schaden als die „Watts Riots“.
1965 beklagten sich die Bewohner über die nicht vorhandene soziale Infrastruktur im Wohnviertel, insbesondere über das Fehlen von Lebensmittelläden. Auch 40 Jahre nach den „Watts Riots“ gibt es in South Central weit mehr Kirchen als Schulen, viele liquor stores ’Wein- und Spirituosenhand-lungen’ und Fast Food Restaurants doch keinen Supermarkt. Das Gebiet Watts ist paradigmatisch für die Wohnviertel der Unterprivilegierten in der amerikanischen Gesellschaft. Dies wird im Diskurs des nationalen Selbstverständnisses jedoch weitestgehend ignoriert. In der Kunst des HipHop wird ein reger Diskurs über die andauernde Diskriminierung innerhalb der amerikanischen Nation gehalten.

4.2 Der Gründer „Tommy the Clown“

Clowning bildet sich 1992 mit Thomas Johnson alias “Tommy the Clown” (geb. 1974). Als ehema-liges Bandenmitglied verbüßt er wegen Drogenhandels eine Haftstrafe. Er wendet sich dem Glauben des evangelikalen Christentums hin und beschließt das Leben in einer kriminellen Gang aufzugeben. Nach seiner Entlassung bittet ihn ein Freund als Clown bei einer Kindergeburtstagsfei-er aufzutreten. Thomas willigt ein und ist begeistert von der Erfahrung. Er kreiert die Figur “Tommy the Clown”. Mit den Erkennungsmerkmalen der Clownschminke: weiße Gesichtsbema-lung, roten Lippen und farbigen Luftballons auf den Backen, einer regenbogenfarbenen Afro-Perücke und seinem bunt lackierten Auto – dem Clownmobil – wird er schnell zum gefragten En-tertainer in South Central und Compton L.A.. Seine Show besteht aus den klassischen Bestandteilen einer Partyclownshow , lauter Musik und einem neuen HipHop-Tanz – „Clowning“. Tommy the Clown wird zum Vorbild für viele Jugendliche. Er gründet die „Clown Academy“ , um die interessierten Jugendlichen als Clowns, Tänzer und Entertainer auszubilden. Die Mitgliedschaft verlangt den Jugendlichen klare Regeln ab. Die Mitgliedschaft in Gangs und kriminelle Aktivitäten sind untersagt, ebenso wie das Tragen der Gangfarben . Pflicht sind zudem gute Schulleistungen und der respektvolle Umgang mit allen Mitmenschen. Die Sanktion bei einem Normenbruch ist simpel: Tanzverbot. Tommy the Clown übernimmt die Vaterrolle und wird zur stabilisierenden Kraft im Leben der Jugendlichen. Die Selbsteinschätzung von Tommy the Clowns spricht von einer religiösen Motivation und einem christlichen Wertesystem. Geben ist seliger denn nehmen: „I perceive to be the richest man on earth and I ain´t got a dime“. Er ist stolz mit seiner Berufung die Rolle des Retters zu verkörpern: „I didn´t know I was saving kids lives. But if you look at it, yes you are.” (RIZE 00:09:27).
Für die Kinder in City of Watts tut sich damit ein Beschäftigungs- und Berufsfeld auf, das eine Al-ternative zum Bandenleben bildet. Die Gangs „Bloods“ und „Cribs“ sind extrem gewalttätige, hochtechnologisch bewaffnete, hierarchisch strukturierte Gruppierungen, die den illegalen Drogen-handel von L.A. beherrschen. Ihre Entstehungsgeschichte hängt direkt mit den Watts Unruhen 1965 in South Central zusammen. Aufgrund schlechter Bildung und fehlenden Ausbildungs- und Arbeitsplätzen schließt sich die Mehrzahl der Jugendlichen in South Central den Gangs an. Das bedeutet ein Leben mit Kriminalität, Drogen, Gefängnisaufenthalten – und ein hohes Risiko eines frühen gewaltsamen Todes. „Tommy the Clown“ ist mit seinem Clowning eine „Ghetto Celebrity“ geworden. Er ist Vorbild, Vaterfigur, Mythos und eine künstlerische Autorität in der Clowning & Krumping Szene im Stadtviertel City of Watts und in Compton , der gefährlichsten Stadt der USA.

4.3 Der Dokumentarfilm RIZE

David LaChapelle (geb. 1963) ist ein internationaler Pop Art Künstler und Fotograf. Er hat Stars der Mode-, und Musikbranche fotografiert und Regie bei etlichen Musikvideos . Beim Dreh zu C. Aguileras Musikvideo „Dirty“ wird La Chapelle auf eine Gruppe von Tänzern aufmerksam gemacht, die den „Stripper Dance“, eine Art Vorläufer des Clowning, tanzen. Neugierig begleitet er die Tän-zer nach South Central L.A. und entdeckt Clowning, womit die Idee zu RIZE entsteht. Die Aufnahmen dauern von 2002 bis 2005 . Der Film ist als Musicaldokumentarfilm angelegt. Musi-kalisch unterlegte Tanzszenen wechseln sich mit „Storytelling“, Interviews und Erzählungen der Protagonisten ab. Es gibt keinen Erzähler, jedoch werden die Aussagen, die von unterschiedli-chen Personen wiederholt und bestätigt werden, als roter Faden für die Darstellung der Gemeinschaft herangezogen. Eine zweite Tonspur mit Kommentaren des Regisseurs klärt über die Hintergründe bei den Dreharbeiten auf.
Zwei Kritikpunkte sind zu erwähnen. Erstens, die Frage danach, ob der Film Kunst ist und ob das als Ausschlusskriterium wäre, um als Quelle einer ethnologischen Beobachtung dienen zu können. Ich meine, dass jeder Dokumentarfilm per se ethnologisches Filmmaterial ist. Zweiter Kritikpunkt ist die Perspektive des Regisseurs, welche über die Erfahrungswelt der Protagonisten hinausgeht. LaChapelle stellt der Krumping Kultur die zeremoniellen Tänze der Nuba gegenüber . Die Aus-schnitte zeigen die Elemente der rituellen Tänze der afrikanischen Nuba mit stampfenden Schritten, traditionellen Kriegesstöcken und im Lendenschutz. Man könnte LaChapelle unterstellen eine populistische und vereinfachende Analogie zwischen afrikanischen Ritualen und dieser afro-amerikanischen Jugend aufzustellen. Andererseits hat die afroamerikanische Bevölkerung in den USA ihren Ursprung in Afrika und den Sklaventransporten in der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahr-hundert. Die Analogie ist damit gerechtfertigt und wird auch von den Protagonisten in RIZE als existente interkulturelle Verbindung bestätigt.
Eine der ersten Szenen in RIZE zeigt drei Mädchen, zwei davon halten das dritte fest und beugen sie über die Wagenhaube eines geparkten Autos. Sie verprügeln sie mit imaginären Schlagstö-cken, rhythmisch und voller Innbrunst. Die wuchtigen Bewegungen der Köpfe der Schlägerinnen lassen ihre Rastazöpfe wild in der Luft umherwirbeln. Das Opfer wehrt sich vergeblich, duckt sich vor den heftigen Schlägen, bis es schließlich vor dem Auto auf dem Boden zusammenbricht. Ein viertes Mädchen kommt hinzu und beginnt ebenfalls das Opfer zu schlagen und zu treten. Diese Tanzsequenz ist eine klare Anspielung auf die brutale Misshandlung von Rodney Kings durch die vier Polizeibeamte. Die Mädchen lösen ihren Tanz kichernd auf. Sie sind sich der Zeitgeschichte die zugleich ihre eigene Identität prägt, bewusst. In dieser Szene zeigt sich, dass sie diesen Teil ihrer Kultur performativ, über das Tanzen aushandeln und also reflektieren.
Die Protagonisten im Film und in der Krumping Szene in South Central L.A. sind:

Tänzer aus Tommys Crew
• Johnson Thomas, alias „Tommy the Clown“.
• „Larry the Clown“, „La Niña“ – ein Vorbild für Miss Prissy, „Swoop“, „Termite“, „Lil Mama“ ist zu Drehzeiten ca. 6 Jahre alt.

Krumping Tänzer. Alle drei Gründer des Krumping (Tight Eyze, Lil C, Dragon) sind ehemalige Clowntänzer aus Tommys Crew.
• Ceasaré L. Willis, alias „Tight Eyze“, ist einer der Gründer des Krumping. Als sein Großvater betrunken seine Mutter erschiessen wollte, ging er dazwischen und die Kugel traf seinen Arm. Über die christlich-spirituelle Basis des Krumping möchte er den Kindern in South Central eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben eröffnen.
• Christopher Toler, alias „Lil C“, ist ein erfolgreicher Entertainer, Tänzer und Choreograf. Sein Vater er-schoss sich als er 10 Jahre alt war. Er übernahm die Vaterrolle für seine Geschwister.
• Jason Green, alias „Dragon“, einer des Gründertrios des Krumping. Seine alleinerziehende Mutter war jahrelang drogenabhängig und zeitweise im Gefängnis. Er war seinen Geschwistern Vater und Mutter.
• Marquisa Gardner, alias „Miss Prissy“, ist in Ballett und Modern Dance ausgebildet und unterrichtet. Sie gilt als die “First Lady des Krump”.
• Jerome, alias „Lil Tight Eyze“, ist der künstlerische Nachkomme von Tight Eyze. Er wuchs als vorüber-gehender Adoptivsohn bei einer Priester Familie auf und hat deren starken religiösen Glauben übernommen. Sein biologischer Vater sähe es lieber, wenn sein Sohn wieder in die Gang eintritt, (was kein Einzelfall in Watts ist.).
• Cashae’ Davis, alias „Daisy“, ist eine der ersten Frauen in der Krump Kings-Crew. Sie war zu Dre-hzeiten von RIZE 13 Jahre alt, und zählt zu den besten weiblichen Krumperinnen.

Im Allgemeinen identifizieren sich die Protagonisten mit der Repräsentation ihrer Persönlichkei-ten und der Tanzform in RIZE:

„We welcome anyone to our testimony because we are some innocent kids walking around with a stereotype on our shoulders being bowed down to whatever problems and issues we have. We are victorious in our situations. I want people to know what I went through. I take my life as an encouragement instead of a burden.“ (Lil C, Interview Tribeca)

Zu Beginn des Films wird der Hinweis gegeben, dass das Filmmaterial in keiner Weise beschleunigt wurde. Dieser Hinweis ist sinnvoll, denn manche Tanzszenen lassen die visuelle Wahrnehmung als Trug erscheinen. Das ungewohnte Betrachterauge hat Schwierigkeiten, die Bilder der tanzenden Körper in dem außerordentlich schnellen Tempo zusammenzusetzen und einzelne Bewegungsse-quenzen zu erkennen. Der Film dient nicht als Beleg für eine diskursive Auseinandersetzung. Doch die Bewegung „in-motion“ zu beobachten, ist unerlässlich und unersetzlich. Im Tanz sieht man mehr, als das Wort sagen kann.

4.4 Einflüsse polystilistischer Tanztechniken

Krumping hat Wurzeln in Afrika und kriegerischen Stammestänzen, der Sklaverei, der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und den „Rodney King Riots“. Diese historischen Erlebnisse spiegeln sich im Stil dieser Tanzform wider. Krumping ist eine Fusion der Habitualisierung der Körpertechniken dieser unterschiedlichen Zeiten und Kulturen. Die Jugendlichen sind mit dem Kampf aufgewach-sen. Sie erleben den ständigen physischen Kampf mit den drogenabhängigen und gewalttätigen Gangmitgliedern und Familienangehörigen und anderen Menschen aus ihrem sozialen Umfeld, sowie den emotionalen Kampf mit der Einkommensarmut und der gesellschaftlichen Diskriminie-rung als Alltagserfahrung. Diese Geschichte und Identität, die Erlebnisse schreiben sich im Körper nieder. Krumping zeigt die Inskription der aufgestauten Wut und das Gedächtnis des Körpers, der Gewalt, Unsicherheit und die ständige Verteidigungshaltung speichert und verinnerlicht. Das Hi-pHop- Genre (DJ, MC, Beatboxing , Break Dance, Graffiti) hat zwei grundlegende ästhetische Werte: Style (‚Stil’) und Skills (Fähigkeiten). Umso kreativer und innovativer der Style, desto bes-ser die Skills. Die Skills sind das „tacit knowledge“, hier ist der Begriff „tacit dancing“ treffender. HipHop-Tanz kann nur begrenzt über das diskursiv orientierte Bildungskonzept, d.h. anhand ver-baler Korrekturen des Lehrers und eigenständiger visueller Kontrolle durch den Spiegel im kommerziellen Tanzstudio erlernt werden. Die meisten erfolgreichen internationalen Tänzer, Choreografen und Lehrer (und Musiker) des HipHop kommen aus dem Ghetto und haben ihren Style eigenständig in jahrelanger praktischer Übung und Wiederholung entwickelt. Unter den Hi-pHop-Praktizierenden ist bekannt, dass es unmöglich ist HipHop im Tanzstudio zu erlernen – wenn das Gefühl für HipHop nicht im Körper ist, sieht der Tanz „fake“ ‚unecht’ aus. „Real“ zu sein ist ein entscheidendes Kriterium unter HipHop-Künstlern. Das Genre HipHop zeichnet sich durch das Wort „freestyle“ aus. Dies verweist auf den exklusiven Stellenwert der Improvisation und Kreativi-tät des Künstlers in der Situation der Darstellung.

Einige HipHop Stile sind maßgeblich in die Tanzform Krumping eingeflossen. Der HipHop Tanz bil-det eine Oberkategorie, mit der sich viele ähnliche Tanzstile aufgrund der Überlappung einzelner Bewegungselemente identifizieren. Familienähnliche Bewegungselemente sind das breitbeinige Stehen und Tanzen mit angewinkelten Knien. Diese Haltung eröffnet der Hüfte einen hohen Be-weglichkeitsgrad und macht sie zum Dreh- und Angelpunkt der meisten Bewegungen und zum Körperzentrum. Die isolierten Bewegungen einzelner Körperpartien – Isolationen – sind ein Basis-element. Sie werden in Verbindung mit Off-Beat Rhythmen und Körperbildern von alltäglichen Gebrauchsobjekten, Haltungen oder der Nachahmung von Situationen getanzt. Beim Stil „Robot“ sind die Übergänge der Isolationen nicht fließend, sondern werden immer mit einer Pause zwi-schen den Bewegungen akzentuiert. Das wird insbesondere im „Popping“, „Locking“ und „Electro Boogie“ praktiziert. Dahingegen widmet sich der „Smurf“ der weichen und flüssigen Verschmel-zung von Bewegungsübergängen. Für das HipHop-Tanzgenre ist ein gewisser Vermischungsgrad der Stilelemente typisch. Das hat mit dem Paradigma des Style und Skill zu tun.
Der „Electro Boogie“ wurde von der legendären Tanzgruppe „Electric Boogaloos“ perfektioniert. In einem legendären Tanzstück tanzen acht Männer eine hinduistische Gottheit (Kali-Shyama) mit ihren sechzehn, sich gleichzeitig bewegenden Armen. In einer Reihe hintereinander aufgestellt, stehen die Männer frontal zum Publikum. Ein visuelles Bild, das dem Geist eine andere Wahrneh-mung eröffnet, die der Logik widerspricht.

„Ästhetische Wahrnehmung lässt sich in diesem Sinne nicht nur als ein spezifischer Modus der Wahrnehmung, sondern auch als ein Weg zur Erkenntnis des menschlichen Wahrnehmungsvermögens begreifen.“ (Fischer-Lichte, 2006:139.)

Die sechzehn Arme scheinen tatsächlich einer einzigen Person anzugehören. Die pulsierende Ein-heit der Arme und der stimmige Bewegungsablauf aller einzelnen Armpaare verkörpert diese Vorstellung, denn: „motion is the strongest visual appeal to attention“ (Arnheim 1954:361)
Einer der Basisschritte im HipHop ist das abwechselnde Auf- und Absetzen der Ferse und der Fuß-zehen am Boden, mit abwechselndem in- und auswärts Setzten der Ferse. Dies resultiert in einer schiebenden Fortbewegung und ist die Grundbasis für den Move „Moonwalk“, den Michael Jackson aus der Break Dance Szene übernahm und weltweit berühmt machte. Das „Bouncing“ wird mit Feder– Sprungkraft übersetzt und bezeichnet im HipHop- Tanz eine Basishaltung und ein Grund-gefühl des Körpers. “Bouncen” steht für die fest verwurzelte Leichtigkeit einer Sprungfeder und kann sich auf die Beine, aber auch auf den gesamten Körper beziehen. Für diese Haltung sind ge-beugte und weiche Knie charakteristisch, dadurch ist man beweglich im Becken und in der Wirbelsäule. Die Füße sind fest am Boden verhaftet, was ein erdverbundenes Gefühl vermittelt. Das ist die Grundlage und der Ausgangspunkt jeder HipHop-Bewegung (im Folgenden: Move ge-nannt), damit sie “real” ist und so aussieht. Das funktioniert nur, wenn man das lose Gefühl in den Knien, verknüpft mit der Erdverbundenheit verspürt und sich darin selbst wieder erkennt.

Ein Stil des HipHop-Tanzes ist Break Dance. Er entsteht in den 1970er Jahren, zeitgleich mit Rap und HipHop in der Bronx, einem Ghetto in N.Y., USA. Der vom DJ verlängerte “Break” in der Musik wird im Tanz akzentuiert. Break Dance ist sehr erdverbunden, viele Moves werden auf dem As-phalt liegend vollführt. Der „Freeze“, eine ‚eingefrorene’ feste akrobatische Figur mit Kopf oder Schultern am Boden, oder eine Art Handstand sind abschließende Tanzmoves einer Sequenz. Drehungen aus dem Handstand, mit den Armen laufend („Tornado“) oder auf dem Kopf („Headspin“) sind klassische Break Dance-Moves. Die spontanen akrobatischen Saltos und Dre-hungen in der Luft werden ins Krumping übernommen. Die einleitenden Schritte im Stand zu diesen Bewegungen sind der Uprock und Toprock, sie sind Markenzeichen des individuellen Stils.
Die Musik beim Break Dance setzt sich aus Breaks und Loops zusammen. Die Stücke einzelner Songs (Breaks) werden in einer repetitiven Schleife vom DJ aneinander gereiht (Loops). Das Tem-po ist zwischen 110 und 135 BPM (Beats pro Minute ) also schneller als der Durchschnitt für HipHop- Musik von 90 BPM.

„Popping“ und „Locking“ sind HipHop- Tanzstile der ersten Stunde. „Popping“ (engl. to pop: ‘knal-len, platzen‘) ist die sehr kurze aber volle Anspannung eines Muskels oder einer Muskelpartie (Brust) und die Lösung der Muskelspannung. „Popping“ das Bild als ob ein Stromschlag durch die entsprechende Körperpartie fährt und erinnert an die automatisierten maschinellen Bewegungen eines Roboters. Diese Körpertechnik wird oft, aber nicht zwingend, mit dem „Locking“. kombiniert. Das Grundelement des „Locking“ (engl. to lock: ‚schließen, abriegeln’) ist das kunstvolle Schließen der Hand zur Faust durch eine Drehbewegung aus dem Unterarm und schließendlich dem Hand-gelenk. Die Hand wird nach außen geöffnet und dann nach innen zum Körper mit einem Akzent geschlossen. Während die Endposition „Faust“ einrastet wird der Arm kurz „gepoppt“ Dies führt zu einer Verstärkung des „einrastenden“ Moments. Bei einer Grundposition des „Locking“ ist der linke Fuß am Boden aufgestellt und das Knie 90° abgewinkelt, das rechte Schienbein liegt auf dem Bo-den, das Knie ebenfalls um 90° angewinkelt. Während man mit einem Schritt zu Boden geht, wird kunstvoll unter oder über den Beinen, hinter dem Ohr, vor der Brust ein- oder zweihändig „ge-lockt“. Oft werden weiße Handschuhe getragen, um die Technik der Hände zu gezielt zu unterstreichen. Die in alle Richtungen deutenden weißen Zeigefinger stammen der Legende nach aus der Zeit des Vietnam-Kriegs: Onkel Sam habe so auf Plakaten rekrutiert: “I want you!” (Sol-dati 2008:Mit Stil). Auch hier finden wir einen reflexiver Akt vor, das Aushandeln mit dem Umgang des Krieges in der Bevölkerung, in diesem Fall die reflexiv performative tänzerische Form in der Bronx.

4.4.1 Afrikanische Wurzeln im HipHop

Die überwiegenden Einflüsse im Krumping kommen also aus dem Tanzgenre HipHop (im folgen-den HipHop). Hier besteht eine enge Verbindung von Musik und Tanz. Die Ursache für diese Verknüpfung liegt in den afrikanischen Wurzeln des Rap. Mit den Sklaventransporten kam die Tra-dition der Griots und der besonderen rituellen Zeremonien, die sich über Tanz und Rhythmen vollzogen, nach Amerika. Griots sind die westafrikanischen Träger der Kultur in Geschichten, Ge-sang und Musikform Sie tradieren das gesamte orale Wissen und sind Ritualmeister. Ethnomusikologen und Afrika-Wissenschaftler haben den Einfluss der Griot-Tradition und afrikani-scher Tanzformen im amerikanischem Modern Dance und HipHop belegt . Afrikanische Wurzeln sind in den Sklaventänzen und deren musikalischen und rhetorischen Mitteln zu erkennen, wie in: „ring shouts“2 , Liedtexten des Blues, „call and response“, „toasts“ und „signifying“ . Der „Call and response“ ist eine spontane, verbale oder nonverbale Interaktion zwischen Sender und Emp-fänger. Das kann der Vorsänger und Chor, Vortrommler und Band, wie in der brasilianischen Instrumentalmusik sein. Das rhetorische Mittel wurde im Blues, Jazz, Rhythm and Blues und in den Spirituals und dem Gospel übernommen. Jede Äußerung (call) wird erwidert (response). Das rhetorische Mittel ist in afrikanisch traditionell in politischen, rituellen, religiösen und performativen Kontexten verwurzelt. Die Sklaven tradierten die musikalische Tradition im Wechselgesang ihrer Arbeiterlieder bei und nach der Arbeit auf dem Feld. Dieses Prinzip hebt die, im Westen übliche Trennung zwischen Darsteller und Zuschauer auf und macht die Musik oder den Tanz zum ge-meinsam gestalteten Erlebnis.
Die Sklaven tanzten erdverbunden, mit gebeugter Kniehaltung, flüssigen Beckenbewegungen, verknüpft mit beachtlichen Isolationen, Synkopierung und Improvisation. Die Entwicklung der a-merikanischen Musik ist ebenso stark mit dem afrikanischen Erbe verbunden: von Griots zu Spirituals zu Gospel, von Boogie zu Blues zu Swing und Bepob, von Jazz zu Soul und Funk, von Rhythm and Blues zu Rock´n Roll, vom Rap zum HipHop. Die Musikstile teilen einige Elemente: „call and response“, Improvisation, Polyrhythmen, „bending notes“ , „jamming“, Heterophonie, Klatschen, Stampfen, Rufen, Wiederholung, Verbindung von Gesang und Tanz und Publikumsbe-teiligung (McBride 2007: 130).
Als LaChapelle den fertigen Film am Vorabend der Premiere den Tänzern vorstellt, sind diese ver-blüfft: keinem von ihnen war die Verwandtschaft zu afrikanischen Tänzen, die Ähnlichkeit der Bewegungen und Kriegsbemalungen, bekannt gewesen. Doch sie sind beeindruckt und bewegt.
4.4.2 „Clowning” und die ludische Clownerie 4.4.2

In South Central existieren im Jahr 2002 an die fünfzig Clowngruppen . Die Akteure, die Clowns die im Film zu Wort kommen, beschreiben eine Clowngruppe folgendermaßen (RIZE 00:13:30):

• „Birthday parties“ (Larry)
• „A group of people that entertain.“ (Lil Tommy) „Many Clowngroups don´t know how to entertain. You can´t just dance, dance, dance.“ (Lil Tommy )
• „Make people happy.“ (Lil Tommy); „Make a laughter where there was no laughter.“ (Larry)
• „Its a get-away, you get to travel, from here to there; see, some people don´t even get out of their own neighbourhood.“ (Swoop)
• „I can do my thing, my dance thing. I can be funny, I can meet new people and make them happy. I can make myself a name, so that people know who I am, giving me my respect for doing something positive, and not something negative. Because if I was´t doing this clown shit, honestly, I think i would be a very, very, very bad person.“ (Swoop) war zuvor tief ins Gangleben verstrickt.
• “Many people ask me: Why you are doing this man? Why you’re still dancing with Tommy? Because I like it, I have been doing this since I was 12, now I am 18. I love to entertain people. I will pursue this, I want to be a entertainer.” (Larry)

Die Tanzform Clowning besteht aus einer Fusion von HipHop- Tanzstilen. Einer der Grundschritte im Clowning ist das sehr schnelle, rhythmische „bobbling/wobbling“, das Wabern mit den Knien. Die Bewegungen werden Up Beat-Tempo ausgeführt. Die Charaktere sind Clowns die als Spiegel-bilder auftreten, z.B. Tommy als Clown. Elemente aus dem Break Dance, Electro und Funk werden inkorporiert. Bei Tommys Shows werden Gruppenchoreografien mit humoristischen Einla-gen getanzt. Der „Stripper Dance“ ist Teil des Clownings. Er wird mit zusätzlichen Bewegungen leicht abgeändert. Der Stripper Dance ist in den 1980er Jahren im Milieu der Sexarbeit in Striptea-se Tanzbars entstanden . Die extreme Haltung im Hohlkreuz gilt als besonders erotisch da auf diese Weise das Gesäß und die Hüfte als sinnliche Regionen des Körpers visuell verstärkt in den Fokus des Betrachters gerückt werden. Die Beine sind dabei auswärts und weit nach außen ge-spreizt, Knie und großer Zeh liegen auf einer imaginären vertikalen Linie, während die Knie zu 90° angewinkelt sind. Diese Position erlaubt der Hüfte sich sehr frei zu bewegen und stark sexuell kon-notierte Hüftbewegungen zu vollführen. Des Weitern werden Bewegungen inkorporiert, die den Geschlechtsakt in verschiedenen Positionen imitieren. Das Anfassen eigener Körperpartien ist ein Stilelement vom Stripper Dance. Das stärkste Erkennungsmerkmal ist das extreme und schnelle Wackeln mit dem Po. Das Clowning ist auf eine Bühnenpräsentation ausgelegt. Es ist eine Fusion verschiedener HipHop-Stile.

Die ludische Clownerie

Die Figur des Clowns ist ein traditioneller Topos, den man in vielen Kulturen in unterschiedlicher Gestalt antrifft. In Mythen tritt diese Gestalt oft in Schwellenorten und -zeiten als Trickster oder heiliger Narr auf. Es ist die Figur des sozial Schwächeren, welcher den Machtinhabern ungestraft die Wahrheit sagen kann, ohne dass normative Sanktionen folgen. Der Clown, der (Hof-) Narr hat also per se eine reflexive Einstellung. Die Clownerie lebt durch den Bruch mit der diskursiven Er-wartungshaltung. Der Zuschauer hat a priori eine unbewusste Annahme der Verhaltensmechanismen, deshalb kann das strikt gegensätzliche Verhalten des Clowns seine ko-mische Wirkung entfalten. Genauer genommen ist das der zugrunde liegende Effekt des Narrentums. Dadurch wird ein performativ reflexiver Prozess beim Zuschauer ausgelöst (SuA:108, 109). Der Narr und seine Rolle werden schon von Turners Lehrer und dem Begründer der „Man-chester School of Social Anthropology“ Max Gluckman beschrieben. Nur der Narr hat die Freiheit ungestraft über die Herrschenden zu spotten. „Sie fungieren als Sprachrohr des verletzten Moral-empfindens.“ (Gluckman zit. in: SuA:108) Meist sind dies Männer niederer Herkunft, welche die moralischen Werte der Communitas symbolisieren. Die Außenseiter haben in Mythen und Mär-chen das „Gefühl für Humanität“, ein Ausdruck den Turner von David Hume bezieht.
Genet, Grotowsky und Brook haben mit dem Einsatz von Masken versucht, dem Theater wieder eine rituelle bis religiöse Bedeutung zu verleihen. Und sowohl die europäische Theaterkultur der „Commedia dell´arte“ als auch die traditionellen japanischen Theaterkultur sind durch Masken geprägt. Über die Maske kann gewünschte, gefürchtete oder reale Identität gezeigt werden. Ver-schiedene Räume (Göttersphäre, Erde) und Zeiten (unterschiedliche Generationen) können gleichzeitig thematisiert werden. Die Maske steht für einen Dialog der Identitäten (2005 Montoya Bonilla).
Der Topos des Narren tritt sowohl an Schwellenorten und in Schwellenphasen auf, als auch bei afrikanischen Ritualen oder in der Commedia dell´arte. In der liminalen Phase der Übergangsriten werden Novizen strukturell unsichtbar gemacht. Entweder werden sie über Körperbemalung un-kenntlich gemacht oder sie verbergen ihre Identität hinter Masken (SuA:162). Dragon unterstreicht dies, als er über seine Gesichtsbemalung spricht: „If you have a mask, it’s you and yourself, you’re hiding your identity.“ (RIZE 00:28)
Die Krumper symbolisieren urbane Krieger in einem liminalen Zustand. Vereinzelt werden schwar-ze Bankräubermützen getragen. Das Gesicht wird auch mit dem T-Shirt vermummt, entweder dem eigenen oder indem man den Kopf unter das Shirt einer Person aus dem Kreis steckt. Das symbolisiert Gefangenschaft, das Verborgene und den Kampf mit den bösen Kräften. Der Akteur tritt, mittels der Maskierung, inkognito auf. Er verbirgt seine individuelle Identität. Die Formation der Communitas erlaubt ihm, diese Identität zu leben und zu verbergen .
Das Spiel mit Klischees und sozialen Inszenierungen ist eine feste Komponente in Übergangsritua-len und im Krumping. Der Clown kann als Trickster-Gestalt fungieren. Er ist Mediator zwischen der spirituellen und der profanen Welt. Tommy the Clown übernimmt in der Nachbarschaft die Rolle des Guten, der die Herrschenden und die Übermütigkeit parodiert.
Der Clown spielt typischerweise mit Klischees, Erwartungshaltungen, Ungehorsam, Frechheit und mit Verhaltenweisen, die im Alltag unterdrückt werden. Ganz so wie es Kinder im Spiel tun. Das Spiel liegt im Bereich der Transformation. Der hier angesprochene metakommunikative Bereich ermöglicht es, über Kultur zu reflektieren, die Normen und Widersprüche in einem kulturellen Sys-tem zu thematisieren. Die spielerischen Elemente aus der Clownerie, wie Gesichtsbemalung, Verkleidung und das Parodieren, unterstützen die performative Reflexion im Clowning und im Krumping.

4.5 Abspaltung der „Krump Kings“ – Konflikt und „Communitas“?

Die Abspaltung der ersten Tanzgruppe von „Tommy the Clown“ in die Gruppe „Krump Kings“ um den Tänzer „Tight Eyze“ kann als Ausbruch aus einer bereits strukturalisierten Communitas beg-riffen werden. Die ursprüngliche Clowngruppe, die Communitas als liminoide Gruppe, entstand aus einer spontanen Bewegung. Besteht diese über einen längeren Zeitraum hinweg, formiert sich aus Gründen der Organisation, Kontrolle und dem Erreichen der gemeinsamen Ziele, notwendigerwei-se eine normative Communitas, der Kompromiss, um die Widersprüche beizulegen. An diesem Punkt bricht die Communitas der Gleichen unter Gleichen zusammen, und eine Abspaltung ge-schieht. Deshalb entstand nach einem absehbaren Zeitraum ein Bruch innerhalb der ursprünglichen Clowngruppe. Eine neue, kreative und verändernde Kraft erwächst aus der indivi-duellen Hervorbringung der Begründer Tight Eyze, Dragon und Lil C. Die Tänzer um Tight Eyze fühlten sich nicht mehr ausreichend identifiziert mit Tommys Clowning, da eine Integration neuer Bewegungselemente nur begrenzt möglich war. Sie bilden eine eigene Subkultur. Tommy akzep-tierte nicht, dass seine Körpersprache und das Bewegungsmaterial zu starker Veränderung unterzogen werden und zensierte den Stil einiger Tänzer, da er um die Originalität seiner Kreation bangte und den aggressiven Stil als zu hart für einen Kindergeburtstag einschätzte . Die jungen Tänzer hatten eine neue Bewegungssprache für sich entdeckt, aggressiver, härter, schneller, ex-pressiver und sie bauten diese stetig aus. Die Bewegungssprache bietet den Jugendlichen mehr Möglichkeiten ihre Wut und Aggression „auszudrücken“. Lil C bezeichnet es mit den Worten: “We couldn´t be centered any more.“ (RIZE 00:46) Hier klingt die spirituelle Funktion des Krumping an, als eine, das Individuum unterstützende und zentrierende Tätigkeit. Dragon äußert sich dras-tischer: “It became boring and it was like we needed more. I need more.” (RIZE 00:43:40).

„Clowning got less enthusiastic while Krump seemed more heart felt and powerful. It was like a movement being pushed by oppressed youth. I was interested in that because it helped my life when I was in situations where I didn’t feel there was hope; just the idea of an outlet to get away from it all, while releasing everything you got built up in you was “dope” to me … It eventually became my lifestyle, instead of just the art. I started to live Krump and I still do to the fullest …“ Daisy von den Krump Kings

Die jungen Nachwuchskünstler organisieren sich in ihrer Krumpcrew fortan eigenständig. Tight Eyze, Lil C und Dragon gründen nicht nur die eigene Crew, sondern insbesondere einen neuen Tanzstil. Die Tanzform zielt darauf ab, die Jugendlichen aus ihrer marginalisierten Position, in wel-che sie die Gesellschaft stellt, zu befreien und die soziale und politische Ungerechtigkeit und Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, anzuklagen und zu verarbeiten. Krump ist ein Acronym von „Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise“ (‚Königreich der tiefgreifenden, erhabenen, mächti-gen Lobpreisung’). Der spirituelle Aspekt ist das zentrale Wesensmerkmal des Krumping für ihre Gründer. Das war ein bedeutender Abspaltungsgrund, denn im Clowning spielt der transzendenta-le Moment eine nach geordnete Rolle. Der Unterschied zwischen beiden Tanzformen: Clowning soll Kinder zum Lachen bringen und glücklich machen – Krumping zeigt die ungeschminkte Seite des Lebens und beinhaltet ein Kriegergefühl. Insbesondere hat Krumping spirituelle Basis.

„If you are drowning and there is nothing around than a board floating, you gonna reach out for that board – and this was our board. And from this board we floated abroad and we built us a big ship. And we are gonna sail in, into the dance world, into the art world – we are gonna take it by storm. Because it is our belief. This is not a trend, and [überzeugtes Lächeln] let me repeat – this is not a trend.“ (RIZE 03:40)

Die Gesichtsbemalung, zu Zeiten der RIZE – Filmaufnahmen noch aktuell, ist mittlerweile vom Krumping verbannt und gilt als klares Abgrenzungsmerkmal zum Clowning (KK W). Clowning un-terscheidet sich durch die grundlegenden Lebensbereiche Tanzform, Kleidung, Sprache, Musik – alles (Lil C in: Chupnick 2005 – Ende).
Interessanterweise gestaltet sich die Aufnahme in die Gruppe mittels eines ästhetischen Unterwer-fungsrituals, ähnlich dem, in den von Turner beschriebenen traditionellen Gesellschaften. Die Tänzer müssen sich mit jedem Mitglied der Gruppe messen. Damit zeigen sie die Ernsthaftigkeit ihres Wunsches und ihr Können.

„Cage (v) – 1. ‘to be cage’ When a dancer is caged, an entire crew challenges the individual to a test of skill. This is generally done as part of initiation rites.“ (Krumptionary)
“Initiation (n.) – Admitting someone into a Krump crew. It also refers to the rites required of new dancers hop-ing to join. Initiation rites generally take the form of a battle between one dancer and the entire crew in which he or she hopes to join. The competition lasts until the challenger can no longer stand.” (Krumptionary)

Der Aufnahmeritus hält solange an, bis der Neuling aufgibt. Alle treten gegen ihn an und seine Niederlage ist ein fester Bestandteil des Rituals. Auch hier dient es dazu, dem Initianten Demut und Respekt vor den Besten der Gruppe und Achtung für alle der Gruppe zu vermitteln. Sein Sta-tus ist nach der Aufnahme auf der untersten Stufe der hierarchischen Ordnung angesiedelt.

Turner beschreibt die Motorradgang „Hells Angels“ in Kalifornien als pseudohierarchische Gruppe. Er nennt sie „eine Kopie der Struktur säkularer Organisation“. Die Gruppe unterstreicht dennoch die Werte der Communitas. Sie spielen das Spiel der Strukturen, ohne sich ernsthaft auf die sozio-ökonomischen Strukturen einzulassen (SuA:185). Das ist bei den Krump Kings anders, da sie ernsthaft versuchen die sozialen Rollen und Funktionen durch ihre eigene Struktur auszufüllen. Deshalb spalten sie sich ab und gründen die Krump Kings, eine Art normativer Communitas als anergisch-ludisch liminoides Phänomen in einer komplexen Industriegesellschaft.

4.6 Tanztechnik und Praxis von Krumping

Die erste Krumping Gruppe nennt sich „Cartoonz Family“. Aus dieser Gruppe geht die hier unter-suchte Gruppe (im Folgenden Crew genannt) „Krump Kings“ hervor.
Der Tanzstil ist aggressiv, extrem schnell, rau und hochgradig expressiv. Intensiver Körperkontakt zwischen Tänzern ist üblich und kann dem objektiven Betrachter, dem Außenstehenden, fälschli-cherweise als bedrohlicher Kampf erscheinen. Tight Eyez, einer der Gründerfiguren des Krump, nennt drei Phasen der Tanzform. Die Intensität der körperlichen und geistigen Konzentration stei-gert sich mit jeder Phase. Die erste nennt sich „krump“, genauso wie das Akronym für die Tanzform Kingdom „radically uplifted mighty praise“. Die zweite Phase ist „buck“, ein Wort mit vie-len Bedeutungen, eine kolloquiale Bedeutung ist „crazy, insane“. Die aggressiven Bewegungen lassen Technik, Eigenartigkeit und Charakter des Tänzers erkennen. Die dritte Phase bezeichnet den stärksten Intensitätsgrad der Tanzform, der eine transzendente Erfahrung ermöglicht – „amp“.

4.6.1 Lehrmethode, Technik und Musik

„A dancer may express his or herself in any way, just as long as it is authentic and organic. In Krump, there is no right or wrong way to express one’s self. It is an art form owned by feelings, not words or rules.“ (Krumpti-onary)

Krumpen lernt man im „lab“ ‚Labor’. Es ist die Bezeichnung für den Übungsort. Das kann jeder Raum sein, in dem man tanzen kann: Wohnzimmer, Garage, Strasse, Tanzstudio, öffentlicher Platz, Parkplatz oder ein unbebautes, ungenutztes Gelände. Der Begriff Labor beinhaltet Experi-mente und Neuentdeckungen. Dahinter lässt sich der künstlerische Anspruch, Neues zu erschaffen, erkennen. Krumping lernt man durch körperliches Nachahmen mithilfe von Musik als rhythmischer Stütze. Vorrangig ist das aktive körperliche Machen, das diskursiv-reflexive Verste-hen der Bewegung ist zweitrangig. Man begreift und lernt über das Handeln mit dem Körper selbst. Die Krump Kings haben mittlerweile ein Tanzstudio als “lab“. Sie proben dort einzeln und gemeinsam. Die Anzahl der Anwesenden variiert, doch sind interessierte Jugendliche immer will-kommen, denn Tight Eyze ist es wichtig, den Kindern im Viertel eine Alternative zum Gangleben zu bieten. Das Verhältnis Lehrer und Schüler zeichnet sich durch Anregungen und Verbesserungs-vorschläge aus, jedoch nicht durch ein reglementiertes Lehrwesen. Die Hierarchien entspringen dem Prinzip der Erfahrung und den Erfolgen bei Battles. Der Meister zeichnet sich durch die höchs-te Stufe an Können aus, dies formiert die hierarchischen Strukturen. Es findet kein bezahlter Gruppenunterricht mit einem Lehrer vor dem Spiegel statt. Gelernt wird durch eigenständiges Ü-ben in der Gruppe. Das Sensibilisieren für Rhythmik wird parallel mit eingeflochten. Die Bewegungen sind stark an die Dynamik und Rhythmik der Krumpmusik angelehnt. Einige Moves haben exakte Beateinheiten (meist Schrittfolgen), andere sind frei von rhythmischen Vorgaben (Armswings, Turns, Break Dance Figuren).
Im Krumping gibt es Elemente klar definierter kognitiver Zeichensprache und Gebärden, die an die Identifikation von Darsteller und Rolle erinnern. Jedoch betonen die Tänzer immer wieder, aus sich heraus zu tanzen. Krumping ist keine Bühnenkunst für einen konkreten Raum, sie kann jedoch angepasst werden. Der Krumper Lil C ist als Choreograf für die Musikindustrie tätig. Er musste sich jedoch das Segmentieren seiner immer improvisierten Bewegungen erst erarbeiten, bevor er Per-sonen in den Tanzstudios von L.A. Krumping unterrichten konnte. Hier zeigt sich der Unterschied eines lokalen „tacit dancing knowledge“ einer Kultur im Gegensatz zu einem durch Konsum orien-tierten Verhalten. Kunden in kommerziellen Tanzstudio wollen das Krumping nicht durch eigenständiges Üben und Erforschen erlernen, sie wollen es beigebracht bekommen. HipHop-Tanz und Krumping kann man aber nur schwer ohne das Lebensgefühl erlernen.
Im Vordergrund der Ausnahmetechnik stehen Improvisation und flexible Adaption an den eben-falls improvisierenden DJ. Der eigene Stil und die kinästhetische gespürte und vermittelte und gezielt geleitete Kommunikation mit dem Publikum sind wichtige Elemente. Im Mittelpunkt dieser Elemente steht das Erfahrungsmoment, über das der Tänzer kinästhetisch die Stimmigkeit seines Körpers wahrnimmt:

„Everyone has its own different style. You know what’s new because you recognize your new body movement when you are feeling it.“ Lil C (RIZE 00:28)

Im Krumping ist Improvisation ein zentrales Wesensmerkmal. Wenn ein Tänzer zwei Tage nicht trainiert, sehen das die anderen, denn der Stil ändert sich jeden Tag. Diese Tanzform unterliegt einer steten Entwicklung. Krumping ist eine offene, auf Improvisation, Skills und Styles, Schnellig-keit und Aggressionsabbau beruhende Tanzform.

Dynamik, Rhythmik, Musik

Im Krumping richten sich die Bewegungen stark am Takt der Musik aus. Der eigene Musikstil – Krumpmusik – ist Rap, teils melodisch gesprochener Text über Instrumentals mit synkopischen Rhythmen und Back-Beat . Die Songs erzählen Geschichten aus dem Alltag der Ghetto-Bevölkerung und setzten sich damit – wie der Tanz – vom kommerziellen und designerhörigen HipHop ab. Es gibt keine Flüche oder Schimpfwörter, Gewaltverherrlichung und Sexismus, denn Gott soll mit dieser Musik gehuldigt werden (Krumptionary). Die Krumpmusik geht zurück an den Ursprung der spezifischen Lebenssituation in Watts. Die Songtexte unterstützen die tänzerische Nachricht und die emische Perspektive der Künstler. Sessions und Battles werden auch mit di-versen afrikanischen Instrumentals – Trommel und Percussion getanzt.

4.6.2 Körperbild und Körpersprache

Tight Eyze beschreibt, dass er sich von den Sorgen die ihn alltäglich beschäftigen, im Tanz wie durch ein Ventil befreien kann. Im Krump kann er seine Probleme artikulieren und die aufgestau-ten Energien abbauen. Krumping dient den Jugendlichen dazu, die negative Energie zu kanalisieren und die Unterdrückung, Armut und Benachteiligung in einer bestimmten Körperspra-che zu verhandeln. Die Ausnahmetechnik Krumping besteht aus drei Intensitätsebenen. Erstens „Krump“, das ist zugleich die technische Kategorie Tanzstils. Zweitens die Phase „buck“, in welcher sich der eigene tänzerische Charakter im Stil zeigt. Die dritte Phase ist „amp“, der Moment der vollkommenen Leidenschaft und des unvermittelten Aufbrechens des Inneren, auch „spazz out“ genannt. „Amp“ wird als Akronym für „all mighty praise“ verstanden, ‚allmächtige Lobpreisung’. „Amped“ zu sein bedeutet auch in Trance zu fallen. Diese Begriffe sind Wortneuschöpfungen von Tight Eyze, deren Konzept in der weltweiten Krumpszene übernommen wurde.
„Getting krumped“ ist die erste Phase des Tanzes. Es ist der Zustand in dem der Tänzer durch die Energie des Publikums, der anderen Tänzer, der Musik und sein Adrenalin angefacht wird und sei-ne Bewegung flüssig sind. Moves sind feststehende Bewegungsabfolgen die oft eine Handlung, ein Bild oder eine Figur darstellen. Im Krumping werden Gesten für Wortspielereien mit dem Songtext und den Musikrhythmen benutzt. Bilder die im Krumping in Körpersprache verarbeitet werden sind physischer, kämpferischer Körperkontakt, militärisches Handeln oder Alltagssituationen, das Spielen von Instrumenten (Schlagzeug, Trompete) oder das Nachahmen von Tieren. Die Technik, Schrittfolgen und die Basisbewegungen sind Teil der ersten Intensitätsebene „Krump“.
Die zweite Phase und Intensitätsebene ist „buck“. Die Bewegungen die als „buck“ bezeichnet wer-den, sind aggressiv und extrem schnell. Tight Eyze spricht von seinem eigenen Stil als „buck“: „The sword is invisible. See that, we use our head and feet to battle with it“ (RIZE). Der Stil eines Tänzers und ein Move können als „buck“ bezeichnet werden. Die Verknüpfung diverser Moves im eigenen Stil, ist die technische Ebene von „buck“. Der Begriff deckt die Bedeutung „cool, lässig“ ab. Das Publikum feuert Tänzer mit dem Ruf „get buck“ an. Fäuste werden geschmettert, Arme ra-sant und unaufhörlich wütend geschwungen, es wird auf dem Platz gestampft und getrampelt, teils mit hoch angezogenen Knien, das sind Körper die den Krieg erklären. Und die in der Verteidi-gung all ihre Lebenskraft einsetzten, um zu siegen. Die Tänzer scheinen wahnsinnig, außer sich vor Wut. Sie tanzen mit einer enormen Kraft, Energie und einem atemberaubendem Tempo. Das erzeugt eine enorm hohe energetische Konzentration bei allen Anwesenden. Die Gesichtszüge werden zu Grimassen und Mimiken des Angriffs und vor Anstrengung verzogen, Zungen werden herausgestreckt und Augen gerollt oder zusammengekniffen.

„Buck (n.) – The second of three levels of intensity achieved by Krumpers during competition. This is where a character is identified and involves flawless character execution. It is the part of the dance where a story is told through one’s character, and at this level, a dancer demonstrates what makes him or her goofy, antagonistic, etc. This term is also used to describe a moment or move that is ‘breathtaking’.”

Hier zeigt sich die ganzheitliche Figur eines Krumpers und seine stilistische Besonderheit.
Die dritte Ebene ist „amp“ und steht für “all mighty praise”. Es bedeutet durchflutet und angefüllt sein, mit den Gefühlen die man in der Choreografie darstellt. Es ist das Tanzen aus der Seele, der Tänzer tritt hinter die Choreografie und wird in einen spirituellen Tanz versetzt.

Basisbewegungen

Grundlegende Bewegungen im Krumping sind u.a. „chestpops“, „stomps“, armswings“, „kill-offs“, „waves“ und „rolls“ (wellenförmige Bewegungen isolierter Körperteile – Arm oder Torso -, von ei-nem zum anderen Ende.) Ein „chestpop“ ist das Öffnen und schlagartige Schließen des Brustkorbes während die Wirbelsäule sich unablässig beugt , um diese Bewegung zu ermöglichen. Das Bild das für den Zuschauer entsteht, ist das ruckartige, reflexartige, explosionsartige Vorschie-ben des Brustkorbs als isolierte Bewegung im Körper. Es sieht aus, als ob ein elektrischer Schlag durch den Körper fährt. Diese Bewegung nennt man „chestpop”. Sie ist der HipHop-Körpertechnik „Popping” entlehnt, in der Elemente der Pantomime und das Anspannen der Muskeln und Gelenke zum Beat der Musik gehören. „Stomps“ sind stampfende Tritte. Ein fundamentaler Move, mit dem der Tänzer den Beat der Musik schlägt. Es hilft ihm, den Rhythmus zu behalten. (Krumptionary). Die „Armswings“ bestehen aus ungestümem, rhythmischem und extrem schnellem Schwingen der Arme seitlich, über dem Kopf und vor der Brust. Der Arm wird nach dem Schwung „ges-nappt“, das heißt er wird wie das Ende einer Peitsche geknallt. Schulterisolationen sind existentielle technische Voraussetzung , um einen Style zu haben. Das aggressive Schleudern und Rudern der Arme und die frenetischen Brustbewegungen – „armswings“ und „chestpops“ -, sowie andere Be-wegungen werden als „buck“ bezeichnet, wenn sie einen individuellen Stil erkennen lassen und die Expressivität besitzen, die das Publikum kinästhetisch berührt. Auch der „Torso Turn“ kann als buck bezeichnet werden: den Kopf und den Oberkörper in rasantem Tempo, ein- oder mehrmals um 180° um die Achse der Hüfte zu drehen.
Der „Kill-Off“ kommt aus dem Break Dance und ist dort der Endpunkt einer Tanzsequenz mit ei-nem harten Fall auf den Boden. Der „Kill-Off“ wird so trainiert, dass er möglichst wenige Verletzungen hervorruft. Das wird durch maximale Muskelanspannung erreicht. Der „Kill Off“ ist auch im Krumping spektakulär, da er der beste Move eines Tänzers in technischer und dar-stellerischer Qualität ist. Darüber hinaus kommuniziert er über den Move seinen endgültigen Sieg des Battels.

„Kill Off (n.) – Any move or combination of moves that ends a session or a battle. These ‘finishing moves’ are non-verbal ways to let one’s opponent know that he or she has been defeated, and they are often a dancer’s strongest moves.“ (Krumptionary)

Den eigenen Körper anzufassen, gehört ebenso zu Krumping wie die physische Interaktion. Dar-über entstehen imaginäre Bilder von Alltagsbewegungen oder optische Täuschungen, wie die scheinbare Verlängerung oder Verkürzung von Gliedmaßen, und Bewegungen die anatomisch nicht möglich sind. Die „illusions“ (Täuschmanöver) sind angedeutete Bewegungen, die nicht wirk-lich zu Ende geführt werden. Diese Täuschung nimmt der Zuschauer meist nicht wahr und sie dienen dem Tänzer dazu, Energie zu sparen. Illusions können auch angedeutete Bewegungen sein, die im letzten Moment abgebrochen und in eine andere Bewegung überführt werden. Diese Moves sind technisch sehr anspruchsvoll und erregen deshalb laute und bewegte Begeisterung beim Publikum.

Gegenstände die im Raum sind, werden spontan mit in die Darstellung eingebaut: Kleidungsstü-cke, Baseballcaps, Stühle, Autos, meterhohe Zäune und Telefonmasten. Sie werden zum performativen Element, in dem man über und auf den Zaun oder Mast klettert, daran rüttelt und während dessen tanzt und frenetisch den ganzen Körper wie ein Lasso schwingt und den Kopf schnell und im vollen Bewegungsradius kreisen lässt. Tief in den Knien gehend und mit echten oder imaginären Eisenketten schlagen, ist ein oft variierter Lieblingsmove von Dragon. Es wird schonungslos und ohne Rücksicht auf Verletzungen auf den Knien, Schultern, Händen, Rücken getanzt und gesprungen. In RIZE sind Miss Prissys Knie, übersät mit Blutergüssen. zu sehen.

Bewegung und Bewegungsbilder sind hinsichtlich ihrer Narrativik sehr aufschlussreich. Entgegen dem Clowning werden im Krumping „war/army/battle moves“ inkorporiert, d.h. Bewegungen aus Kampfkünsten und dem Militär. Tight Eyze beschreibt einen Move, den er aus dem Straßenkampf generiert. Eine Person greift von hinten an, man wehrt sich mit einem Ellbogenstoß rückwärts, schlägt den Unterarm nach oben, um das Gesicht des Angreifers zu treffen. Dann setzt man den rechten Fuß hinter den linken und leitet damit eine 180°-Drehung ein, um dem Angreifer frontal gegenüber zu stehen. Diese kurze Bewegungssequenz wird extrem schnell getanzt, so wie im echten Kampf notwendig. Das Bild, einer Person den Hals umzudrehen, mit zwei übereinander gelegte Fäusten vor der Brust, die sich entgegen gesetzt drehen, ist ein weiteres Krump – Bild ei-ner Kampfsituation. Hier spiegelt sich der Habitus wieder, das verinnerlichte Körpermuster. Watts ist ein lebensgefährliches Viertel, für die Bewohner aber ist das der Normalzustand: „It´s not dan-gerous, it´s life.“ (RIZE – Miss Prissy über Watts). Lil C sagt über sein Viertel, mit Bezug zu den Unruhen von 1965 und 1992: “This is where we grew up … but we managed to grow from these ashes … and this is where we still live.“ (RIZE 00:02:15). Ein klassischer Tight Eyze Move nennt sich „The Salute“. Es ist ein militärischer Gruß auf halber Spitze, mit einem Bein in der Luft, die Hand zum Gruß an der Stirn, eine Pose. Weitere Moves aus der Körpersprache des physischen Kampfes sind das Werfen und Schleudern von Fäusten, Boxen, mit dem Finger Zeigen und provo-kativ Locken, Stampfen, (auf der Stelle) Laufen, Springen und Marschieren. Diese Moves tragen eine je individuelle Körpersignatur des Tänzers und sind in den unterschiedlichsten Abwandlungen, “styles” und ”characters” zu beobachten. Bewegungselemente oder komplexe, aus mehreren Be-wegungselementen bestehenden Bewegungseinheiten, werden spontan anhand des individuell erlernten kinästhetisch tänzerischen Wissens getanzt. Bestimmte Situationen der Diskriminierung und Unterdrückung der benachteiligten afroamerikanischen Bevölkerung werden fiktiv repräsen-tiert. So etwa die polizeilich gewalttätige Machtausübung. Es handelt sich um die Repräsentation realer Geschehnisse im Lebensalltag der Watts Bewohner. Alle Watts – Bewohner beobachten täg-lich Raubüberfälle und können von einem Mord wie Quineshas – einem „Drive by Shooting“ – in ihrem Bekanntenkreis erzählen (Trebay 2005:1).

Das „dissen“ und „taunten“ (‚herabsetzen, sich lächerlich machen über jmd.’ , Slang, vom engli-schen to disrespect). Es sind Bewegungen, die komisch sind und das Publikum zum Lachen bringen, indem sie den Gegner parodieren. „Taunten“ bedeutet den Gegner mit einem aggressi-ven und arroganten Move zu irritieren, einzuschüchtern oder aus der Fassung zu bringen. Ebenso wie der Clown, spielt auch derjenige, der „disst“ oder „tauntet“, mit den sozialen Normen. Er un-terstellt dem Gegenüber abnormales Verhalten und verspottet nachahmend die Moves des Gegners: Gangart, Haltung, Blick oder Gestik. Bestimmte Körperbilder werden parodiert. Zum Beispiel mit der Hand vor dem Gesicht fächeln, als ob der andere stinkt. Oder auf allen Vieren ei-nen Hund nachzuahmen, der dem Gegner ans Bein pinkelt. Das Publikum würdigt die komischen Taunts mit ausgiebigem Johlen und Lachen. Es konstatiert damit den Humor und den Einfallsreich-tum des Tänzers.

Ein Krumptänzer verkörpert seinen eigenen Charakter im Tanz. Ohne Charakter kein Tanzstil. Es werden nicht je nach Anlass verschiedene Rollen getanzt, sondern es handelt sich darum „real“ zu sein. Es gilt das wahre Ich, oder zumindest einen Teil davon, in tänzerischer Praxis umzusetzen. Die Figur -„character“- kann dabei unterschiedliche Attitüden annehmen, bleibt aber seiner grund-legenden Identität treu. Der Wert dem Echten ursprünglichen verpflichtet zu sein und das zu pflegen, teilt Krumping mit traditionellen Kulturen.

„Character (n.) – A persona taken on by a Krumper used to express different dance styles and a variety of emotions. May be described as the sum of technique and attitude. Characters may be strong, goofy, dominant, etc., and are expressed through attire and body language. A dancer’s character becomes apparent during the second of three levels of intensity (Buck). It is a common mistake that one can embody different characters. This is not true, although a dancer may have different attitudes within his or her character. For example, Tight Eyez may express different attitudes such as raw, trash talker, arrogant, bully, or rude boy, all within the char-acter of Tight Eyez. In this case, the spectator would see the attitude, but the character is still Tight Eyez.“ (Krumptionary)

Im Krumping werden keine umfassenden Rollen entworfen, um eine Repräsentation fiktiver Indi-viduen darzustellen. Der „Charakter“ tanzt Konfrontation, Auseinandersetzung, Kampf, Humor und sakrale Lobpreisung. Essentiell ist „the key ingredient: rawness“ und Spiritualität (Miss Prissy in Chupnick 2005). Liebliche, verspielte, humorvolle Figuren sind nicht Teil des ästhetischen Ka-nons. Charaktere bezeichnen ihren Krump mit den Stilkategorien „raw grimey, bully, gully, assasin, gutter, motion madness, warrior MC, rude, fierce, …“ . Das ästhetische Selbstverständnis der Tanzform, „das Rohe“, manifestiert sich im Stil. In der einzigartigen Weise in der ein Tänzer eine Figur erschafft und tänzerisch umsetzt. Der Stil ist individuell, eigen und er entwickelt sich ste-tig. Posen sind angehaltene Bewegungen und Pausen die dem dramatischen Effekt und als Ausgangspunkt für eine neue Bewegungssequenz dienen. Posen sind individuelle Kreationen, die die Attitüde einer Figur zeigen können .

Die Isolationstechnik ist eine Basis afrikanischen Tanzes. Dieser beeinflusste den Jazz Dance und HipHop stark. Die unterschiedlichen Körperpartien unabhängig voneinander zu bewegen, in paral-lel stattfindenden und kombinierten Bewegungsabläufen, bedarf jahrelangen Trainings. Die Isolationen und das Verhältnis der Körperteile zueinander entsprechen keinem Organismusmodell und der Vorstellung, dass der Körper beseelt ist. Der Körper wird isoliert gedacht und bewegt. Hin-ter dieser Körpersprache steht eine Weltkonzeption die den Körper als performatives Instrument, kommunikatives Medium und transformierendes Objekt versteht. Ein Bild vom organischen Ge-samtkörper, wie im Ballett liegt nicht vor. Dies entspräche der abendländischen Weltkonzeption mit dem Modell des Menschen als Subjekt. Die isolierten Bewegungen im Krumping sind kontrol-liert. Im modernen Tanz Europas und Nordamerikas entdeckte und inkorporierte man die Isolationstechniken Anfang des 20. Jahrhunderts, welche in Asien und Afrika jahrtausende alte Tradition sind. Diese Neuausrichtung hat sich längst zu einem hoch diffizilen Körperbild weiter ent-wickelt. „Die Artikulation über alle Gelenkpunkte ist zum vorherrschenden Thema geworden. An die Stelle von einem Körperzentrum sind viele und stetig wechselnde Zentren getreten.“ (Servos 2003:25)
Die im kommerziellen HipHop reproduzierte Geschlechterkonzeption, basiert auf einem Körperbild, welches die Frau als sexuelles Objekt degradiert. Dies zeigt sich im „Stripper Dance“. Der „Stripper Dance“ ist im Milieu der Sexarbeit entstanden, und wurde von Tänzern in andere Tanzmilieus in-korporiert. Die Notwendigkeit kommerzieller Tanztätigkeit, auch in diesem Bereich, erwächst aus der Überlebensnot der Künstler. Hanna (1975) räumt ein, dass das Bordell als liminales Theater eine Dialektik für normative und verhaltenstechnische Erneuerung in der Gesellschaft beherbergt. Darüber hinaus hat die Wechselwirkung innerhalb der Tanzformen die gesellschaftliche Wahrneh-mung über Sexualität, sexuelle Praktiken und erotische Verführung geschärft und gewandelt. Dies lässt sich an Sprachgebrauch, Kleidungsstil, und Tanzstilen von Laien in Freizeitstätten beobachten. Dass die kommerziellen Tanzformen sich in der Wechselwirkung mit anderen Tanzformen als fruchtbar erweisen können, zeigt die kreative Befruchtung die sie im Clowning angestoßen hat. (Stripper Dance sh. 4.4.2 „Clowning“ und die ludische Clownerie). Krumping hingegen setzt sich klar von der Inkorporation des „Stripper Dance“ und den sexistischen Genderzuschreibungen des kommerziellen Gangster-HipHops ab. Sie sind auch eine Minderheit im Krumping. Aber dort sind sie gleichberechtigte Crewmitglieder und ihre Körpersprache wird keinem bewegungsvokabula-rischen Diktat unterworfen.

4.6.3 Choreografie – Zeit und Raum

„Sessions“ sind freie Zusammenkünfte zum Tanzen in einer großen Gemeinschaft. Es ist dem Prinzip des „Jammens“ und des „Rap Cypher“ in der Musik sehr ähnlich. Gemeinsame spontane Improvisation ohne Konzept oder Choreografie. Im Krumping herrscht Improvisation und sponta-ne Kreativität vor, dadurch wird der wesentliche ästhetische Wert erzielt: ein eigener „Style“. Wie bereits einführend zum Genre HipHop erwähnt, gilt es als unabdingbar einen originellen Stil zu haben . Gruppenchoreografien sind selten, manchmal werden sie aber als Teil eines Battles oder in Sessions getanzt, dies sind „Tag Team Moves“. Das sind choreografische Einheiten die man gemeinsam entwirft und probt, und die oft das Bild einer imaginären Verbindung zweier Körper schaffen. Spontan improvisiertes Partnering ist ein essentieller Bestandteil von Krumping. An die Hüfte eines Partners springen und sich um dessen Oberkörper rollen, während man mit den Ar-men des anderen festgehalten wird, ist eine Möglichkeit. Oder man tanzt zu zweit, eingehakt mit der Hand am Nacken des Partners, oder mit verschränkten Armen. Akrobatische Figuren werden mit der spontanen Hilfe von Körpern anderer Tänzer gemacht. Man steigt auf das Bein einer ho-ckenden Person, um einen Rückwärtssalto zu machen, oder man nimmt am Arm eines anderen der Schwung für einen Sprung. Das gegenseitige Anfassen, Schubsen und Klopfen der Tanzenden und teils durch die Zuschauer, ist ein elementarer Teil der gemeinsamen Performanz. Die Interak-tion zwischen allen, Tänzern und Zuschauern, ist ein Wesensmerkmal von Krumping.
Das Baseballcap, die Kapuze eines Shirts, T-Sirts und Schlüsselketten dienen als Requisite und zur Potenzierung von Bewegungen, und zur Schaffung von Bildern der Auseinandersetzung. Klei-dungsstücke können spontan der Verhüllung des Gesichts dienen. Die Caps fungieren kurzzeitig als persona oder werden als Ausdruck der eigenen körperlichen Überwältigung fortgeschleudert. Oft tragen Krumper bei öffentlichen Sessions im freien Gelände weiße T-Shirts in Übergröße, teil-weise mit dem jeweiligen Crewnamen als Graffiti aufgesprüht. Kleidungsstücke werden im HipHop in Übergröße getragen um den Bewegungsradius beim Tanzen nicht zu beschränken. Es ent-spricht dem erdverhafteten, weichen, groovigen Gefühl und der Ästhetik des Urbanen angelehnt an den Wohnverhältnissen und dem Bild des Viertels. Viele tragen die weißen Shirts als Abgren-zungssymbol zu den Gangs und deren farblich kennzeichnender Kleidung. Das weiße Shirt dient als vorbeugender Lebensschutz, es ist eine Art sich „rein“ zu halten.

4.6.4 „Battlen“ als ästhetische Instanz

„To battle“ steht für Kampf, Wettbewerb. Battlen ist ein klassisches Element in jedweder Form von HipHop- Kunst . Es ist die Kehrseite des „Gangbanging“, der blutigen Kämpfe der Gangs. Die „Battlezone“ ist der Ort und das Geschehen in dem ein Wettbewerb zwischen Tanzcrews ausge-tragen wird. Die Auseinandersetzung zwischen den Künstlern nährt ihre kreative Kraft. Darüber hinaus wird die kollektive soziale Struktur bestätigt oder neu geordnet. Die „Battlezone“ ist ein Raum für gemeinschaftliche Wahrnehmung. Alle Mitglieder der Szene, Familienangehörige und Interessierte sind anwesend. Es ist ein sozialer Raum, im dem man sich Achtung und Respekt er-tanzt und seine Aggressionen abbaut. Dieser Wettbewerb ist eine Explosion an kreativen Momenten. Ein Battle ist ein offener, unorganisierter Wettbewerb mit tradierten, nicht niederge-schriebenen Normen, zwischen zwei Tänzern oder Crews, der immer vor Publikum stattfindet. Dabei ist es ebenso wichtig das Publikum zu überraschen und zu begeistern, wie den Gegner zu besiegen. Das Battle ist eine performativ – partizipatorische kollektive Handlung. Der Wettbewerb wird in verschiedenen Stufen ausgetragen. Ein Tänzer der Crew X geht in den Kreis und beginnt mit einem einfachen Move. Darauf folgt ein Tänzer aus der Crew Y und steigert den Schwierig-keitsgrad mit einem anspruchsvolleren Move, Trick oder Stil. Und so fort, bis ein Tänzer keine Steigerung mehr entgegen setzen kann. Das ist das „call and response“ Prinzip, angewandt im Tanz. Der „call“, ein Move, wird mit einem schwierigeren Move beantwortet, und das Publikum übernimmt die Rolle des Chors. Die Zuschauer sind elementarer Teil der Performanz, sie rufen anregend: „get buck“, „yeah“ und rapen rhythmisch und melodisch Basislaute des HipHop (ho ho, yo-yo). Sie beurteilen die Moves und den Sieger. Das Publikum ist die Jury, die ihr Urteil performa-tiv kundtut, mit der Intensität des Beifalls mittels Händeklatschen, rhythmischen Rufen, Sprüngen, Stampfen und Drehungen. Battlen ist ein hochgradig interaktives Happening, das durch ein Zu-sammenspiel von Künstler und Publikum gestaltet wird. Battles sind maßgebend für die Anordnung der Hierarchien innerhalb der Krump Community, dies beinhaltet den Status der Tän-zerfamilien. Battles sind der Parameter für den sozialen Status, das künstlerische Prestige und die Entwicklung des Tänzers.

„Welches war das härteste Battle deiner Krump Karriere?“
„Wow, the toughest battle for me, which is hilarious, was against Slayer (Dragon) in Rize. That’s right folks, I use to battle dudes all the time haha … He always used to push my buttons because he wanted to see a side come out of me that I didn’t know was there … and boy did he do it! … He used to throw chains and chairs, we was crazy … but yeah that battle caused me to snap, and it took me to a new level in my Krump, not to men-tion Chez (Tight Eyez) had me held hostage at his house for like a week labbing up before we filmed that day, so I was full of Buckness …“ Daisy

Es kommt vor, dass Streitigkeiten zwischen Personen oder Crews in einem Battle ausgetragen werden. Davon wissen nur lokale und eingeweihte Personen. Es wird darauf Wert gelegt, diese Streitigkeiten in der „Battlezone“ zu belassen. Nach einer davon getragenen Niederlage kann es jedoch, wenn auch selten, zu Feindseligkeiten kommen, das heißt zu übler Nachrede und echtem Kampf. Ein Battle dient dazu, den Besseren unter zwei Personen oder Crews aus zu machen. Ge-wertet wird nach Moves, Stil, Figur und dem „buckness“ – Faktor.

4.6.5 Beziehung zwischen Anwesenden und Tänzern

Bei einer Session oder einem Battle sind Tänzer, Tanzcrews, Familienangehörige, „Krump-Mütter“, Zuschauer, Groupies und „Lucky Loos“ anwesend. Eine „Open Session“ ist ein spontanes Zusam-menkommen, bei der einzelne, oder zwei bis drei Personen gemeinsam, frei und ohne Zeit- und Ablaufplan innerhalb eines Kreises von zehn bis sechzig Personen, abwechselnd improvisatorisch tanzen. Gelegentlich kann sich ein „Battle“-charakter herausbilden, das ganze spielt sich jedoch im scherzhaften Bereich ab, denn hier geht es nicht vordergründig um das Verteidigen des Prestiges. Die strikte Trennung zwischen Darsteller und Publikum, in dem der Bühnenraum als unbegehbare ja nahezu sakrale Grenze fungiert, charakterisiert ein Hauptelement westlicher Theaterbühnen. Die traditionellen Theatergesetze und die „als-ob“- Situation, die Guckkastenbühne und die Büh-nenrampe, das aktive Vorführen und das passiv regungslose Zusehen sind kulturelle Theatergesetze die im Kreis einer Krumping Session nicht wirken. In diesen folgt man keinem ge-probten Programmablauf, sie sind spontan und erzeugen einzigartige (nicht wiederholbare) Darstellungen. Ich bezeichne die Zuschauer als Anwesende, da es keine klare Trennung zwischen aktivem Darsteller und passivem Zuschauer gibt. Die Anwesenden des Zuschauerkreises können jederzeit selbst in die Rolle des Darstellers schlüpfen. Das ist auf das rhetorische Mittel und Prinzip des „call and response“ zurückzuführen. Die interaktive und expressive Ausrichtung des Tanzes beeinflusst die Performer – Publikum Beziehung. Die tänzerische Darstellung der Krumper führt in der Regel zu einer regen emotionalen und emphatischen Identifikation von Darsteller und Publi-kum. Gelegentlich werden Tänzer, die in den Kreis wollen, physisch zurückgehalten, d.h. um den Hüftbereich oder am ganzen Körper von mehreren Personen fest umklammert. Das sind perfor-mative Elemente der Anwesenden. Zuschauern tragen Tänzer aus dem Kreis, entweder um dem Gegner eine Pause zu gönnen, oder um den Tänzer, wenn er in einen unkontrollierten Zustand tritt, zu beruhigen. Der Raum zwischen Tänzer und Publikum ist fließend und die Zuschauer sind größtenteils selbst Tänzer. Eine Krumping Session ist eine Situation interaktiver tänzerischer Kommunikation zwischen allen Anwesenden. Das Publikum nimmt kinästhetisch teil an der Dar-stellung, es beweget sich im Rhythmus, nickend, wippend, tanzenden, johlend, schreiend und singend. Der Zuschauer drückt die kinästhetisch wahrgenommene Nachricht über seine Sinne aus. Der Krumping Zuschauer beteiligt sich mit seinen körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten und lässt allen Emotionen freien Lauf. Er empfindet eine starke Empathie mit den tragischen und sen-timentalen Vorlagen. Dies äußert er über den Körper und jedwede Art von Bewegung. Er tritt in direkte Kommunikation mit den Tänzern. Das Gefühl der pulsierenden Energie der Darsteller über-trägt sich auf alle Anwesenden, da das Publikum offen dafür ist. Sie partizipieren an den Geschichten, die tänzerisch dargeboten werden. Die Tänzer stoßen und schubsen sich teils heftig. Auf den Kreis der Umstehenden wird keine Rücksicht genommen, und physischer Kontakt durch Stöß beleidigen niemand. Der Körperkontakt ist für alle Anwesenden ein natürliches Element im Krumping, daraus erwachsen spontane Partnering-Momente. Diese sind nicht choreografisch fest-gelegt aber es gibt ungeschriebene Kodes – “tacit knowledge“ – für die spontane Hilfestellung des Partnering. Alle Anwesenden improvisieren gemeinsam und die kinästhetische Sinnenkonzentrati-on ist dabei sehr stark. Das sind Momente die, von der außen stehenden RIZE Filmcrew, als besonders energiegeladen empfunden wurden. Vollführt Lil Tight Eyze einen Popping-Move auf dem Po sitzend mit gestreckten Knien, (dabei sitzt er aufrecht auf dem Boden mit parallel ge-schlossenen gestreckten Beinen und bewegt sich scheinbar wie von Geisterhand hüpfend auf seinem Po vor- oder rückwärts) reicht ein kaum wahrnehmbarer Blick für die Umstehenden, um ihn zu zweit mit einer kurzen Armhebung wieder auf die Beine zu stellen, so dass die Partner Teil seines Tanzes bilden, den er sofort im Stand weiterführt. Wenn Lil C tief in den Knien auf dem Bo-den schlittert, hält er sich an Dragons T – Shirt fest, ungeachtet dessen ob es unter dem Gewicht seines Körpers reißt. Dragon geht mit der Bewegung von Lil C mit, ohne eine zuvor festgelegte Choreografie in Zeit und Raum. Das ein Tänzer seinen Kopf unter das T-Shirt eines im Kreis ste-henden steckt, mit dem Rücken zum T-Shirt Träger, und dann wilde Armswings ausführt und das Ersticken unter einer (Polizei-) Kappe nachstellt, ist ein performatives Element. Hier geschieht spontanes gemeinsames performatives Handeln, das eine gemeinsame Identität offenbart. Das Festhalten an den Anwesenden und das wilde Zerren an deren Kleidung ist normal und ein Aus-druck der unsagbar tiefen Unterdrückung und der Energie der Befreiung. Das Zerreißen der eigenen Oberbekleidung ist ein Bild für die maßlose Wut und gewaltige Aggression im Inneren der Tänzer. Die Anwesenden rufen den Tänzern zu, bestätigen deren Körperbilder und Geschichten mit frenetischem Jubel. Sie berühren bestimmte Körperpartien, fassen sie zur Ermunterung an und klopfen ihnen auf die Schulter. Die starke Empathie aller eröffnet einen Raum des geteilten Empfindens und Erlebens.
Der Tanz hat für die Gemeinschaft der Tänzer und der Anwesenden eine Bedeutung, da er soziale und politische Geschehnisse, die alle betreffen, performativ thematisiert und aushandelt. Die Moti-vation, der Krumper und der Zuschauer, gemeinsam über den Tanz zu interagieren ist in der kinästhetischen Offenheit gegenüber dem menschlichen performativen Akt zu verorten. Krumpen ist für die Beteiligten eine Tätigkeit, welche die Seele sprechen und aufatmen lässt, eine Befreiung der Sorgen mit therapeutischem Effekt, der den alltäglichen Kampf mit Armut und Gewalt reflek-tiert. Der positive Wirkungsmechanismus der Tanzform ist den Anwesenden durch das „tacit knowledge“ bekannt. Die Kenntnis um das Potential der Tanzform und des Körpers als Transfor-mationsmedium ist ihre Motivation. Sie alle teilen einen großen Part ihrer je individuellen Identität, die durch die Geschichte von ihrem Wohnviertel Watts South Central geprägt ist. Das zu reflektie-ren und die Wut zu verarbeiten, ist ein weiterer Beweggrund für das Zusammenkommen von Tänzern und Zuschauern. Sie zelebrieren in den Sessions ihre Weltauffassung und hinterfragen ihr Leben mit einer performativen und kinästhetischen Technik, dem Krumpen . Schweigt ein Zu-schauer und beobachtet die Darstellung ohne eigene körperliche Beteiligung, so ist dies möglicherweise ein Zuschauer dessen künstlerische Sozialisation sich auf westlich geprägte Thea-ter- und Opernstücke beschränkt. Sicher ist, dass diese Person ihre sinnliche Teilnahme nicht äußert und somit nicht an der Interaktion einer Krump Session teilnimmt. Diese Zuschauer nennt man „Lucky Loos“ ‚glückliche Klos’. (Krumptionary). Sie werden als der schlimmste Feind des Krumping bezeichnet.

4.6.6 Transzendente Körpererfahrung

GK (German Krump): „Wie wichtig ist für Dich die Verbindung zwischen Krump und Glauben?
Daisy: Sehr wichtig. Ohne den Glauben … wäre Krump nur ein weiterer Tanztrend der sich irgendwann totläuft. Gott hat diesen Tanz als Mittel gewählt, um die Jugendlichen zu erreichen und uns alle mit Liebe zu verbinden. Mit Krump loben wir Gott dafür, was er für uns getan hat und tun wird … Mein Vorbild … ist Tight Eyez … Er ist ein wahrer Freund und ich bewundere ihn dafür, dass er für den wahren Ursprung des Krumping steht – GOTT … Außerdem ist er … ein guter Mensch, er hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit diesem Tanz Leben zu retten … was ich euch sagen will ist – stay buck, aber vergesst nicht, Gott immer dankbar zu sein – dann wird er euch auf den richtigen Weg bringen. Keep Krump alive! We doing this for the kingdom baby!” (www.germankrump.de)

Daisy spricht hier das Reich Gottes an, das im Namen der Tanzform – „Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise“ – enthalten ist. Nach ihrer Auffassung steht der Tanz im Dienste des „Kingdom“. Im christlichen Gebet „Vater Unser“ wird das Reich Gottes gehuldigt: „… sein Reich komme, sein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden … Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Der christliche Glaube ist für Daisy und die anderen Krump Kings im Tanz er-fahrbar und eine Möglichkeit Spiritualität zu leben. Lil Tight Eyze sieht man in einer Tanzszene von RIZE wegtreten, LaChapelle beschreibt den transzendentalen Moment mit den Worten “he is caught up in energy”. (RIZE 00:28). Tight Eyze betont immerzu, dass Krumping nur durch die Kraft Gottes existiert, und dass jeder Mensch seine Tanzfähigkeiten durch den Glauben an Gott verbessern kann (Morales 2005, http://www.krumpkings.com – Videos). Miss Prissy wandte sich durch ihren Freund Dragon Gott zu. Er empfahl ihr, in die Kirchenmesse zu gehen, um ihren Tanzstil zu verbessern. Sie probierte es und erinnerte sich, das Gott ihr ein Geschenk gegeben hatte, das sie nutzen sollte: das Tanzen. (RIZE 01:12:37)

Steht die Frage nach den „Formen der Transformation im Raum, so rückt der Körper als Erfah-rungszentrum in das Zentrum der Debatte.“ Erleben ist nur über den Ort des Körpers möglich, deshalb muss auch der Horizont körperlichen Erlebens mit einbezogen werden. (Köpping 2000:172). Im sakralen Ritual öffnet sich der Körper durch mimetische Nachstellung göttlicher Wirklichkeit. Das Nachahmen bringt keine gefälschte Kopie hervor, sondern über das Mitmachen wird es möglich, göttliche Kräfte zu wecken. Der Körper öffnet sich somit einer göttlichen Über-mächtigung. Es ist der Körper der zum Hauptträger potentieller Transformation wird (Rao&Köpping 2000:21).

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Zuschreibung reflexiver Qualität vom kulturellen Diskurs festgelegt wird. Ob Wahrheitstransformation über den Körper erlaubt, möglich oder er-wartbar ist, ist kulturell normiert. Im Krumping ist das Medium Körper und das spirituelle Skript der Inhalt. Der Körper und körperliche Aktionen können therapeutisch befreien und spirituelle Bedeu-tung generieren (Dragon in: Chupnick 2005, Miss Prissy in: Nguyen 2005). Krumper sind in der Regel strenggläubige Christen, obwohl die Aufnahme in eine Crew nicht davon abhängig gemacht wird, so sind doch die Werte Liebe, Respekt und Gemeinschaft grundlegend für eine Crew und eine Fam. „Fam“ steht für Familie und ist ein noch engerer Kreis an Freunden als die Crew, die eine echte Familienstruktur aufweisen. In das Krumping werden Elemente aus der performativen Gestaltung der performativ gelebten afroamerikanischen Kirchenmessen übernommen. Dort wer-den Spirituals und Gospels gespielt und gesungen. Elemente daraus werden im Krump inkorporiert, Teile des „praise, spirit dance“. Das „spirit dancing“ wird im Krump „amp“ genannt. „Amp“ ist der intensivste Zustand im Krumping, in dem der Tänzer das rein Technische des Tan-zes überschreitet und in seinen Emotionen aufgeht . Dies kann zu einer spirituellen Erfahrung mit seiner Seele führen.

“Amp (adj.) – … Amp is a state of heightened excitement and is a place where technical dance is transcended by emotion. It is the point of dance where one might have a spiritual experience as well.” (Krumptionary)

“Wild out” bedeutet, dass ein Tänzer den Fokus für seine Figur verliert, aber weiterhin gut per-formt. Es tritt in einen sehr emotionalen Zustand. Der Tänzer verliert jegliche Sympathie und Mitleid mit seinem Gegner, und kann dabei derart durchdrehen, dass das Publikum vor ihm weg-läuft. Ein kurzer anarchischer Moment des Chaos. Der Begriff “spazz out” oder “level up” beschreibt die Steigerung des intensiven Gefühls “amp” und des emotionalen Zustands “wild out”. Der Tänzer verliert die Selbstkontrolle. Tight Eyze berichtet über einen “spazz out” seines Freun-des, Krump King Mijo, der Tight Eyze Elternhaus inlusive Möbelstücke und des extra für den Anlass der Session vorbereiteten Buffets, in ein Chaos verwandelte. Stühle landeten im Garten, das Hühnchen und der Salat waren im ganzen Raum verteilt. Tight Eyze: “Ich glaube er wusste nicht mehr, dass er ein menschliches Wesen ist, er fühlte sich wohl wie ein Werwolf. [Gelächter]” (Krumptionary).

“Spazz Out (n.) – The point where a dancer’s style reaches its highest point and dance is transcended by emo-tion. Dancers often describe this as an out of body experience where the dancer and spectator become one. May also be called “a level up” and generally occurs during the third level of intensity (Amp).” (Krumptionary)

Es gibt mehrere Begriffe für eine außerkörperliche spirituelle Erfahrung im Krumping: “spirit dan-cing, amp, spazz out”. Dies bestätigt dass dieses Weltbild von enger Verknüpfung der Religion und dem Tanz, den Körper als transformatives Medium begreift. Der Körper ist das spirituelle Erfah-rungszentrum und ermöglicht den Tänzern ihre Seele, in ihrer zweidimensionalen Heimat – der Erde und dem spirituellen Kosmos – als kulturelle Wahrheit zu erleben.

„When you know that there is a Krump Session, me and a lot of people I know, will stop whatever they are doing, because it’s the spirit there. There is a spirit in the midst of Krump …“ (Dragon RIZE 00:25:15)

4.7 Perspektive der Akteure: „Our Ghetto Ballett“

„This is our ghetto ballet, this is how we express ourselves, this is the only way we see fit of storytelling, this is the only way of making we ourselves feel like we belong. …there’s not just a bunch of people acting wild, this is an art form and it’s just as valid as your waltz, as your tap dance, except we wouldn’t have to go school for this, because it was already implanted in us – from birth. “ (Dragon in: RIZE 00:29:)

Dragon beschreibt Krumping als „our Ghetto Ballett … the art of dance … we invented that.“ (Dra-gon 00:29). “Krumpen ist Freiheit, es ist Inspiration. Man kann das nicht mit dem menschlichen Auge sehen, nur mit dem dritten Auge, dem künstlerischen Auge, und jeder hat ein künstlerisches Auge.” (Lil C in Chupnick 2005). Lil C beschreibt die Jugendlichen in Watts als ausgeschlossene, marginalisierte und stigmatisierte Menschen mit den Optionen: Gang, Drogen und Gewalt. Men-schen, welche die amerikanische Gesellschaft, aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert. „Du musst erst begreifen, dass du etwas anderes erreichen kannst als die Ghettokarriere, die die Gesellschaft für dich vorher gesehen hat.“ (Lil C, in Weingarten 2008). Diese vorurteilsbehaftete Kategorisie-rung entspricht nicht dem Lebensgefühl dieser Jugendlichen, sie suchen ihre Verwirklichung im Tanz. „We dont get the best of everything, so we come together and dance.“ (Dragon 00:23:02). Sie widersetzen sich der Ausgrenzung, indem sie ihr Leben nach eigenen Werten gestalten: Tanz, Gemeinschaft und Glaube. Sie erfüllen die Rolle der Unterprivilegierten und Konsumenten nicht. Den Annäherungsversuchen der HipHop- Industrie, welche versuchte den Stil zu verwässern, um ihn kommerziell auszubeuten, gaben sie eine klare Absage.

„We will not sell us to the commercial Hip-Hop world – we are young people with moral, values, more precious than anything you can buy.“ Lil C.
„We’re not gonna be clones of the commercial HipHop world. There is a new generation of kids waiting on something different. With moral and values, they don’t need what was commercialized or tailored-, custom made for them; because I feel that we are just custom-made. And we are of more value than any jewellery, any big car, any house.“ Tight Eyze (RIZE 01:12:38)

Das ist eine Anspielung an die kommerzielle HipHop- Branche mit dem „bling bling“ Faktor, die den Jugendlichen Konsum suggeriert und das Gangleben glorifiziert. Die Gruppe um Tight Eyze, die Krump Kings hat begonnen ihre eigenen Videos auf dem internationalen Markt anzubieten. Sie vermarkten sich nach dem Erfolg von RIZE nun selbst und verkaufen Unterrichtsvideos und do-kumentarische Filme über das Krumpen, Battles, Spirit Dancing und die Verwurzelung des Krumping im Ghettoalltag. Die Filmtitel lauten u.a.: “Krump 1.0 Basic Techniques, Krump 2.0 Ad-vanced Techniques, Krump 3.0 The Stamina Workout, Blood Brothers, Cage 3, Underground Sessions, Rude Awakening – The life Story of Lil Tight Eyez”. Der Filmtrailer zu „Underground Ses-sions“, die Eröffnung einer illegalen Geburtstagsparty in einer Fabrikhalle mit hunderten von Tänzern, beginnt mit einem MC, der die Session eröffnet. Er erinnert an einen Prediger und schreit:

„Er ist ein wunderbarer Gott! Kommt lobt ihn, kommt lobt ihn, hebt eure Arme in die Luft, und sagt – seht her, wer ich bin heute: Ich bin nicht in einer Gang! Ich bin nicht bei einem Raubüberfall! Ich bin nicht im Gefängnis! Ich verkaufe kein Crack! Wow.“ („Underground Sessions“)

Die Krump Kings präsentieren bewusst ihre eigene Perspektive und setzten sich vom Film RIZE und der Perspektive des Außenseiters ab. Zur Ankündigung des Films „Krump Kings“ heißt es auf ihrer Webseite:

„This is the end of imitation movies about supposed life in the underground dance scene with all the make be-lieve struggles of life. This is the real movie. Not a documentary. Like some of y’all said, ‚Its about time.“

Damit nehmen sie die aktive Position eines entscheidungsmächtigen Akteurs ein und kritisieren unterschwellig LaChapelles Dokumentation. In den im Internet zugänglichen Interviews mit den Darstellern wird nur Positives über LaChapelle und seine Herangehensweise im Feld und zu Reprä-sentation der Jugendlichen in RIZE gesagt (Tribeca 2005). Es handelt sich m.E. bei der stattfindenden Abgrenzung um das Bedürfnis, mit der eigenen Stimme und dem Körper, die emi-sche Perspektive zu erzählen. Tanz ist eine Form der kulturellen Inskription. Eine Sprache, als Antwort auf ein Ausmaß an sozialer Repression, das mit Worten nicht vollständig gefasst werden kann. Mit der Gestaltung einer eigenen Webseite und der selbständigen Videoproduktion können sie dies zeigen.

„KRUMP KINGS INC is a company dedicated to helping promote the actual Krump Kings and share their talent and art form with the world. We realize that, when looking at urban culture, many tend to think about the ruff gangsta’ image, lots of violence, profanity & guns. That is not what the Krump Kings represent. As you will see, violence & profanity do not represent our work. Talent, in its raw state, as is found on the streets everyday, is more entertaining, inspiring and fascinating than the stigmatic violent urban culture that has been portrayed over & over again. There can be struggle & battle without violence, as you will see in the KRUMP world, there can be drama without guns and there can be comedy without putting anyone else down. If you don’t believe us, just stay tuned.“

5 Zusammenfassung

Diese Arbeit ist eine Beobachtung aus der ethnologischen Tänzerperspektive, eine Analyse und Beschreibung von performativer Reflexivität im Tanz. Dabei bleibt sie dem metasprachlichen Dis-kurs verhaftet (Rao&Köpping 2000:24), denn sie ist nicht in der Lage, die Erlebnisebene einzuholen. Jede sprachliche Beschreibung von Tanz bleibt immerzu beschränkt und ein minder-wertiger Übersetzungsversuch. Performative Handlungen der sozialen Akteure können ohne kulturellen Kontext nicht verstanden werden. Abschließend will ich die Gemeinsamkeiten und Un-terschiede der Tanzformen Butoh und Krumping resümieren. Diese werden anhand der Punkte performativ-kinästhetischer Reflexion im Tanz, Spiritualität und der mystischen Verbindung von Leben und Tod und der Einlösung des Selbstverständnisses der Künstler betrachtet.

5.1 Performativ-kinästhetische Reflexion im Tanz

„Dance, one of many arenas of fantasy and anticipatory psychic management, can be the locus für introducing novelty as well as reflecting changes.“ (Hanna 1975)

Bei der Frage ob Performanz auf die diskursive Übersetzung reduzierbar ist bleibt zu betonen, dass die Kommunikationsebene der Akteure eine andere ist, als die der Ethnologen. Jedoch liegt gerade hierin die Stärke und Chance einer selbst-reflexiven Wissenschaft des Anderen. Die Aufklärung und ihre Idee des erkennenden Subjekts, bergen Möglichkeiten reflexiver Kategorien die noch nicht in den westlichen Wissensdiskurs integriert wurden.
Für Turner ist die Loslösung des rituellen „Werks der Götter „ in der Trennung von Arbeit und Frei-zeit verankert. Foucault übernimmt Nietzsches Modell des „schlechten Gewissens“ und führt das Modells in der Analyse der Disziplinargesellschaft und dem „internalisierten Gewissen“ mittels der Disziplinartechnologien fort.
Foucaults Analysen zeigen auf, dass die ‚empirischen Erscheinungsformen’ gesellschaftlicher Wirk-lichkeit Effekte von epistemologischen Strukturen und diskursiven Praktiken sind. Foucault problematisiert die historisch formierten Konstruktionsbedingungen von Diskursen, welche das Wissen hervorbringen, in dem sich die Menschen subjektiveren und anhand dessen die Human-wissenschaften analysieren. Er entwirft eine „Metakritik des Aufklärungsideals der Moderne“ (Hornbacher 2007). Repräsentation ist seit jeher das Thema der Humanwissenschaften. Tanz ist eine Form von Repräsentation, von individueller und gemeinschaftlicher Sinnbildung.
Kultur ist erfahrungsbezogen und kann als Korrektor des Textmodells agieren. Die ästhetisch er-fahrungsbezogene Theorie von kulturbezogenen Symbolen gewährt Einblicke in das Wesen performativer Techniken. Dabei ist die Praxis selbst schon immer reflexiv gewesen. Wir haben dies am Beispiel vom Ritual und der Kirchenhandlung beobachtet. Die performative Habitualisierung ist nicht trennbar von der Reflexivität. Bourdieus Ansatz hingegen versteht den Habitus als das ‘Sein‘ des Leibes, nicht als Wissen und sieht in ihm nur einen Modus der Praxis (Hornbacher 2005:382).
Foucault hingegen erkennt Körpertechniken explizit die Fähigkeit selbstreflexiver Tätigkeit zu. Der Körper steht dem Menschen als „subversives“ Instrument für reflexive Kritik zur Verfügung. Der geteilte „Habitus“ der Tänzer als „subversive“ Strategie ist eine Art Vergangenes und Erlebtes aus-zuhandeln. Der „subversive“ Moment liegt im Einsatz des Körpers selbst, das ist seine Qualität und sein Potential als reflexives Medium. Nach Foucault sind „kulturspezifische Körpertechniken eine verkörperte Form des Wissens und der Reflexion“, nicht aber unbewusste Handlungsdispositionen (Hornbacher 2005:383). In Foucaults kritischer Genealogie der Disziplinargesellschaft, dient der Körper zwar den anonym wirkenden Machtstrukturen, und über ihn vollzieht sich der Prozess der Individualisierung und Normierung. Aber das Wirkungsfeld moderner Körpertechniken hat einen Moment der Freiheit und des subversiven Widerstands.

„Obwohl das Subjekt und sein Denken nach Foucault Produkt einer verinnerlichten und damit habitualisierten Körperdisziplin ist, verfügt es nicht nur theoretisch, sondern in seinen leiblichen Praktiken selbst über einen reflexiven Spielraum.“ (Hornbacher 2005:383)

Denn in der Form einer abweichenden körperlichen Praxis, ist sie reflexiver Ausdruck der Diszipli-nartechniken, der „dialektische Gegenpol“ der durch sie produziert wird. Darüber hinaus können die Körpertechniken durch den Moment der Freiheit und der Subversivität zu eigenen Gedanken kommen (Hornbacher 2005:383). Durch die Verknüpfung von Macht, Wissen und der zentralen Rolle des Körpers in den disziplinierenden Strukturen, deckt Foucault auf, dass nicht zuerst die Strukturen bestanden und der Körper darin eingepasst wurde. Im Gegenteil, das Überwachungs-system entwickelt sich und sichert sein Bestehen, anhand der disziplinierenden Körpertechniken.
Foucault erkennt Körpertechniken explizit die Fähigkeit selbstreflexiver Tätigkeit zu. Der Körper steht dem Menschen als „subversives“ Instrument für reflexive Kritik zur Verfügung. Der geteilte „Habitus“ der Tänzer als „subversive“ Strategie ist eine Art Vergangenes und Erlebtes auszuhan-deln. Dies ist eine Form der Reflexion.
Eine Lesart Foucaults ist demnach, dass das Wissen einer Gesellschaft über deren Leibpraktiken zugänglich ist. Er hat anhand seiner kritisch historisch-ethnografischen Archäologie der abendländi-schen Kultur die „stummen Momente” und den zeitgleich nicht textualisierten Kulturbestand untersucht. Für die These reflexiver Performanz im Tanz sind hier zweierlei Punkte zu transferieren. Erstens ist leibgebundenes Wissen kulturspezifisch habitualisiert. Es ist, ungeschriebenes, nicht oral tradiertes, lokales Wissen – „tacit knowledge“. Über das weder diskursiv generierte noch diskursiv verhandelte verkörperte „tacit knowledge“ vollzieht sich der Prozess der Sinnzuschreibung und der Weltsicht, ein stets reflexiver Akt. Dies geschieht unabhängig vom Konzept der Subjektkonstrukti-on des modernen Menschen. Zweitens erfordert der Zugang zu verkörpertem „tacit knowledge“ im Abendland ein Umdenken der tief verwurzelten Vorstellung des Individuums als Subjekt und der damit verbundenen ausschließlichen Verortung von Reflexion im Geist. Dies ist eine kulturelle Eigenheit und kein universal gültiges, welterklärendes Prinzip. Mit Foucault ist Reflexion, als „Wi-derstand“, auch in den „widerspenstigen Praktiken des Alltags und den Leibtechniken“ zu verorten. Die Reflexivität in nicht-diskursiven Praktiken zu erkennen, erfordert eine Loslösung vom „Subjekt“ Konzept.
Der Erkenntnisbegriff Foucaults ist geradewegs ethnologisch definiert, als Gegenüberstellung ver-schiedener Wissenskulturen (Hornbacher 2005:143). So ist ein „lesbar – Machen“ der stummen Bestandteile von Kultur methodisch möglich. Die Voraussetzung , um andere Körperpraktiken zu untersuchen, bedingt eine Teilnahme an diesen Praktiken und eine neue Art der Beschreibung, den Fokus in der teilnehmenden Beobachtung vom Dialog auf das habitualisierte verkörperte Wis-sen zu lenken (Hastrup zit.: Hornbacher 2005:156). Das ist selbstreflexive Ethnologie, die sich gründlich und kritisch mit den eigenen Denk- und Handlungsschemen auseinandersetzt. Dies ist der Dreh- und Angelpunkt der Foucault interessant für die Tanzethnologie und die Untersuchung performativer Praktiken macht. Ethnologie kann als „Gegenwissenschaft“ die „subversiven“ Leib-praktiken und ihre Reflexion in fremden kulturellen Wissensformen untersuchen.

Wenn neue Tanzformen durch die Abspaltung einer Gruppe entstehen, so ist dieser Prozess ein Bewältigungsmechanismus im „sozialen Drama“ und somit ein reflexiver Akt. M.E. sind die per-formativen Praktiken Butoh und Krumping, mit den Qualitäten und Funktionen versehen, die Turner der „normative“ Communitas zuschreibt. Er nennt diese Communitas auch Subkultur, und hat sie bei der Hippiebewegung beobachtet. Die Tanzformen erwachsen aus Kritik und Reflexion an der strukturellen Gesellschaft und den soziopolitischen Zuständen, Divergenzen, Regelungs-mechanismen – und Prozeduren, Normen und Traditionen. Reflexion besteht in der Möglichkeit Vergangenes und Zukünftiges zu beleuchten und zu positionieren, die Welt derart zu erklären, dass es den kulturellen und individuellen Bedürfnissen gerecht wird.
Die reflexive Kraft der Sessions- und Battles erwächst aus der kinästhetischen Interaktion aller Anwesenden. Wie rituelle und Sklaventänze, zielt Krumping auf eine gemeinsame Handlung. Das gemeinschaftliche Erleben ist das Fühlen und Aushandeln der kulturellen Gemeinschaft. Es ist die Befreiung der Ausgrenzung durch Reflexion und Spiritualität anhand performativer Praxis.

Ein Vergleich von Elementen der Lehrmethode, Technik, Körpersprache und Körperbild zeigt Ge-meinsamkeiten der Tanzformen auf. Aus der Isolationstechnik ergibt sich ein Köperbild, dass nicht der Konzeption des Menschen als Subjekt entspricht. Das Innehalten zwischen Positionswechseln im Butoh führt zu einer anderen Wahrnehmung des Körpers beim Zuschauer. Die Muskeln, der ganze Körper wird in seiner Schwäche und Fragilität wahrgenommen. Die statischen Posen im Krumping lassen den Körper als ruhiges Medium erscheinen. Im Ballett bezieht man sich auf Posi-tionen des Körpers und des Bühnenraums. Die zeitgenössischen Tänze Butoh und Krumping hingegen erforschen Zwischenschritte in alle möglichen Richtungen.

Dass die jungen Künstler aus L.A. sich mit ihrer Kunstform einen Lebensentwurf geschaffen ha-ben, der sie aus der gesellschaftlich zugewiesenen Rolle ausbrechen lässt und ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht – entspricht einem Durchbrechen der disziplinargesellschaftli-chen Körpertechniken. Teilnahmslose Zuschauer beurteilen die Körpersprachen als spastisch, behindert, abartig, lächerlich und es nicht Wert ernst genommen zu werden. In den Tanzformen eine Kunstform und eine Weltsicht zu erkennen und diese Praktiken als Träger von Wissen und Wissensvermittler anzuerkennen, erscheint ihnen absurd. Dies weist darauf hin, dass diese tänze-rischen Körpersprachen einen subversiven Charakter haben, an dem sich das normativ und diskursiv Geprägte, die Disziplinargesellschaft, stört. Im Butoh und Krumping werden die Wahrhei-ten der ausgegrenzten kulturellen Gruppen und die strukturell gesellschaftliche Ungerechtigkeit thematisiert. In den Diskursen der Disziplinargesellschaft wird das Fremde nicht au fond integriert. Dass diese Künstler die rigide Machtstruktur mittels einer körperlichen Ausnahmetechnik durch-dringen, erscheint um so spannender, als Foucault die „Disziplinartechnologien“ als die unbewusst wirkenden Techniken ausweist, die das Fortbestehen der Disziplinargesellschaft garantieren. Die Trance tritt nur durch gemeinsame ritualartige Handlung ein. Dies entspricht eben nicht der Indivi-dualisierung, welche die Disziplinarmacht mit ihren Techniken bewirkt.
Das Konzept der intellektuellen Reflexion ist nichts anderes, als eine abendländisch diskursiv be-lastete Idee und Begrifflichkeit von Wissen. Dies schließt dauerhaft andere Wissensformen aus. In dem Konzept, in dem die europäische wissenschaftstheoretische Geschichte Wissen bezeichnet, ist der Körper bedingt und verdingt („Überwachen und Strafe“). Darin ist der Körper verdrängt und ausgeschlossen. Mit der Epoche der Aufklärung setzt die Trennung von Wissenschaft und Kunst und ein Abstraktionsanspruch der Wissenschaft ein. Die grundlegenden Codes einer Kultur be-herrschen und legen die Hierarchien ihrer Praktiken fest. Die Hierarchie der Praktiken ist bloße Konstruktion und die zentrale Ursache des unwissenschaftlichen Status performativer Reflexions-formen in der abendländischen Kultur. Das ist der Grund für die westliche Glorifizierung geistiger Erkenntnis und erklärt ihren Nimbus (Hornbacher 2007).

Wenn die Ethnologie ihre normativ philosophischen diskursfixierten und eurozentrischen Horizont erweitert, hat sie die große Chance Neues zu erfahren. Dies ist eine Herausforderung, um die ei-genen Begrifflichkeiten zu hinterfragen und hinsichtlich des wissenschaftlichen Machtimperialismus über die Agenda der Diskurse. Die Ethnologie sieht sich mit der Inkorporation performativer Refle-xionspraktiken in die Sphäre des Wissens mit zweierlei methodischer Herausforderung konfrontiert. Einerseits ist die Übersetzung der kinästhetischen Wahrnehmung in die diskursiv ge-prägte Kommunikationsebene zu bewältigen oder eine alternative Form der Übermittlung zu generieren. Andererseits ist die ausgegrenzte Art der performativen Reflexion wieder in das euro-zentrische Wissenssystem zu integrieren. Das ist die Aufgabe, der sich die Ethnologie stellen sollte, auch um die fortwährende „Krise der Repräsentation“ innerkulturell zu lösen (Hornbacher 2005:19, 433 ff., 443).

5.2 Spiritualität und die dunkle Seite

Im Rahmen der starken Interaktion zwischen Tänzer und Zuschauer des Krumping wird der be-wußtseinsveränderte Zustand der Trance, als wahrheitstransformierend wahrgenommen.
Bei den Dreharbeiten zu RIZE (Jahre 2002-2005) konnte das Kamerateam eine transzendente Körpererfahrung filmen. RIZE zeigt eine Krump – „Open Session“ an einem öffentlich abgezäunten betonierten Platz, der einem Parkplatz ähnelt und typisch für das Straßenbild eines amerikanischen Ghettos ist. Daisys guter Freund, Lil C, hatte oft versucht sie über ihre eigenen tänzerischen Gren-zen hinaus zu bewegen. Er sieht ein schlummerndes Potential in ihr, dass sie selbst nicht wahrnimmt. Bei dieser „Open Session“ explodiert ihr Inneres über den Tanz. Daisy tanzt, und man sieht wie Dragon sie mit Worten und Gesten reizt und provoziert intensiver zu tanzen und ihr Inne-res ungehemmt sprechen zu lassen. Sie nimmt diesen Anreiz auf und potenziert ihren extrem physischen und energetischen Tanz mit starren, wütenden Augen und einem Körpereinsatz der eine kämpferische Verteidigung und Loslösung zeigt. Plötzlich kippt sie um. Daisy verliert das Be-wusstsein und tritt in einen anderen Erfahrungsraum. Allen Anwesenden, ist sofort klar, dass dies ein veränderter Bewusstseinszustand ist: „She got struck, that´s all we´re be waiting on!“ so Lil Tight Eyze. Diese Aussage verweist deutlich auf den sakralen Hintergrund der Tanzform Krum-ping, da die Trance von Daisys offenbar als wünschenswert und als besonderer und verheißungsvoller Moment gedeutet wird. Es zeigt einen interkulturellen Ausdruck des Körpers. Hier wird eine Sprache angesprochen, die der Körper ohne Zwischenschaltung des Bewusstseins versteht. „Struck“ vom Englischen „to strike“ steht für ‚ausgeschaltet, berührt, gestoßen, betroffen sein’. Im Kontext ist dies die Beschreibung eines bewusstseinsverändernden Zustands. Dies ist eine Erfahrung außerhalb des Körpers, ein transzendentaler und spiritueller Moment des Tanzens. Die Tänzerin Daisy beschreibt diesen Moment als einzigartig und transformativ für sich selbst. Seit-dem habe sie einen großen Entwicklungsschritt in ihrem Tanzen verspürt (KK W/Member). Im Krumping gibt es demnach eine „psychologische Wirkungsästhetik von Körperhaltungen“, die „dif-ferenzierte Gefühle auslösen“ (Hornbacher 2005:305). Dies sind Körperhaltungen, die auf einem hohen technischen und einem extrem energetischen, aggressiven Niveau wiederholt werden und zu einer gesteigerten Intensität und somit zur Trance führen, in den „amp“ – Zustand.
Ein weiterer Filmsequenz zeigt Lil Tight Eyze, wie er während des Tanzens unter Tränen und lau-tem Schluchzen zusammenbricht. Der Filmproduzent bezeichnet Lil Tight Eyezs Zustand mit den Worten „he is caught up in energy and carried away“ (RIZE 00:28:00). Lil Tight Eyze ist, wie so viele seiner Generation im Gefängnis geboren. Über das Krumpen und seinen Glauben zu Gott kann er das Selbstverständnis einer gesunden, eigenständigen und respektvollen Person verwirkli-chen. Für ihn ist das ein Zeichen der Vereinigung mit Gott und eine Bestätigung seines Lebensmo-dells.
Dragon sieht in der Spiritualität die Grundlage seines Glücks und absolviert momentan eine Pries-terausbildung (Background). Die Krumping Tänzer leben ihre Spiritualität in zweifacher Weise. Sie wählen „kulturelle Vollzugsformen den Leib zu thematisieren und zu befragen.“ (Elberfeld 2007:222). Die erste Vollzugsform ist das Krumpen, die zweite das Ritual in der Kirchenmesse. Die afroamerikanischen kirchlichen Rituale werden durchgehend performativ und interaktiv zelebriert. Ein Vergleich dieser performativen Praxis als Erkenntnisvollzug mit der jungen nachchristlichen Eucharistiepraxis, bietet sich als interessante weiterführende Forschungsfrage zu dieser Arbeit an. Im 3. nachchristlichen Jahrhundert, wurde dem performativen Vollzug der Kulthandlung im kirchli-chen Ritual, der Charakter der Wahrheit zuerkannt. Die frühe Eucharistie-Lehre hatte noch den Bezug zur rituellen Handlung als „einer erkenntnisvermittelnden Funktion“ (Härdelin in: Hornba-cher 2005:437).

„Wenn daher nach Tertullian das Brot rituell den Leib Christi repräsentiert, so ist damit nicht … das bloß symbo-lische Abbild einer eigentlich geistigen Wahrheit gemeint, sondern die vollständige erfahrungsbezogene Realisierung und wahrhafte Erkenntnis der göttlichen Heilswirklichkeit durch den performativen gemeinschaftli-chen Vollzug der Eucharistie.“ (Hornbacher 2005: 437)

Diese „rituellen Vollzugsformen von Wissen“ (Hornbacher 2005:437) werden in der Ausnahme-technik Krumping praktiziert. Die kulturelle Identität wird reflektiert und die Spiritualität über die körperliche Trance als inhärente Wahrheit der Lebenswelt aufgefasst. Für Tanz im christlichem Kontext gilt, der Tänzer ist zum Tanz, was Gott zur Schöpfung ist. Gott schafft im Einklang mit seinen eigenen Ideen, er lässt dem Ausdruck Seines eigenen Inneren Selbst freien ungehemmten Lauf (Hanna 1988:297). Diese neuen Realitäten sind nicht unabhängig von Gott, identisch mit ihm oder eine Kopie externer Paradigmen, sondern vollkommen eigenständige verkörperte Kreatio-nen. „Krumpness is an abstraction of your inner being.“ (Dragon in: Paggett 2004:2). Die Abstraktion des Inneren zu erreichen, ist eine therapeutische und spirituelle Übung. Es bedeutet, das Innere und das, was es gestaltet und bewegt, zu reflektieren. Es ist eine Reflexion von kultu-rellen Werten, Veränderungen und Widersprüchen.

Stampfendes Tanzen im Kreis ist in beiden Tanzformen eine essentielle körpersprachliche Vokabel. Eine Verbindung mit den Ahnen und der Geisterwelt ist, wie dargelegt, der Ursprung dieses per-formativen Elements. Im Butoh wird das Stampfen aus der schamanistischen volkstümlichen Tradition und aus der Rezeption westlicher Tanzformen übernommen. Das Stampfen und die Fi-gur der oralen Historiker und Poeten, die Griots, ist afrikanisch rituelle performative Tradition. Das Prinzip des „call and response“ und die musikalischen Rhythmen hatten, durch die Sklaventänze („ring shouts“), einen großen Einfluss auf die Bildung des amerikanischen Tanzes. Wie dargelegt, wurde dieses Erbe in das Krumping inkorporiert.
Das Bedürfnis, das „Rohe und Spirituelle“ in der erlebten Intensität und Wichtigkeit auszudrücken und den kulturellen Alltag zu spiegeln, formte das Krumping. Es bezieht sich mit der ausgedrück-ten Pein auf die tagtägliche Gewalt, die dem Körper durch Entrechtung und Selbstjustiz zugefügt wird. Beide Tanzformen beschäftigen sich mit der dunklen Seite des Lebens, mit Gewalt, Schmerz und dem Tod. Und die Tänzer beider Formen sehen im Rohen und Dunklen ihres Tanzes, die wah-re Schönheit des Lebens. Butoh bezieht sich, für den Kenner explizit, auf den rituellen Umgang mit den Toten, den Ahnenkult und den japanischen Körper.
Beide Tanzformen bringen das Unaussprechliche, die „stummen Momente“ über den Körper zum Ausdruck. Das Unaussprechliche birgt verschiedene Dimensionen. Es ist das Ausmaß der leidvollen Erlebnisse, des Todes, die subversive Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen und die göttlich-spirituelle Übermächtigung. Tanz ist eine „kinästhetische Darstellungsform von kosmologischem und metaphysischem Wissen“ (Hornbacher 2005:21).

5.3 Konflikt und kreative Kraft der Gemeinschaft

Die Gelenkstelle zwischen Foucault und Turner ist das Thema der Konfrontation. Für Foucault wer-den die Dinge über Konfrontation geordnet: „Wo Macht ist, ist Widerstand.“ Für Turner ist Konfrontation ein integraler Bestandteil von Gesellschaft: „Wo Struktur ist, ist Anti-Struktur“. Für beide ist die Konfrontation eine verändernde Kraft, die Struktur verändernd und Struktur erhaltend wirken kann. Beide sehen in bewusst performativen Darstellungen, Turner im Theater, Foucault in den körperlichen Ausnahmetechniken, die alten Rituale und Mythen der Rechtsprechung und des spirituellen Handelns. Akte die über das Handeln, über das Tun Wahrheit verkörpern und Trans-formation herbei führen. Dies sind Handlungen die ohne diskursive Methoden Zustände verändert haben.

Vererbung der Künstlernamen – Reduplikation der Identität

In Ritualen dient das Weiterreichen von Namen einer Reduplikation der Identität. Derart beschreibt Tight Eyze die Namensvererbung an Jerome a.k.a. Lil Tight Eyze: „I see some of my own charac-ter in him.“ Tight Eyze nimmt bewusst die Rolle eines sozialen Vaters und künstlerischen Mentors für Jerome ein. Das ist ein „Big Homie“ in der Krumpszene. Ein Vorbild, Vaterfigur und großer Bru-der der die Verantwortung für Jüngere übernimmt. Er lehrt sie Krumpen, Respekt und den verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Persönlichkeit. Er oder Sie, sorgt in jedem Not-stand mit all seinem Hab und Gut für seine/n „Lil Homie“. Der Jüngere heißt „Lil Homie“ und meist sieht der Mentor ein Teil seines Ichs in ihm. Er füllt eine Lücke im Leben des Jüngeren (oft der feh-lende Vater) und gewährt ihm Schutz.

“… I protect something very sacred. I protect the word of God. I protect my friends. I love all of them to the utmost. I would give my life for them. That name fits me because I am a protector. I protect the sacredness of whatever I choose to protect.” (Dragon zit. in Chupnick 2005)

Die Idee vom Initiator der Bewegung Tommy wird weitergeführt. Das Ideal, die Kinder in Watts vor dem kriminellen Gang-Leben und dem frühen Tod zu bewahren, ist eine fundamentale Ver-antwortung eines „Big Homies“ (vom englischen homeboy ‚enger Freund’). Die Weitergabe von Künstlernamen impliziert darüber hinaus das Weiterreichen von tradiertem und oralem Wissen über Tanz, Choreografie und Körpertechnik an die gewählte Person, und damit an die nächste Ge-neration. Dies verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Bildung eines Stils. Das Tragen desselben Namens löst ein Gruppengefühl nach dem Vorbild einer Familieneinheit aus.
Im Butoh wird das Verfahren der Namensweitergabe auch praktiziert. In den japanischen Kampfsportarten ist es Tradition, dass die Namen des Meisters auf den begabtesten Schüler über-gehen. Zudem ist dies eine künstlerische Auszeichnung und berufliche Qualifikation. Aus der Ritualforschung ist der Namensritus längst bekannt. Eine Nicht – Person wird hier durch das Erhal-ten eines Namens ein volles Mitglied der Gemeinde. Sie durchläuft eine Transformation von außerhalb nach innerhalb der Gruppe. Das ist analog dem, was Daisy, Tight Eyze und Tommy the Clown mit ihren verheißungsvollsten Zöglingen machen. Diese bekleiden, durch das Tragen des abgewandelten Namens des Big Homie, einen bestimmten sozialen Status innerhalb der Gemein-schaft – Lehrling und künstlerischer Nachkomme des Meisters.

Die soziale Organisation der Krumping „Fams“ konstituiert sich analog der Struktur einer genealo-gischen Familie. Die Gemeinschaft definiert sich über den Tanz und sieht dies als einen Lebensweg, dabei sind die Pflicht zu Reziprozität und Zusammenhalt grundlegend. Dies ist ein zentrales Identifikations- und Distinktionsmerkmal der Gruppe, die als eine Art Communitas ver-standen werden kann. Die Tänzer werden zu den „Backbones“ (Rückgrat) ihrer Familien. Die Tanzgruppen der Clowns und Krumper sind Teil der sozialen Infrastruktur, der Statusklassifikatio-nen innerhalb der Ghetto-Gesellschaft. Der Habitus richtet sich nach der Zugehörigkeit der Kirchengemeinschaft , der Gang oder Clowngruppe. Die Frage hierzu lautet in South Central L.A.: „Von welchem Set bist du?“ (RIZE 00:12:50). Das steht für „Welcher Gruppierung gehörst du an?“. Das ist die Klassifikation mit der sich die soziale Struktur der Nachbarschaft gliedert,. Die In-teressenlage eines Individuums wird hierdurch offen gelegt.

Wir haben die rituell-liminoiden Phänomene Turners betrachtet. Die Ausnahmetechnik Krumping entsteht in einem Zwischenraum der Gesellschaft, in einer Subkultur des Ghettos Watts. Sie ent-wickelt sich im Lebensbereich von Freizeit und Kunst und ist auf die Initiative von bestimmbaren Individuen zurückzuführen. Dies gilt auch für die Bildung des Butoh. Beide Tanzformen bilden Ge-gensätze zum normativ strukturellen System und beinhalten die kreative Quelle der Veränderung, des „Ursprungs von Kultur“. Ihre Gemeinschaften bergen das Potential des „protostrukturellen Systems“. Die Künstler sind Kritiker und Ankläger der bestehenden Struktur und leben mit der Ausnahmetechnik ihr eigenes Weltbild, das teilweise alternativ zum gesellschaftssystemischen Mo-dell ist.

5.4 Einlösung des ästhetischen Selbstverständnisses

„Ganz im Sinne des Foucaultschen Diskursbegriffs gilt es, neben den intellektuellen Zugängen zur Welt auch die Aneignung der Wirklichkeit durch die Praxis der Handelnden zu reflektieren.“ (Rao&Köpping 2000:27).

Die Reaktion des Zuschauers gestaltet sich in beiden Tanzformen entweder ablehnend und mit Unverständnis, oder aber sehr emotional und berührt. Butoh entsteht im Kreis von Avantgarde-künstlern, welches auch sein ursprüngliches Publikum darstellt. Krumping entsteht im Ghetto, als ein alternatives Lebenskonzept. Die Ghetto-Bevölkerung ist das Publikum. In beiden Fällen findet eine Identifikation mit den Themen der Künstler statt. Die Resonanzen der Zuschauer sind als prä-zise Protokolle der Wahrnehmung zu verstehen.

Hornbacher beschreibt in „Zuschreibung und Befremden“ (2005) auch die heterogenen Ursprün-gen balinesischer Tanztraditionen. Diese Tanzformen stellen einen Versuch dar, „Historie als ‚Gegen-Gedächtnis’ für die in ihren expliziten Äußerungen verschütteten Traditionen zu praktizie-ren“. Die Krumping Tänzer waren nie in bewussten Kontakt mit afrikanischem Tanz gekommen und empfanden eine starke emotionale Verbundenheit mit dem ähnlichen Körpervokabular des afrikanischen Tanzes der Nuba. In RIZE ist dies Filmmaterial mit mehreren Blenden, zwischen Tanzsequenzen einer Krump Session geschnitten. In beiden sieht man dunkelhäutige Menschen mit weißer Gesichtsbemalung innerhalb eines Kreises tanzen. Beide Darstellungen sind stark poly-phon. Es wiederholen sich jeweils die gleichen Elemente in beiden Tanzszenen: a.) ein Tänzer packt einen zweiten auf seinen Schultern und beide tanzen; b.) die Umstehenden bewegen sich zu den rituellen Trommelschlägen / Krumpmusik; c.) der kinästhetisch hoch energetische Tanz und das rhythmische Stampfen wird durch die Verwendung von Stöcken und Gesichtsbemalung / (Baseball-) Mützen, T-Shirts und Stühlen symbolisch aufgeladen; d.) impulsive und stürmische Interaktion zwischen Tänzer und Publikum; e.) der Tanz gestaltet sich als Art Kampf und der Geg-ner wird heftig in den umstehenden Kreis gestoßen; f.) die Beine sind stark angewinkelt , um die stampfenden Tanzschritte zu vollführen; g.) der Tänzer wird von der Menge auf den Rücken ge-schlagen; in den Krumpingszenen erinnert das Bild an das Auspeitschen der Sklaven; h.) Isolationsbewegungen insbesondere der Schultern. Es wird mehrmals hin und her geblendet, um die sehr ähnlichen Elemente in einen direkten Vergleich zu stellen. Mit diesem Filmschnitt stellt der Regisseur eine Analogie zwischen den kulturell performativen Tanzformen auf, welche die RIZE Protagonisten positiv überrascht. Sie sehen in den performativen und kinästhetischen Elementen des afrikanischen Tanzes ihre traditionellen Wurzeln und ihr künstlerisches Erbe und identifizieren sich damit .
Der Kampf ist das stärkste Merkmal des Tanzes und der Geschichte der Krumping-Tänzer: „Our struggle is what makes us special … things that we incur every day, made us who we are … “ (Lil C in: Chupnick 2005).

Berufliche Perspektiven

Die Karriere der RIZE-Protagonisten wurde durch den Film positiv beeinflusst. Mittlerweile sind sie mit internationalen Stars auf Tournee oder als Choreografen, Lehrer und Tänzer in der Unterhal-tungsindustrie tätig. Im Jahre 2008 gründet Tight Eyze mit Daisy u.a. die Crew „The World’s Dropoutz“. Mit einer christlichen Krump-Show touren sie durch gemeinnützige Einrichtungen und Gefängnisse in den USA und arbeiten mit der Stiftung YDRF – Youth Development & Research Fund, Inc. – zusammen. Auch Tommy the Clown tourt international mit seiner Crew. Dragon äu-ßerte 2002 seinen Glauben daran, dass jeder von ihnen „Jemand“ werden könne, dass sie aufsteigen würden und er hat Recht behalten. Die Krumper steigern den „Mehrwert des Köperka-pitals“ (Soldati 2008) und setzen ihre Körpertechnik für ihr eigenes Interesse ein, sei es im transformierend spirituell-rituellen Sinne oder als ökonomisches Kapital.

Die Kulturelle Symbiose durch die individuellen Wurzeln und hybriden Identitäten der Tänzer ist in beiden Tanzformen augenscheinlich. Einerseits die Auseinandersetzung mit Japan und der europä-ischen Kultur, andererseits das afrikanische Erbe in amerikanischer Tanzkultur. Beide Tanzformen haben eine gemeinsame Schnittstelle, das sind die Berührungspunkte mit der lokalen und der ur-sprünglichen Kultur des Tanzes und des traditionellen Rituals. Sie nehmen durch diese Fusion ein transkulturelles und zeitgenössisches Gesicht an, das über die Grenzen von Nationen hinweg Men-schen anspricht und zu künstlerischer Partizipation und Gestaltung inspiriert.

Der zunehmenden körperlichen Selbstentfremdung kann mit tänzerischen Körperpraktiken entge-gengewirkt werden. Das Wissen über die Verbindung von Emotion, Motivation, Tradition und kultureller Veränderung kann durch performative Praktiken wieder erlernt werden. In der Begeis-terung gibt das Medium Körper dem Geist Gestalt.

Ausblick

Den Kriterien des kulturellen und eigenen Schauens auf die Spur zu kommen und diese einer öf-fentlichen Diskussion zugänglich zu machen, stellt eine interessante kulturwissenschaftliche Fragestellung dar, der in einer weiterführenden Arbeit nachgegangen werden könnte.

Krumping und Capoeira weisen eine Verbindung mit den Sklaventänzen in Amerika und Brasilien auf. Die performativen Körperpraktiken stellen spielerisches Kämpfen dar und haben womöglich gemeinsame Elemente, mit denselben Bedeutungen. Das „Malícia“, ein Täuschungsmanöver, eine angedeutete Bewegung, die dann nicht ausgeführt wird und den Gegner täuschen soll, nennt sich im Krumping „Illusion“. Eine Beleuchtung der performativen Elemente im Kontext der Lebensstra-tegien unter der Sklaverei, böten einen interessanten Vergleich subversiver Praktiken.

Die Kirchenrituale der afroamerikanischen Bevölkerung werden bemerkenswert performativ und gemeinschaftlich gestaltet. Die nachchristliche Eucharistiepraxis war ein kirchliches Ritual das einen Erkenntnisvollzug bedeutete. Interessant wäre die nähere Betrachtung der Kirchenrituale im Hin-blick auf gemeinsame Schnittstellen in punkto körperlich-ritueller Erkenntnisvollzug.

Kinästhetische Wissenskonzepte aus der Sicht außereuropäischer, nicht westlicher Ethnologen zu betrachten würde einen bedeutsamen Aufschluss über andere Denkmodelle eröffnen. Denn auch afrikanische und israelische Ethnologen und Philosophen entlarven das, was westliche Ethnien als ethisch, objektiv, nomothetisch und wissenschaftlich bezeichnen, als emische Perspektive kogniti-ven Eurozentrismus (Appiah, Das, Elkana, Mehta, in: Hornbacher 2005:19 ff.; Legesse in: RzT:102).

Die Schwierigkeit performative Wissenskonzepte zu erkennen ergibt sich aus den sprachlich schwer zu benennenden performativen Prozessen. Dies erklärt teilweise die Ablehnung fremder Wissenskonstrukte in stark diskursiv geprägten Kulturen. Dabei sollte der Gewinn einer Erweite-rung des abendländischen Wissens- und Erkenntnisbegriffes verstärkt betont werden. Ich möchte mit dieser Arbeit nicht ausschließlich Kritik üben, sondern der zeitgenössischen Ethnologie mit den kulturellen Konzepten performativer Reflexion im Butoh und Krumping zwei weitere Beispiele fremder Wissenskulturen anheim stellen.

IV. Interdisziplinärer Exkurs Neurobiologie

Da Teile der Fragestellung ebenso Forschungsobjekt anderer Disziplinen ist, möchte ich einen kur-zen Exkurs in die Erkenntnisse der Hirnforschung begehen. Alle jemals gemachten Erfahrungen eines Individuums sind in den Zellen seines Körpers gespeichert. Auf die Entdeckungen der Reflex-therapie als zukunftsträchtige Erkenntnisse weist bereits Mauss in seinem Vortrag „Die Körpertechniken“ (1978: 220) hin, sie werden das Verstehen ungeklärter Phänomene und Zu-sammenhänge zukünftig noch klären helfen. Erinnerung wird in einer Art Körpergedächtnis gespeichert. Der Körper speichert praktische Erlebnisse als Erinnerungen, als Skript der eigenen Geschichte und Vergangenheit. Als literarischer Topos ist das Körpergedächtnis wohl bekannt. Die Schaltstelle zwischen schmerzhaften Erfahrung und ihrer Repräsentation beziehungsweise ihrer Repräsentierbarkeit in der Sprache, wird als therapeutische Instanz genutzt, als gemeinschaftliches Archiv, als Speicher individueller und kollektiver Erinnerungen.
Die moderne Neurobiologie zeigt auf, dass es eine

„wechselseitige Beeinflussung zwischen Erlebnissphäre (Psyche) und ihrem biologischen Unterbau gibt. Denn wir sind keine Sklaven unserer Biologie oder unserer Gene, sondern das Gehirn verwandelt – dies ist eine der Botschaften der modernen Neurobiologie – psychische Erlebniseindrücke in biologische Signale…“ (Bauer 2008:2).

Spiegelnervenzellen sind ein neurobiologisches Resonanzsystem. Spiegelzellen sind Nervenzellen, die im eigenen Körper eine bestimmte Handlung steuern können, zugleich aber – auf eine stille, unmerkliche Weise – auch dann in Aktion treten, wenn die von ihnen kodierte Handlung bei einem anderen Menschen beobachtet wird. Spiegelneuronen sind Zellen, die im eigenen Körper bei ei-nem bestimmten Gefühl (Freude, Trauer, Schmerz) tätig werden würden, die auch dann „klingen“ (ähnlich einer Gitarrensaite), wenn wir das jeweilige Gefühl bei einem anderen Menschen erleben. Der Spiegelvorgang unterliegt keiner bewussten Kontrolle, er läuft „präreflexiv“ ab, d. h. ohne dass wir gedankliche oder sonstige intellektuelle Willensakte vollführen müssten. (Bauer 2008).
Die Säuglingsforschung versteht unter dem Begriff der aktionalen Erinnerung den Körper als Erin-nerungsmedium, in dem Handeln seit frühester Kindheit eingeschrieben und sukzessive immer wieder abgerufen werden kann. Der hier gültige Informationsbegriff basiert auf diesem Konzept. Implizites Wissen ebenfalls basales Beziehungswissen genannt, hat eine motorische Antwort zur Folge. Die Motoneuronen sind keine Spiegelneuronen. Diese weisen sich durch eigenständigen Wissenserwerb aus, mittels Spiegelung. Das Erkennen von Absichten des Anderen wird „Theory of mind“ genannt und bezeichnet emphatisches kinästhetisches Wissen. A hat eine Ahnung von dem was B (tatsächlich) in kürzester Zukunft tun wird. Diese wahren Ahnungen beziehen sich meist auf körperliche Aktionen wie Bewegungen und Haltungen. Dieses Wissen wird weder sprachlich noch reflexiv gemerkt, artikuliert oder generiert, sondern aktional. Erst später wird das Wissen prozedu-ral, sprich in Form von Erinnerung anhand von Bildsequenzen verschlüsselt und damit abrufbar, und dann sprachlich geformt.
Der Exkurs zeigt neurobiologische Ansätze auf, welche die These untermauern, dass sich die menschliche Lebensgeschichte in individueller körperlicher Inskription, kultureller Verkörperung und kinästhetischer Praxis manifestiert.

V. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 „Dichotomie: Vernunft- und Sinnenwesen“ 4
Abbildung 2 „Geist – Körper Einheit“ 11
Abbildung 3 „Einfluss der Sinne“ 19
Abbildung 4 „Einfluss der Sinne: Hierarchisch kulturelles Konzept“ 20
Abbildung 5 „Kollektive Dimensionen“ 43

VI. Bibliographie
Verzeichnis

I. Zitierte Literatur
II. Film
III. Internetquellen
IV. Wörterbücher, Enzyklopädien
V. Gesichtete Literatur

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Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die Magisterarbeit zum Thema „Kulturelle Konzepte performativer Refle-xion im Tanz. Am Beispiel von Butoh und Krumping“ eigenständig und ohne fremde Hilfe verfasst, keine anderen als die angegebenen Quellen verwendet und die den benutzten Quellen entnommenen Passagen als solche kenntlich gemacht habe.
Diese Magisterarbeit ist in dieser oder einer ähnlichen Form in keiner anderen Universität vorge-legt worden.

Frances Egerer,

München, 15.Oktober 2008